Lange Wartzeiten in Arztpraxen haben den Vorteil, sich auf das, was kommt, vorbereiten zu können. Man kennt die Routine des Arzt-Patientengesprächs: erst allgemeines Befinden, dann die Befunde. Sind sie schlecht, drängt es die Patienten in Verteidigungshaltung. Man treibe doch drei Mal Sport pro Woche, esse kaum Fleisch, dafür umso mehr Obst und Gemüse, trinke so gut wie nie Alkohol. Die Doktoren nehmen es freundlich zur Kenntnis – und wenden insgeheim die erprobte Faustregel an: angegebene körperliche Aktivität halbieren und den Alkoholgenuss verdoppeln, um auf halbwegs realistische Werte zu kommen. Immerhin flunkern 60 bis 80 Prozent der Patienten ihren Arzt gelegentlich an, offenbart eine Analyse des Fachmagazins „Jama“. Für diese Patienten sind Sprechzimmer eben keine Beichtstühle, weshalb das bisschen Schwindeln, Flunkern und Verschweigen schon sein darf. Denn wer unter den Selbstoptimierern gibt schon gerne zu, dass er/sie faul ist, beim Essen und Trinken gern mal über die Stränge haut und die Tabletten nicht regelmäßig einnimmt? Den Patienten ist daran gelegen, „dass ihr Arzt eine hohe Meinung von ihnen hat“, schreibt die Wissenschaftlerin Angela Fagerlin, die an der Studie beteiligt war. Eine weitere Schummel-Theorie liefert der Mediziner Wolfgang Himmel von der Universität Göttingen. Der ewig gleiche Rat zu einer gesünderen Lebensweise werde als „ein Eingriff in die eigene Autonomie“ empfunden. Und da aktiviert der ich-gestärkte Mensch der Jetzt-Zeit eben seinen Schummelmodus und verspricht Besserung. Ganz ehrlich.
Unterm Strich