Das Schulzeugnis gefälscht. Schnelle Autos, Cognac, Frauen, windige Geschäfte. Später dann von 1935 bis 1939 Spion in Diensten des Deutschen Reiches in der Tschechoslowakei und Polen. „Statt als großer Held erschien Oswald Schindler lange als kleines Licht“, sagte die Präsidentin der Israelischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, bei der Vernissage zur Ausstellung „Oskar Schindler – Lebemann und Lebensretter“ am Donnerstagabend im Sudetendeutschen Museum München.
Dem Ambivalenten in der Person des Unternehmers Oskar Schindler (1908 bis 1974), der zusammen mit seiner Frau Emilia rund 1200 Jüdinnen und Juden das Leben rettete, sind die beiden Kuratoren der Exposition, Raimund Paleczek und Eva Haupt, nicht aus dem Weg gegangen. Im Gegenteil: Den Dämonen, mit denen der Sudetendeutsche Schindler ein Leben lang kämpfte, wird in der so liebevoll wie modern gestalteten Sonderausstellung in dem kubistischen Museumsbau in der Münchner Hochstraße Raum gegeben. In zehn Kapiteln ziehen Stationen der fast surrealen Vita des heute weltberühmten Mannes am Betrachter vorbei. Natürlich mit einem Schwerpunkt auf den Rettungsaktionen des Ehepaares Schindler, die in ihrer Verwegenheit und Menschlichkeit heute noch den Atem rauben.
Abgetrennt wie ein Schatzkammer
Gleichsam wie eine Schatzkammer abgetrennt werden in einer Art „Raum der Listen“ die Dokumente präsentiert, die Grundlage für die Rettung waren. In dessen Zentrum wiederum ruht ein Zeitdokument in einer Vitrine, auf das Museumsdirektor Stefan Planker besonders stolz ist: Erstmals wird ein Original einer weniger bekannten zweiseitigen Liste öffentlich gezeigt. Das auf einer Schreibmaschine getippte Papier, datiert auf den 29. Januar 1945, enthält die Namen von 81 jüdischen Häftlingen aus dem KZ Golleschau, einem Nebenlager des KZ Auschwitz, die Schindler ebenfalls aufnahm und so vor dem sicheren Tod bewahrte.
Diese Liste gehört nicht zu den legendären Dokumenten, die 1993 durch Steven Spielbergs Film „Schindlers Liste“ berühmt wurden. Als Spielbergs Berater fungierte der 2010 verstorbene Augsburger Ehrenbürger Mleczyslaw Pemper, genannt Mietek, der – von Schindler gerettet – an der Ausfertigung der Liste mitarbeitete. Diese Durchschläge mit exakt 1098 Namen werden in München visualisiert. An mehreren Video- und Audiostationen kann man Überlebende hören und sehen, die Schindler Anfang 1945 raffiniert mit Bestechung und Verschleierung in seiner neuen „kriegswichtigen“ Fabrik im mährischen Brünnlitz dem tödlichen Zugriff der SS entzogen hatte. Zweck der „Produktionsstätte“, von der heute noch Gebäude existieren, war indessen nicht, das militärisch längst geschlagene Nazi-Reich zu unterstützen, sondern Jüdinnen und Juden.

Ein letzter Schwerpunkt der Ausstellung thematisiert Schindlers verzweifelte Versuche, nach dem Krieg als Unternehmer zu reüssieren. Was trotz massiver Hilfe seiner jüdischen Freunde aus den Reihen der von ihm geretteten „Schindlerjuden“ und deren Familien weder in Deutschland noch in Argentinien gelang. Ein Trost in all der Verbitterung über die geschäftlichen und privaten Fehlschläge waren die Ehrungen, die ihm insbesondere in Israel zuteilwurden. Dennoch war Oskar Schindler fast mittellos und – zumindest in Deutschland – weitgehend vergessen, als er am 9. Oktober 1974 starb.
„Wir sprechen von einer Person, das ist unglaublich“, sagte Charlotte Knobloch bei einem Rundgang durch die Ausstellung sichtlich berührt. Sie mag beides gemeint haben: Den Wandel vom Kriegsgewinnler zum Retter, aber auch die extreme Bandbreite der Rollen, die Oskar Schindler in seinem Leben gespielt hat.

Die Ausstellung über Schindler und mit ihr verschiedene Führungen, Fortbildungen und Workshops können noch bis zum 27. Oktober besucht werden. Die nunmehr sechste Sonderausstellung dürfte – wie schon zuvor die Schau über das Leben des Schriftstellers Otfried Preußler – erneut ein Besuchermagnet werden.
Das im Herbst 2020 eröffnete Museum, dessen Baukörper das Sudetendeutsche Haus futuristisch verlängert, hat bereits einen festen Platz in der reichen Münchner Museumslandschaft. Eine Genugtuung für den in Augsburg lebenden Ortfried Kotzian, Vorsitzender der Sudetendeutschen Landesstiftung, die Trägerin der Kultureinrichtung ist. Waren doch Architektur und die Ausgestaltung des Hauses auch kritisiert worden. Kotzian indessen kann sich angesichts der Nominierung für die Auszeichnung als „Europäisches Museum des Jahres“ durch das Europäische Museumsforum im Jahr 2023 bestätigt fühlen.

Insgesamt hat der Neubau an der Hangkante zur Isar, geplant vom Münchner Architekturbüro pmp architekten, etwa 26 Millionen Euro gekostet. Zwei Drittel der Summe zahlte der Freistaat, ein Drittel der Bund. Die lange Vorlaufzeit des Vorhabens hatte den Vorteil, dass ein reiches Konvolut von Exponaten, darunter Schriftstücke und Bildmaterial für die Dauerausstellung – das Herz des Museums – zusammengestellt werden konnte. Auf fünf Ebenen und rund 1200 Quadratmetern wird multimedial über die alte Heimat und das Schicksal der Deutschen in Böhmen und Mähren und Sudetenschlesien informiert – die früheren Bewohner dieser drei Regionen werden heute als Sudetendeutsche zusammengefasst.
Der Besucher erfährt Grundlegendes über Herkunft, Religion, Brauchtum und regionale Vielfalt, über Wirtschaft, Industrie und das reichhaltige kulturelle Leben in den weit verstreuten Siedlungsgebieten. Die chronologische Dokumentation ist unterteilt in die Ebenen „Verlust der gemeinsamen Heimat“, „Flucht und Vertreibung“ sowie „Neue Heimat finden“.
Eine neue Heimat suchte Oskar Schindler nach dem Krieg vergeblich
Oskar Schindler suchte eine neue Heimat nach 1945 vergeblich. Seine Frau Emilia, deren Rolle bei der Rettung der Jüdinnen und Juden lange unterbelichtet blieb, starb 2001 in Argentinien. Die Brüche und abrupten Richtungswechsel im Leben Schindlers sind bis heute nur schwer zu enträtseln. Richtig liegen dürfte der Bundesvorsitzende der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Bernd Posselt, der bei der Vernissage sagte: „Was Oskar Schindler getan hat, konnte wohl nur ein schillernder Mensch tun.“