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Krieg in Nahost: Schatten über dem jüdischen Lichterfest

Krieg in Nahost

Schatten über dem jüdischen Lichterfest

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    Vor dem Brandenburger Tor in Berlin wurde am Donnerstag  das erste Licht an einem zehn Meter hohen Chanukka-Leuchter durch Rabbiner Yehuda Teichtal und Bundeskanzler Olaf Scholz entzündet.
    Vor dem Brandenburger Tor in Berlin wurde am Donnerstag das erste Licht an einem zehn Meter hohen Chanukka-Leuchter durch Rabbiner Yehuda Teichtal und Bundeskanzler Olaf Scholz entzündet. Foto: Christian Ditsch, dpa

    „Wir sind gekommen, um die Dunkelheit zu vertreiben“, lautet der Titel eines der beliebtesten Chanukka-Lieder ins Deutsche übersetzt. Allein in der ersten Strophe kommt drei Mal das Wort „Or“ vor, Hebräisch für „Licht“: „Jeder ist ein kleines Licht“, heißt es da etwa, „und gemeinsam sind wir ein starkes Licht.“ Für den 40-jährigen Israeli Michael Levy haben diese Zeilen in diesem Jahr eine neue, bittersüße Bedeutung erhalten. Denn „Or“ ist auch der Name seines 33-jährigen Bruders, den die Terroristen der Hamas bei ihrem Angriff am 7. Oktober in den Gazastreifen verschleppten. „Das macht Chanukka dieses Jahr für uns noch komplizierter“, sagt er am Telefon. 

    Die Gräueltaten der Hamas und der Krieg, der seitdem herrscht, werfen in Israel einen Schatten über das Lichterfest, das am Donnerstagabend begann und bis zum 15. Dezember dauert. Tausende Menschen haben bei dem Terrorangriff oder den Kämpfen im Gazastreifen Angehörige verloren, deren Abwesenheit zu einem familiären Fest wie diesem besonders schmerzhaft spürbar wird. Wieder andere quält, wie Michael Levy, die Sorge um die rund 140 Geiseln, die noch immer in Gaza festsitzen.

    Ein Hauch von Feststimmung in Israel

    Trotz allem ist in diesen Tagen auf israelischen Straßen jedoch zumindest ein Hauch festlicher Stimmung spürbar. Rathäuser haben wie jedes Jahr übermannshohe Leuchter aufgestellt. Cafés, Geschäfte, Büros und Kliniken sind dekoriert, wenngleich zurückhaltend. Und wie jedes Jahr kommen die Menschen zum abendlichen Kerzenanzünden zusammen, laden Freunde und Verwandte ein und essen Sufganiyot, das süße, klebrige Chanukka-Gebäck.

    Nicht alle Menschen in Israel nehmen das Lichterfest als Anlass für friedliches Beisammensitzen. Rechte Nationalisten hatten für Donnerstagabend einen Marsch durch Jerusalems Altstadt angemeldet, der auch durch das muslimische Viertel führte. Die Organisatoren sprechen von einem „Makkabäer-Marsch“, in Anspielung auf die Anführer jenes jüdischen Aufstandes, die sich gegen das Seleukidenreich erhoben. Dessen Vertreter in Jerusalem hatte ab etwa 168 v. Chr. verstärkt versucht, den dortigen Juden hellenistische Bräuche aufzudrängen, was einige von ihnen zu jener Rebellion bewegte, an die das Lichterfest erinnert. Die Veranstalter fordern zudem, „die vollständige jüdische Kontrolle“ über den Tempelberg und die Al-Aksa-Moschee wiederherzustellen.

    Angehörige versuchen, Normalität zu leben

    Die Moschee, das drittwichtigste Heiligtum im Islam, wird von einer muslimischen Stiftung verwaltet und steht symbolisch im Zentrum des Kampfes der Palästinenser um einen eigenen Staat. Ihrem Großangriff am 7. Oktober gab die Gruppe denn auch den Namen „Al-Aksa-Flut“. „Sollte es eine Provokation geben, die gefährlicher und aufhetzender ist und mit größerer Wahrscheinlichkeit einen Gewaltausbruch in Ostjerusalem und/oder im Westjordanland und/oder an der libanesischen Grenze auslöst, dann fällt mir keine ein“, schrieb der bekannte Jerusalem-Experte und Aktivist Daniel Seidemann über den Marsch auf der Plattform X.

    Die meisten Israelis hofften derweil auf ein ruhiges Chanukka-Fest, soweit das unter dem Eindruck des Krieges möglich ist. Michael Levy, der Bruder des entführten Or, hat selbst drei kleine Töchter; allein schon ihretwegen sei es ihm wichtig, auch dieses Jahr Chanukka zu feiern, sagt er. Außerdem versucht er, aus der Geschichte des Festes eine hoffnungsvolle Botschaft zu ziehen. Schließlich erinnert Chanukka an ein Wunder, das sich der Legende nach zugetragen sein soll, nachdem die Juden nach ihrem erfolgreichen Aufstand gegen die Seleukiden zu ihrem Tempel in Jerusalem zurückkehrten: Obwohl das dort verbliebene Öl nur ausreichte, um die Kerzen der Menora, des siebenarmigen Leuchters, für einen einzigen Tag zu entzünden, brannten sie wie durch ein Wunder ganze acht Tage lang, genau so viel Zeit, wie nötig war, um neues Öl herzustellen. „Das erinnert uns daran, dass Wunder passieren können“, sagt Levy. „Und wir hoffen auf das Wunder, dass Or zu uns zurückkehrt.“

    Bundeskanzler zeigt Solidarität mit Juden

    Alles andere als normal ist das Chanukka-Fest auch für die Juden in Deutschland. Zum Entzünden des großen Chanukka-Leuchters am Brandenburger Tor kommt in diesem Jahr erstmals der Bundeskanzler. In einer Zeit, in der viele jüdische Deutsche in ihrem Land wieder Angst haben, betont Olaf Scholz die Solidarität und den Kampf gegen Antisemitismus. Beruhigen kann das trotzdem nicht alle. Fast 1000 antisemitische Vorfälle haben die Meldestellen des Netzwerks Rias bundesweit im ersten Monat seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober registriert. Allein in Berlin waren es 282 derartige Taten. 

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