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Spionage: Deutschland im Fadenkreuz von Spionage-Supermächten

Spionage

Deutschland im Fadenkreuz von Spionage-Supermächten

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    Das Russische Haus der Wissenschaft und Kultur in der Berliner Friedrichstraße. Das Gebäude wird oft als "Putins Propagandastützpunkt" bezeichnet.
    Das Russische Haus der Wissenschaft und Kultur in der Berliner Friedrichstraße. Das Gebäude wird oft als "Putins Propagandastützpunkt" bezeichnet. Foto: Imago/schoening

    Berlin „Russisches Haus“ – dieser Schriftzug leuchtet in roter Schrift über dem Eingang. Kaum ein Kilometer entfernt vom vom Checkpoint Charlie, wo sich 1961 amerikanische und sowjetische Panzer gegenüberstanden, bröckelt die ehemals prunkvolle Fassade des Gebäudes aus Kalk und Granit. Auf einem Schild neben der goldverzierten Tür werden Pelmeni-Teigtaschen und Soljanka im hauseigenen Café beworben.

    Was hinter der Fassade des Gebäudes mitten in Berlin passiert, hat mit Gastronomie jedoch nur am Rande zu tun. Und auch die Bezeichnung Kulturzentrum führt offenbar in die Irre. Worum es in „Putins Propagandastützpunkt“, wie die Einrichtung oft betitelt wird, geht, ist etwas ganz anderes - knallharte russische Propaganda und wohl auch Spionage für den Kreml. Nun soll die Berliner Staatsanwaltschaft laut Medienberichten gegen die Träger des Hauses ermitteln. Erhärtet sich der Verdacht, dass das Russland-Haus dem Kreml untersteht, könnte es auf Grundlage der geltenden EU-Sanktionen geschlossen werden.

    Die Liste der Spionageaffären wird immer länger

    Es ist es kein Geheimnis, dass in Deutschland Tausende Agentinnen und Agenten aus aller Herren Länder ihrem geheimen Handwerk nachgehen, das „Russische Haus“ ist da nur ein Mosaiksteinchen – und der Kreml längst nicht die einzige Gefahr. Doch die Meldungen der letzten Wochen und Tage haben das Land aufgeschreckt – Festnahmen, Desinformationskampagnen dunkler Mächte, Sabotage.

    Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein Fall von mutmaßlicher feindlicher Spionage für Aufregung sorgt. So wurden in Düsseldorf und Bad Homburg zwei Männer und eine Frau wegen Verdachts der Agententätigkeit für China festgenommen. Sie sollen Informationen über Militärtechnik an den chinesischen Geheimdienst weitergegeben haben.

    Kurz darauf ließen die Behörden in Dresden Jian G. auffliegen. Der enge Mitarbeiter des AfD-Politikers Maximilian Krah steht im Verdacht, Informationen, zu denen er als Assistent des EU-Parlamentariers Krah Zugang hatte, an das chinesische Ministerium für Staatssicherheit geliefert zu haben. Auch dem Bundesnachrichtendienst (BND) sowie dem sächsischen Verfassungsschutz hatte der ominöse Jian G. zuvor seine Dienste vergeblich angeboten, wie die Deutsche Presse-Agentur am Freitag berichtete.

    Unter Druck: Maximilian Krah, AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl. Ein Mitarbeiter von ihm soll für China spioniert haben.
    Unter Druck: Maximilian Krah, AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl. Ein Mitarbeiter von ihm soll für China spioniert haben. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Keine Petitesse, denn Krah ist immerhin Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl im Juni. Zwar ist nichts bewiesen, doch es lässt aufhorchen, wenn selbst die Partei, die sonst auch noch so zwielichtige Akteure in den eigenen Reihen duldet, Krah vorerst aus dem Wahlkampf nimmt. Da passt ins Bild, dass der AfD-Spitzenfunktionär Petr Bystron mit ähnlich gelagerten Anschuldigungen zu kämpfen hat. Dem Bundestagsabgeordneten, hinter Krah auf Platz zwei der AfD-Europakandidatenliste, wird vorgeworfen, Schmiergeld aus Moskau angenommen zu haben.

    Die Aufzählung der Fälle ließe sich leicht fortsetzen. Ist Deutschland, wie nach 1945, Spitzeln und Spionen hilflos ausgeliefert, ist Berlin die „Ewige Stadt der Spione“, wie das John le Carré, Meister des Agentenromans, einst schrieb?

    Gerhard Conrad muss es wissen. Der Mann, Jahrgang 1954, ist keiner, der zu Alarmismus und schnellen Schlüssen neigt. 30 Jahre lang beim BND mit geheimen Missionen im Ausland betraut, gilt er als einer der erfolgreichsten Mitarbeiter in der Geschichte des Dienstes. Im Gespräch mit unserer Redaktion zeigt er sich wenig überrascht, dass immer wieder Namen von AfD-Politikern auftauchen, wenn es um Spionagefälle geht: „Geheimdienste suchen Milieus, in denen es eine ausreichend große Distanz zum herrschenden politischen System gibt. Dass dies bei der AfD so ist, daraus macht die Partei ja selbst keinen Hehl.“ Für russische oder chinesische Dienste liege es nahe, diese Distanz für die nachrichtendienstliche Ansprache, Werbung und Führung zu nutzen, sagt Conrad.

    Im Kreml soll man gar ein "Manifest" für die AfD entworfen haben

    Im Kreml hat man die Rechtsaußenpartei offenbar fast liebevoll im Blick. Bei einem Strategietreffen in der russischen Präsidialverwaltung Ende 2022 soll ein „Manifest“ der Partei mit Zukunftsoptionen für die AfD entworfen worden sein, wie der Spiegel am Freitag vermeldete. Das wäre ein Indiz dafür, wie wichtig die AfD für Moskau ist.

    Gerhard Conrad war 30 Jahre lang beim BND mit Missionen im Ausland betraut. Er sagt, dass die Befähigung der deutschen Nachrichtendienste auf den Prüfstand gestellt werden müsse.
    Gerhard Conrad war 30 Jahre lang beim BND mit Missionen im Ausland betraut. Er sagt, dass die Befähigung der deutschen Nachrichtendienste auf den Prüfstand gestellt werden müsse. Foto: Soeren Stache, dpa (Archivbild)

    In der Aktuellen Stunde des Bundestages am Donnerstag war es Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die den Blick weitete. Deutschland erlebe „hybride Angriffe in ganz neuer Dimension“, warnte die SPD-Politikerin. Und in der Tat: Es kann als gesichert gelten, dass von Peking und Moskau die größte nachrichtendienstliche Gefahr für Deutschland ausgeht. Was in der aufgeregten Diskussion aber oft untergeht, ist, dass sich Methoden und Ziele dieser Spionage-Supermächte deutlich voneinander unterscheiden.

    Russlands Dienste arbeiten aggressiv, scheuen auch Mordanschläge im Ausland nicht, suchen den schnellen, spektakulären Erfolg. Und China? Ein dem chinesischen Philosophen Konfuzius, der etwa 500 Jahre v. Chr. gelebt hat, zugeschriebenes Zitat trifft es ganz gut: „Wer das Ziel kennt, kann entscheiden; wer entscheidet, findet Ruhe; wer Ruhe findet, ist sicher; wer sicher ist, kann überlegen; wer überlegt, kann verbessern.“ Klingt wie ein etwas lang geratenes Motto für Nachrichtendienste „Made in China“.

    Experte Gerhard Conrad: "China arbeitet langfristig, subtil und nachhaltig"

    Was das, übertragen auf die Strategie chinesischer Geheimdienstarbeit bedeutet, erklärt Geheimdienstexperte Conrad: „China arbeitet langfristig, subtil und nachhaltig. Im Cyberraum verfolgt Peking eine breit angelegte Strategie des ‚Hack to Exploit’ – zu Deutsch ‚Hacken und Ausbeuten’. Das machen andere Dienste auch, aber China schon seit Jahren im ganz großen Stil.“ Dabei werden ganze Datenbanken in den USA oder Europa gehackt und geplündert, zum Beispiel von Versicherungen oder Einwohnermeldeämtern. „Diese gigantischen, auf den ersten Blick wertlosen Datensätze werden über Jahre zu Millionen von Personenprofilen verknüpft.

    Schilder mit Sprüchen einer BND-Imagekampagne: Der deutsche Auslandsgeheimdienst versucht auf diese Weise, neue Mitarbeitende zu gewinnen.
    Schilder mit Sprüchen einer BND-Imagekampagne: Der deutsche Auslandsgeheimdienst versucht auf diese Weise, neue Mitarbeitende zu gewinnen. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Aus diesem Reservoir können die chinesischen Dienste dann etwa gezielt den Mitarbeiter eines Rüstungsunternehmens oder einer Partei samt persönlichem und organisatorischem Umfeld filtern, der möglicherweise geheimdienstlich angegangen werden kann“, erklärt der Experte.

    Wer sich einmal darauf eingelassen hat, gerät schnell in ein fatales Abhängigkeitsverhältnis. „Das geht durch Affinität, durch Geld oder auch Kompromittierung. Jeder, der eine längere verdeckte Kooperation mit einem ausländischen Nachrichtendienst eingegangen ist, ist ja per se verstrickt. Da braucht es keine schlüpfrigen Bilder oder Ähnliches“, erklärt Conrad.

    Dass Russland nicht erst seit dem Überfall auf die Ukraine auf eine weit rabiatere Gangart als China setzt, ist bekannt. 2019, ziemlich genau um die Mittagszeit, geht ein Asylsuchender aus Georgien durch den Kleinen Tiergarten am Rande des Berliner Regierungsviertels, als sich ein Mann auf einem Fahrrad nähert. Der Radler tötet den Georgier mit zwei Schüssen aus nächster Nähe in Kopf und Rücken. Weil der Täter beobachtet wird, wie er Fahrrad und eine Perücke in die Spree wirft, kann er verhaftet werden. Das Gericht, das ihn zu lebenslanger Haft verurteilt, ist überzeugt, dass der „Tiergartenmörder“ im staatlichen russischen Auftrag gehandelt hat.

    Für Geheimdienstexperten wie Conrad sind solche Exekutionen die extremen Beispiele in einer breiten Palette russischer Agententätigkeit, die Schwerpunkte liegen woanders. „Da geht es einmal um Militärspionage und politische Subversion, nötigenfalls auch um Sabotage“, sagt er.

    Spionage und Propaganda sind umschlungene Liebende

    Doch es gibt einen weiteren Aspekt russischer Wühlarbeit, der immer stärker in den Fokus gerät: Spionage und Propaganda sind eng umschlungene Liebende, heißt es in der klandestinen Welt der Geheimdienste. Ebenso wichtig wie die Gewinnung geheimer Informationen ist ihnen die Beeinflussung der öffentlichen Meinung und der Politik des Ziellandes.

    Ein Feld, das von Moskau mit zahllosen „Troll-Fabriken“ und hohem technischen Aufwand beackert wird. Insbesondere die USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland sind das Ziel russischer Desinformationskampagnen. „Damit soll über eine Vielzahl von Social-Media-Kanälen die Erzählung verbreitet werden, dass Russland ohnehin nicht zu besiegen sei, also die weitere Unterstützung für die Ukraine sinnlos ist und das Blutvergießen nur verlängern würde“, sagt Conrad. Der Erfolg davon ist hierzulande beträchtlich.

    Dass Deutschland nach Mauerfall und Wiedervereinigung nicht so genau hingesehen hat, wie Moskaus Spione ihre Netze verstärkten, ist bekannt. Schließlich galt Russland zunächst lange als befreundete Nation - und später als Gaslieferant für die Energiewende. Inzwischen hat sich das Klima verschärft. Zuletzt wurden etliche russische Diplomaten ausgewiesen. Zudem schloss Deutschland mehrere russische Konsulate, darunter das in München, zu dem der flüchtige mutmaßliche Wirecard-Betrüger Jan Marsalek enge Kontakte unterhielt.

    Vor 50 Jahren zwang die Guillaume-Affäre Kanzler Willy Brandt zum Rücktritt

    Die jüngsten Enthüllungen lenken den Blick auf einen Spionagefall, der vor 50 Jahren die Bonner Republik erschütterte. Willy Brandt trat 1974 als Bundeskanzler zurück, nachdem Günter Guillaume, einer seiner engsten Mitarbeiter, als Stasi-Spitzel enttarnt worden war. Regierungschef war der für eine Annäherung an Osteuropa eintretende SPD-Politiker zu diesem Zeitpunkt nur deshalb noch, weil der berüchtigte DDR-Auslandsgeheimdienst 1972 bei einem Misstrauensvotum gegen Brandt im Bundestag zum bewährten Mittel der Bestechung gegriffen hatte.

    Ein Foto aus dem November 1973: Willy Brandts damaliger persönlicher Referent Günter Guillaume (rechts) mit dem Bundeskanzler, dessen Sohn Matthias und dessen Ehefrau Rut.
    Ein Foto aus dem November 1973: Willy Brandts damaliger persönlicher Referent Günter Guillaume (rechts) mit dem Bundeskanzler, dessen Sohn Matthias und dessen Ehefrau Rut. Foto: Peter Popp, dpa

    Was muss heute geschehen, um das nachrichtendienstliche Dreigestirn in Deutschland aus BND, dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) und dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) zu stärken? Für Conrad liegt der Verweis zur angekündigten „Zeitenwende“ beim Militär nahe: „Ganz generell muss die Befähigung der Nachrichtendienste wie jene der Bundeswehr angesichts der neuen Qualität und Quantität von Bedrohungen und Risiken auf den Prüfstand gestellt werden. Da geht es um das Können und das Dürfen.“

    Mit „Dürfen“ meint der Experte die juristischen Beschränkungen der deutschen Nachrichtendienste. „Wir sollten schauen, wie die Dienste in befreundeten Ländern mit einer gleichen Werteorientierung wie etwa die USA, Großbritannien oder Frankreich arbeiten. Die sind nicht schlauer als wir oder – mit der möglichen Ausnahme der USA – a priori technisch weit überlegen, aber sie unterliegen nicht so vielen juristischen Einschränkungen.“

    Der Ex-Agent schickt eine eindringliche Warnung hinterher: „Wenn wir unseren Geheimdiensten von vornherein unzureichende Instrumente an die Hand geben, dann werden wir nachrichtendienstlich blind – das wäre schlicht verantwortungslos.“

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