Er kann die Fragen auswendig. Ob er mit seinem Sohn über seine Sexualität spreche, ob der Sohn in der Schule angefeindet werde und so weiter. „Für viele ist das unvorstellbar“, sagt Patrick Lindner dann, aber seine Familie lebe nicht anders als andere Familien. Sein Sohn Daniel wachse ganz normal auf, mit den gleichen Werten, die seine Eltern auch schon ihm mitgegeben hätten. Für seinen Sohn sei er ein ganz normaler Vater, seine sexuelle Orientierung nicht ständig Thema: „Mit unserer Familiensituation gehen wir daheim ganz natürlich um.“
Vor 14 Jahren hat der heute 52-jährige Schlagersänger seinen Sohn, damals acht Monate alt, aus einem russischen Kinderheim adoptiert. Gemeinsam mit seinem damaligen Partner hatte er entschieden, eine Familie zu gründen. Ein Jahr später folgte Lindners offizielles Outing. Seitdem ist er, zumindest in Deutschland, der wohl prominenteste Homosexuelle mit einem adoptierten Kind. Seine Familie war die erste öffentliche Regenbogenfamilie, lange bevor das Wort Eingang in den Duden fand. Ein Vorreiter wollte er nie sein, sagt er im Telefongespräch mit unserer Zeitung. Er habe nichts anderes getan, als einem Kind ein Zuhause zu geben. So wie es viele Menschen machen.
Lindners Einstellung ist klar: „Kein Mensch hat sich seine Sexualität ausgesucht“, sagt er. Dieser Satz ist ihm wichtig. „Die ganze Welt spricht über Toleranz und darüber, dass man alle Menschen gleichbehandeln muss.“ Warum also sollte man Homosexuellen verweigern, eine Familie zu gründen, ein Kind zu haben, glücklich zu sein?
Genau das wurde bislang, zumindest teilweise, durch deutsches Recht getan. Eine Einzelperson darf in Deutschland, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung, ein Kind adoptieren, gleichgeschlechtliche Paare nicht. Leben Homosexuelle in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft, dann kann der eine Partner das leibliche Kind des anderen adoptieren. Hat aber der eine ein Kind adoptiert, konnte der andere es rechtlich nicht als eigenes Kind annehmen – bislang. Denn das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat entschieden, dass das Verbot dieser sogenannten Sukzessivadoption gegen das Recht auf Gleichbehandlung verstoße. Auch schwulen und lesbischen Lebenspartnern müsse in diesen Fällen eine Adoption möglich sein. Die Entscheidung betrifft jedoch nicht die Frage der gleichzeitigen, gemeinschaftlichen Adoption durch beide Lebenspartner. Hier gibt es nach wie vor eine Ungleichbehandlung.
Den Anstoß zum jetzigen Urteil haben ein lesbisches und ein schwules Paar gegeben, die den Fall vor das Gericht gebracht haben. Beiden durften das Adoptivkind des jeweiligen Partners nicht adoptieren.
Bei der gestrigen Entscheidung geht es allerdings nicht nur um die Auslegung eines Gesetzes, sondern um ganz grundlegende Fragen: Was ist eine Familie? Müssen Eltern immer Mann und Frau sein? Können auch homosexuelle Paare gute Eltern sein? Für schwule und lesbische Paare ist das ein wichtiger Schritt in Richtung Gleichstellung, eine auf allen Ebenen akzeptierte Homo-Ehe rückt ein Stück näher.
Ein längst überfälliger Schritt, sagt Patrick Lindner. Warum schwule und lesbische Paare Ehepartnern in diesem Fall noch nicht gleichgestellt sind, kann er nicht verstehen. Es passt nicht in sein Weltbild, das Benachteiligung, Intoleranz und Missgunst nicht vorsieht. Wenn Lindner über sein Leben als Adoptivvater redet, dann geht es viel um Liebe, um Erfüllung und um Glück. Ob das nun Schwule, Lesben oder Heterosexuelle finden, macht für ihn keinen Unterschied.
Lindners Geschichte könnte auch die Geschichte vieler anderer Regenbogenfamilien sein: Immer wieder reist der Schlagersänger in den 90er Jahren nach Russland, im Schlepptau eines humanitären Hilfsprojekts, das sich um Straßenkinder kümmert. Lindner sieht und erlebt viel. Er besucht Kinderheime, Krankenhäuser, Kinder auf der Straße. An Adoption denkt er noch gar nicht.
Zu dieser Zeit lebt Lindner mit seinem damaligen Freund Michael Link zusammen, ihre Partnerschaft hängen die beiden nicht an die große Glocke, in München ist sie aber kein großes Geheimnis. Irgendwann reift der Wunsch in beiden, ein Kind zu adoptieren, eine Familie zu gründen. Lindner stellt Anträge, wendet sich an Behörden in Russland und Deutschland, rund ein Dreivierteljahr dauert der ganze Prozess.
Einen „wahnsinnigen Weg“ habe er gehen müssen, um zu zeigen, dass er geeignet sei. „Ich hatte keinen Promi-Bonus“, betont der Schlagersänger.
Sechs Jahre nach der Adoption zerbricht die Beziehung zu Link, der auch sein Manager war. Patrick Lindner ist jetzt alleinerziehend, eine Sache, die nun mal auch in schwulen Beziehungen vorkomme, genau wie bei heterosexuellen Paaren. 2011 lernt er seinen neuen Freund, Peter Schäfer, kennen. Der hat bereits einen erwachsenen Sohn, Lindners Familie ist jetzt Regenbogen- und Patchworkfamilie zugleich.
Vorurteile der Gegner sind unter anderem, dass die Kinder ständig der Gefahr einer Identitätskrise ausgesetzt seien, dass die Homosexualität der Eltern vielleicht „abfärben“ könnte, dass die Kinder in der Schule unter Hänseleien leiden müssten. Patrick Lindner hält das für Unsinn. Daniel habe bis auf wenige Ausnahmen keine Anfeindungen erlebt. „Aber am Anfang habe ich mir oft Sorgen gemacht“, gibt er zu. „Vieles ist aber gar nicht eingetreten.“ Es komme immer darauf an, wie man mit seinem Umfeld umgehe und sich nach außen gebe.
Mittlerweile hat er seinen Sohn aus der Öffentlichkeit genommen, Fotos des Jungen sollen künftig nicht mehr in Zeitungen, Zeitschriften und im Internet landen. Dass sein Vater ihm Facebook-Verbot erteilt, dass er ihn an einem Radler nippen ließ, all das soll künftig nicht mehr zu lesen sein. Daniel sei in der Pubertät, er wolle das so – und Patrick Lindner und sein Lebensgefährte wollen ihm die Chance geben, unbehelligt erwachsen zu werden – so wie in anderen Familien auch.