Sie gilt als Vorzeige-Hilfsorganisation. Seit 1981 leistet die Stiftung „Menschen für Menschen“ in Äthiopien Aufbauarbeit – sei es in Bildung, Landwirtschaft oder Gesundheit. 4,6 Millionen Menschen leben aktuell in elf Projektgebieten. Wie kaum eine Organisation ist „Menschen für Menschen“ (MfM) mit dem Namen ihres Gründers und langjährigen Vorsitzenden verbunden: Karlheinz Böhm (84), bekannt als „Sissi“-Kaiser der 50er und aus sozialkritischen Filmen in 60er und 70er Jahren. Dann wechselte er seine Lebensrolle und ging nach Äthiopien, als „Entwicklungshelfer“ – ein Begriff, den er selbst nie mochte. Er wollte sich als Partner und Lernender verstanden wissen. Und jetzt soll sein Lebenswerk am Horn von Afrika „zerstört“ werden, wie die „Bild“-Zeitung dieser Tage reißerisch titelte?
Zwei Großspender hatten vor Monaten interne Vorwürfe erhoben, „Bild“ machte sie öffentlich. Schon jetzt dürften die Negativ-Schlagzeilen einen schwer reparablen Schaden für „Menschen für Menschen“ angerichtet haben. Wo die Glaubwürdigkeit von Hilfsorganisationen in Frage gestellt wird, sind Spender verunsichert. Auch in Mainfranken hat MfM immer viel Unterstützung erfahren. Man denke an die von dieser Zeitung ins Leben gerufene Spendenwette mit Karlheinz Böhm im Jahr 2004: Mit 300 000 Euro unserer Leser wurden eine Schule – die 100. von „Menschen für Menschen“ – und eine Gesundheitsstation gebaut. 2011, zum 30. Geburtstag der Organisation, beteiligte sich Würzburg an einer bundesweiten Städtewette. Über 70 000 Euro kamen hier zusammen, ebenfalls für eine neue Schule. Und Almaz Böhm, äthiopische Ehefrau von Karlheinz Böhm und seit Ende 2011 Vorstandsvorsitzende der Stiftung, war zuletzt Ende November in Würzburg – als diesjährige Patin der Ehrenamtsaktion „Zeichen setzen“ der Main-Post.
Almaz Böhm nennt es „Lügen“
Sie ist betroffen und entsetzt ob der erhobenen – teils persönlichen – Angriffe, spricht von „Lügen“ und hat sich mit Klarstellungen an die Öffentlichkeit gewandt. Unzutreffende Vorwürfe würden gestreut, um das Vertrauen in die Stiftung zu erschüttern. Die Vorwürfe stammen überwiegend von Jürgen Wagentrotz (68). Der ehemalige Herausgeber eines Casino-Magazins, Unternehmer im Ruhestand und Aussteiger auf einer Karibikinsel will von dort aus seit 2004 die Stiftung mit acht Millionen Euro an Spenden bedacht haben. Er spare sich die Einkommenssteuer, sagte er einst einem Fachmagazin, und unterstütze damit Hilfsorganisationen in Äthiopien: „Meine humanitären Spendengelder sind keine Almosen, sondern Hilfe zur Selbstentwicklung. Nur so kann dieses Land mit seinen armen Menschen sein wirtschaftliches Potenzial erhöhen.“
Was Wagentrotz nach Jahren an der Seite von „Menschen für Menschen“ zu seiner öffentlichen Attacke bewog, ist unklar. Aus dem Kuratorium der Stiftung – ihm gehören Vertreter wie Starkoch Ralf Bos oder Münchens Oberbürgermeister Christian Ude an – ist der Millionen-Sponsor zurückgetreten. Verletzte Eitelkeiten oder sachliche Gründe? Drei weitere Kuratoriumsmitglieder lassen derzeit ihre Ämter ruhen, wie Almaz Böhm in einer Stellungnahme erklärte. Ein Indiz für Spannungen und Auseinandersetzungen. Sie scheinen sich vorrangig um den geplanten Neubau der MfM-Zentrale in Addis Abeba zu drehen. „Viel zu groß“, kritisierte Wagentrotz angeblich gegenüber Almaz Böhm.
Diese räumt ein, dass es unterschiedliche Auffassungen über das Gebäude gegeben habe. Das Grundstück habe die Stadt Addis Abeba der Organisation zwar kostenlos zur Verfügung gestellt. Aber Auflagen hätten MfM zunächst zu einem überdimensionierten Bau gezwungen. Mittlerweile seien diese Bauauflagen reduziert worden. Das Bürohaus für 66 Mitarbeiter samt Logistikzentrum sei mit 1,1 Millionen Euro veranschlagt. Hier werden alle Projekte der Organisation mit ihren landesweit über 750 Mitarbeitern koordiniert. Böhm: „Der geplante Bau ist weder zu groß, noch werden hier Spendengelder verschwendet.“ Bisher arbeiten die Angestellten in beengten Container-Büros, für die der Mietvertrag 2014 ausläuft.
Schulen: Note 1,6 vom TÜV-Rheinland
Neben der neu geplanten Verwaltungszentrale bemängelt Wagentrotz den Umgang mit den mittlerweile 310 Schulen, die MfM in Äthiopien gebaut hat. Die Organisation habe den Spendern verschwiegen, dass sie nach Fertigstellung an den Staat übergehen. Und der lasse sie verkommen. Kenner der Organisation und der Verhältnisse schütteln da nur den Kopf. Seit jeher ist es bekannte Praxis, dass MfM mit Spendengeldern die Schulen errichtet – für Unterhalt und Personal aber der Staat verantwortlich ist. Gehört es doch zur Grundphilosophie von „Menschen für Menschen“, weder an der örtlichen Verwaltung vorbeizuplanen noch sie aus der Verantwortung zu nehmen. Auch die Bevölkerung vor Ort packt mit an.
Was die „Main-Post-Schule“ in Wolkebela angeht, so konnte sich der Autor dieses Beitrags im Januar 2011 ein Bild vom Zustand sechs Jahre nach Eröffnung machen: Kinder und Erwachsene waren zutiefst dankbar. Und Gebäude und Außenanlagen befanden sich in einem gepflegten Zustand. Almaz Böhm schreibt dazu in ihrer Stellungnahme: „Wir überlassen die von uns gebauten Schulen nicht ihrem Schicksal. Wer allerdings erwartet, dass alle Schulen in Äthiopien oder auch alle medizinischen Einrichtungen dem üblichen westeuropäischen Standard entsprechen, verkennt die Situation in meinem Land.“ Erst Ende 2012 habe der TÜV-Rheinland als externer Prüfer die Schulbauten von „Menschen für Menschen“ in Äthiopien mit der Note 1,6 bewertet.
Auch den Vorwurf mangelnder Transparenz weist Almaz Böhm deutlich zurück. Seit 1992 erhalte MfM jährlich das Spendensiegel des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen (DZI), des sogenannte „Spenden-TÜVs“. Das DZI hat aufgrund der Anschuldigungen nicht korrekt verbuchter Spenden nun Informationen verlangt und will eine Sonderprüfung einleiten. Gerade in puncto Transparenz und geringem Verwaltungsaufwand gilt „Menschen für Menschen“ als vorbildhaft und wurde dafür ausgezeichnet.
Seit Anfang der Woche wehrt sich die Organisation per Anwalt gegen die Behauptungen des ehemaligen Großspenders. Wagentrotz habe in der „Bild am Sonntag“ „erneut falsche und böswillige Unterstellungen aufgestellt“, heißt es in einer Erklärung vom Montag. Die Stiftung will deshalb Anzeige gegen den Ex-Unternehmer wegen Verleumdung erstatten. Gegenüber dem DZI habe man alle Fragen umgehend beantwortet und dem Institut die gewünschten Unterlagen für eine Prüfung zur Verfügung gestellt. Die Stiftung dementiert auch die angebliche Höhe der Wagentrotz-Spenden von acht Millionen Euro: „Die von ihm gespendeten Beträge in Höhe von rund 630 000 Euro wurden für die Projekte in Äthiopien verwendet. Außerdem hat Herr Wagentrotz eigene Marketingmaßnahmen finanziert und selbst bezahlt.“
Es ist nicht das erste Mal, dass die „Bild“-Zeitung einen Skandal bei der Böhm-Stiftung wittert und Stimmung macht. Ende November 1992 titelte das Blatt: „Böhm – ausgeplündert, Spenden weg?“ Damals hatten Rebellen in Böhms allererstem Projektgebiet im Erertal geplündert. Betroffen war nur ein Bruchteil, laut Böhm 0,4 Prozent der Spendengelder. „Bild“ hämmerte pauschal („alles zerstört“), wollte die Schlagzeile statt Information. Auch 1992 reagierte die Stiftung gleich am Tag nach der Veröffentlichung mit allen Zahlen und Hintergründen, damals noch mit Karlheinz Böhm als Vorsitzendem.
Karlheinz Böhm: Rückzug ins Privatleben
2004 war er zuletzt in Würzburg, berichtete beim Africa Festival über die Arbeit und freute sich über den dicken Spendenscheck aus Mainfranken. Am 16. März wird der Schauspieler 85 Jahre alt – und es ist still um ihn geworden. Von einem schweren Autounfall in Äthiopien im Oktober 2007 und einem Krankenhaus-Aufenthalt hat sich Böhm nur langsam erholt. Das fortschreitende Alter hat mittlerweile deutliche Spuren an dem einst gefeierten Star oder – wie sie ihn in Äthiopien nennen – „Vater Karl“ hinterlassen. Die Öffentlichkeit meidet er.
Dass dies nun seiner Frau Almaz zum Vorwurf gemacht wird, trifft sie schwer. Ebenso die Aussage von Ex-Sponsor Wagentrotz, sie kümmere sich nicht um ihren Mann. Dazu die 48-Jährige: „Ich pflege ihn, wann immer es notwendig ist.“ Über seinen Zustand verrät sie wenig, und sie sagt auch warum: „Ich musste meinem Mann versprechen, dass ich ihn schütze, wenn er alt, krank oder gebrechlich ist. An dieses Versprechen halte ich mich. Die Menschen sollen Karl so in Erinnerung behalten, wie sie ihn von früher kennen.“ Eine Erklärung, die aus zwei Blickwinkeln plausibel wirkt. Erstens genießen ältere Menschen in der äthiopischen Gesellschaft deutlich mehr Respekt und Wertschätzung als in Deutschland. Und zweitens: Stolz und Eitelkeit gehören zum Schauspieler Böhm ebenso wie ein starker Wille.
Seine Prominenz und Popularität hat er seit 1981 genutzt, um Aufmerksamkeit nach Äthiopien zu lenken und Spenden für die Projektarbeit einzutreiben. Und so mancher Großspender sonnte sich nur zu gern in Böhms Promi-Glanz. Das geht nun nicht mehr und könnte manch persönliche Abwendung erklären. Die Nachfolgerin an der Spitze, die studierte Rinderzucht-Expertin Almaz, setzt auf Sacharbeit. Schließlich weiß sie, dass es nicht um das Lebenswerk des Karlheinz Böhm geht, sondern um das Leben von Millionen Menschen in Äthiopien.