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Das wahre Gesicht der Fasnacht

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Das wahre Gesicht der Fasnacht

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    Wichtiges Motiv der Narren sind Blumen. Sie müssen einheimisch sein, sonst dürfen sie nicht aufs Häs.
    Wichtiges Motiv der Narren sind Blumen. Sie müssen einheimisch sein, sonst dürfen sie nicht aufs Häs. Foto: Fotos (3): Roland Sigwart

    Sein wichtigstes Bild malte er im Jahr 1956. Es ist das Bild seines jungen Lebens. In einem Bauernkittel schaut er fröhlich in die Welt hinaus. Klaus Sigwart hat sich damals selbst konterfeit. Mit Hilfe eines Spiegels zeichnete er seine Gesichtszüge auf den Rückenteil eines Weißnarren. Das Porträt ist etwa 40 Zentimeter breit und die Farben wirken bis heute frisch.

    Für die Verhältnisse der Fasnacht bedeutete das eine kleine Revolution. Denn das Fasnachtshäs ist narrenamtlich festgeschrieben und vernäht. Es soll immer gleich aussehen. So war die Figur auf dem Rücken immer stilisiert, sie wies keine Ähnlichkeit zu lebenden Menschen auf. Sigwart, damals 20 Jahre alt, durchbrach die ungeschriebene Regel und malte sich als kecken Gesellen auf das eigene Narrenkleid. Der Strich saß und der Streich auch.

    Heute, 60 Jahre später, schmunzelt der Handwerksmeister über die Episode. Vieles ist anders, weiß er. Über die Werkstatt in der Pfarrgasse ist die Zeit hinweggegangen. Der alte Hansel von 1956 hängt bis heute säuberlich auf dem Kleiderbügel. „Der Sohn trägt ihn, weil ich nicht mehr kann“, sagt Sigwart und weist auf sein Ebenbild hin.

    Dem Malen am Narrenkleid ist Sigwart über die Jahre treu geblieben. Wie die Nachbarstädte Bräunlingen und Donaueschingen versteht sich auch Hüfingen im Schwarzwald-Baar-Kreis als Narrennest. Die Stadt an der Breg zählt zu den alten Hochburgen, in denen kein Bürger an der Fünften Jahreszeit vorbeikommt. Es sei denn, er verreist und flieht vor der Vermummung.

    Seit dem ersten Porträt hat er 35 weitere Weißnarren bemalt. Vom Halsausschnitt bis zum Hosenende wird der Leinenstoff mit Ölgemälden verschönert. Seiner Methode ist er treu geblieben. „Jeder ist individuell“, sagt der Künstler, „auf jedem Narren sieht man eine Person, die lebt oder gelebt hat.“

    Künstlertum liegt in der Familie

    Was der verschmitzte Mann nicht sagt: Es bedarf großer Kunstfertigkeit. Nur wenigen gelingt es, einen Menschen so zu malen, dass man ihn erkennt. Sigwart schafft das nahtlos, noch mehr: Ihm genügt unter Umständen eine alte Schwarz-Weiß-Fotografie. Mehr braucht er nicht. Immer wieder setzt er sich hin und arbeitet an den Gesichtszügen. Das Malen strengt den alten Herrn inzwischen an, zumal die Augen jetzt schneller müde werden.

    „Das Zeichnen liegt mir. Schon der Großvater war Bildhauer. Ein bisschen liegt das in der Familie“, sagt Sigwart. Er geht auch sonst mit Farbe und Leinwand leicht um. Er lernte erst Maler, qualifizierte sich zum Gesellen, machte den Meister. Dann fand er in der Hinterlassenschaft eines Malers alte Kunstzeitschriften. Er blätterte darin und fand Geschmack am Gestalten und Zeichnen. Also ging er bei den Kirchenmalern in Überlingen in die Lehre. Er restaurierte Altäre, ergänzte Heiligenbilder und reparierte Kruzifixe, um sie am Ende neu zu fassen und zu vergolden. Manche Kapelle und Kirche in den Kreisen Schwarzwald-Baar oder Tuttlingen erhielt durch ihn neuen Glanz.

    Die Narretei betrieb er stets nebenher. Die Stoffbahnen von drei Dutzend Leinennarren bemalte er seitdem nach dem immergleichen Schema: Pflanzen für Arme und Beine und Brust, das Porträt für die Rückenpartie. Stolz blättert er in einer Mappe, in der die Aufträge wie Jahresringe dokumentiert sind. „Ein Porträt ist eine Ehre“, meint Klaus Sigwart. Eine Person wird dadurch dokumentiert und weitergetragen. Eines Tages schlüpfen die Kinder, dann die Enkel in das Häs mit dem Bild eines Vorfahren. Das ist der Unterschied.

    In Hüfingen räumt die Zunft den Auftraggebern immer große Freiheiten ein. Ähnliches gilt für Rottweil oder Schömberg (Zollernalbkreis). In anderen Orten dagegen sind die Motive strikt vorgegeben wie zum Beispiel in Villingen oder Bräunlingen. Wer genau hinschaut, kann die einzelnen Weißnarren gut unterscheiden und sie einer bestimmten Stadt zuweisen. Dabei weisen sie auf denselben Ursprung, was man leicht an den Masken ablesen kann: Sie sind äußerst harmonisch, glatt und mit ebenmäßigen Zügen ausgestattet. Es sind die Gesichter eines Engels, weder männlich noch weiblich. So bilden sie den gewollten Gegensatz zur Hässlichkeit der Hexenwelt.

    Etwa 100 bis 110 Hansel gehen mit ihrem Gretle am Fasnetszischtig (Fasnachtsdienstag) auf die Gasse, berichtet der Hüfinger Zunftmeister Thomas Schmid. Das ist viel. Vor einigen Jahrzehnten waren es 30 oder 40. Der Hansel geriet zur bedrohten Art. Nun zieht der Typus wieder Nachwuchs heran. Familien bestellen ein Exemplar bei einem der zehn Maler, die das Handwerk beherrschen. Auch Brigitta Schmid, die Frau des Zunftmeisters, zählt dazu.

    Das Gewand – ein Kunstwerk

    Wo liegt der Ursprung für die Leinennarren mit dem schönen Gesicht? Man findet dafür keine überzeugende Antwort. Der Volkskundler Jochen Schicht lokalisiert die damalige Reichsstadt Nürnberg als Herkunft. Dort habe es im 15. und 16. Jahrhundert erste Kostüme mit aufgemalten Ornamenten gegeben. Damit wird auch ihr Charakter als Illusion deutlich: Die Pflanzen oder Menschen auf den Kleidern sind nicht echt, sondern Kunstwerk. Sie tun, als ob. Das passt gut zum Charakter der Fasnacht als einer Zeit der Illusion, des Verstellens und Vorgaukelns.

    Der Freiburger Fasnachtsforscher Werner Mezger hat eine andere Theorie entwickelt: Bemalte Kleidung fand er vor allem in den italienischen Lustspielen des 18. Jahrhunderts vor. Die Commedia dell'Arte versah ihre Kostüme bereits mit bunten Applikationen, darunter auch Brillen (damals Symbol der Narretei).

    Meister Sigwart hat seinen Berufsweg und dessen spezielle Variante des Häsmalers nie bereut. Ihm kann der närrische Habit gar nicht kunstvoll genug sein. Er versteht jene nicht, die sich ihr Narrenkleid von einem Amateur pinseln lassen nach dem Motto „Das kann jeder“. Das widerstrebt Sigwarts handwerklichem Ehrgeiz. Fasnacht ist flüchtig, ein paar Tage im Jahr nur. Doch das Häs selbst überlebt den Träger. Es wird vererbt und weitergereicht, wenn die Erben es nicht gerade verbeuteln. Im besten Fall wird es zum Fixum der Familiengeschichte, zum Erbstück.

    Das alles hat seinen Preis. Klaus Sigwart kommt locker auf 200 Arbeitsstunden für jeden Hansel, den er malt. So lange sitzt er in der Werkstatt, rührt die Ölfarbe an, prüft das Leinen, das ihm der Kunde zugeschnitten bringt (zum Anzug vernäht wird es nach dem Malen). 3000 Euro nimmt er für jedes Exemplar. Zurzeit hat er drei Bestellungen, die er nach und nach abarbeitet. Er denkt schon voraus für 2017 und ahnt: Es wird noch viele Fasnachten geben. Mit ihm und nach ihm.

    Was ist was in der alemannischen Fasnacht?

    Die Fasnacht ist eines der letzten Reservate des Dialekts. Das zeigen die Bezeichnungen für das Zubehör. Sie stammen aus dem alemannischen Sprachraum: Fasnacht oder Fastnacht? Tatsache ist: Die Schreibweise wechselt je nach Region in Süddeutschland. Es gibt keine einheitliche Orthografie, sondern lokale Varianten. Bedeutung: Fasnacht hat nichts mit dem Austreiben des Winters zu tun, auch wenn sich die Erklärung mit der Hartnäckigkeit einer Grippe hält. Fasnacht (oder Fastnacht) ist die Nacht vor Beginn der Fastenzeit am Aschermittwoch. Hansel ist einer der ältesten Narrentypen der Fasnacht. Kennzeichen ist der weiße, bemalte Leinenanzug sowie eine glatte, schöne Larve. In Hüfingen gehen nur Männer als Hansel. Sie werden begleitet von einer Frau in Frauentracht (Gretle). Häs ist das Kleid des Narren. Es kann aus grobem Leinen sein und bemalt. Oft ist das Gewand des Narren zusammengestückt aus alten Fetzen und Lumpen. Larve ist die Maske des Narren und das wichtigste Element seiner Verkleidung. In einigen Orten wie zum Beispiel Villingen heißt die Larve auch Scheme (vom griechischen Schema).

    Schelle ist die Glocke, die der Narr mit sich führt. Oft sind sie an einem Lederriemen befestigt, der bis zu zehn Schellen aufnehmen kann. Während die Schelle offen ist (wie eine Kirchenglocke), ist die Rolle rund und geschlossen. Text: Uli Fricker

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