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„Der Vogl dringd Wasa“

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„Der Vogl dringd Wasa“

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    „Der Vogl dringd Wasa“
    „Der Vogl dringd Wasa“

    Den Satz „Der Vogel trinkt Wasser“ richtig zu schreiben, dürfte vor der Jahrtausendwende den wenigsten Zweit- oder Drittklässlern Probleme bereitet haben. Damals, als noch ein anderer Lehrplan für Grundschulen galt, pflegten Lehrer Wörter aus dem Grundwortschatz, Wörter wie „Vogel“, „Wasser“ oder „trinken“, immer wieder einzuüben.

    Wer heute eine Gruppe Zweitklässler das Sätzchen „Der Vogel trinkt Wasser“ schreiben lässt, wird sehen, dass sechs Kinder den Satz in sechs Varianten schreiben. Von halbwegs rechtschreibtreuen Versionen wie „Der Vogel trinkt Waser“ bis hin zu Varianten wie „Der Vogl dringd Wasa“ und „Dea Fokel trinkt Wassa“ ist alles dabei. Dass das Ergebnis eines Minidiktats aus orthografischer Sicht katastrophal ausfällt, liegt nicht daran, dass Kinder heute dümmer wären oder allesamt an Lese-Rechtschreibschwäche litten. Es liegt am Lehrplan.

    Der bayerische Grundschullehrplan setzt nämlich seit der Jahrtausendwende auf eine neue Methode, den Schulanfängern das Schreiben schmackhaft zu machen. Die hundert Jahre alte Wortbildmethode, nach der alle heutigen Erwachsenen das Schreiben gelernt haben und die letztlich darin bestand, Kindern wenige und ausgewählte Wörter richtig beizubringen – sie ist im Mülleimer der Deutschdidaktik gelandet. Angeraten wird im aktuellen bayerischen Grundschullehrplan stattdessen das freie Schreiben mit Hilfe der Anlauttabelle. Die Methode sieht vor, dass Kinder praktisch am ersten Schultag die Anlauttabelle in die Patschehände kriegen, dort nachschauen können, welche Buchstaben im deutschen Alphabet zur Verfügung stehen und sich dann Wörter selbst zusammenbauen.

    Nach der Anlauttabellen-Methode schreiben Kinder mindestens im ersten Schuljahr die Wörter so, wie sie sie hören. Weshalb Kinder, die „Fogl“ schreiben, damit eigentlich nur beweisen, dass sie Laute korrekt hören können. Falschschreibungen sind laut bayerischem Lehrplan auch keine Schreibfehler mehr, sondern, Ausdruck einer „natürlichen Phase in der Schriftsprachentwicklung des Kindes“. „Ein Vorteil dieser Methode ist, dass die Kinder ab dem ersten Schultag motiviert sind, eigenständig mit der Sprache umzugehen“, sagt der Lehrstuhlinhaber für Deutschdidaktik an der Uni Würzburg, Professor Dieter Wrobel. Die Lust aufs Schreiben werde gestärkt.

    Viele Eltern sehen das nicht als Vorteil. „Wie sollen Kinder denn jemals richtig schreiben lernen, wenn sie erst alles falsch machen dürfen?“, fragen sie sich. Viele Eltern befürchten auch, dass sich falsche Wortbilder einprägen.

    Laut dem Staatsinstitut für Schulqualität und Bildung (ISB), das Bayerns Grundschullehrpläne erstellt, besteht diese Gefahr angeblich nicht. „Befürchtungen, dass sich falsch Geschriebenes einprägt, wurden von der Wissenschaft entkräftet“, heißt es unter Bezugnahme auf eine Studie von Scheerer-Neumann von 1986 in der ISB-Schrift „Neuerungen im Deutschlehrplan für die Grundschule“. Für „Unsinn“ hält dies ein renommierter Würzburger Wissenschaftler. „Seit vierzig Jahren beschäftige ich mich mit Gedächtnisforschung. Dass sich ein falsches Schriftbild einprägt, ist belegbar“, so der Würzburger Psychologieprofessor Wolfgang Schneider. Aus Sicht der Gedächtnisforschung sei die aktuell verwendete Schreiblernmethode falsch. Warum denn dann Bayerns Schüler nach dieser Methode lernen? „Das frage ich mich auch“, sagt Schneider.

    Auf die Frage, wer denn in Deutschland geprüft habe, ob Schüler mit der Methode des freien Schreibens mit Anlauttabelle im Endeffekt genauso gut schreiben lernen wie mit der Wortbild-Methode oder doch schlechter abschneiden, verweist Schneider auf Professor Hans Brügelmann aus Siegen, auf den auch im bayerischen Lehrplan oft Bezug genommen wird.

    Brügelmann hat 2008 alle Untersuchungen, die die Wortbild-Methode der Methode des freien Schreibens gegenüberstellen, ausgewertet. Er hat diese Methode befürwortet, verbreitet, jahrelang untersucht. Und muss dennoch auf die Frage, ob sie denn der Wortbild-Methode inhaltlich überlegen sei, mit „Nein“ antworten. Es gibt „keine Belege, dass freies Schreiben als Methode in der Breite erfolgreicher ist als normorientierte Lehrgänge“, so seine Bilanz nach einem Vierteljahrhundert Beschäftigung mit der Methode. Wie rechtfertigt er dann deren Verbreitung? Die Selbstständigkeit der Kinder, sagt Brügelmann, werde durch die Methode größer.

    Auch die nächste bayerische Schülergeneration soll mit der Anlauttabelle das freie Schreiben lernen. Diese Methode werde in den für 2014 zu erarbeitenden Lehrplan Eingang finden, sagt die Referentin für Deutsch an der Grundschule am ISB, Eva Lang. Sie sagt, dass das freie Schreiben natürlich auch mit der Vermittlung von Rechtschreibstrategien kombiniert werden müsse. Und bestätigt auf Anfrage, dass die Methode des freien Schreibens nicht verpflichtend sei – auch wenn sich der Lehrplan aus Laiensicht in weiten Strecken so liest. Selbstverständlich dürften Lehrer in Bayern auch nach anderen Methoden unterrichten.

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