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KÖLN: Deutschland gedenkt den Opfern der Flugzeugkatastrophe

KÖLN

Deutschland gedenkt den Opfern der Flugzeugkatastrophe

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    Stille Trauer und Gebete: Die Menschen kamen am Freitag während des ökumenischen Gottesdienstes für die Germanwings-Opfer zum Kölner Dom.
    Stille Trauer und Gebete: Die Menschen kamen am Freitag während des ökumenischen Gottesdienstes für die Germanwings-Opfer zum Kölner Dom. Foto: Foto: Maja Hitij, dpa

    Ihr Name ist Sarah. Die junge Frau bleibt an diesem Tag die Einzige, die aus dem streng abgeschirmten Kreis der Angehörigen aller 150 Opfer heraustritt, an das Pult des Kölner Doms geht und ihre Fürbitte vorträgt: „Herr, ich bitte dich: Trockne unsere Tränen, stärke die schönen Erinnerungen und schenke uns allen neuen Lebensmut.“ Doch schon die letzten Worte werden von neuen Tränen verschluckt. Eine Notfallseelsorgerin hatte sie in den Altarraum begleitet. Nun stützt sie die junge Frau, die beim Absturz des Germanwings-Fluges 4U9525 am 24. März ihre Schwester verloren hat.

    24 Tage nach der Flugzeug-Katastrophe in den französischen Alpen finden an diesem Freitag ein ökumenischer Gottesdienst und der offizielle Gedenkakt statt – in dieser weltweit bekannten gotischen Kathedrale am Rhein, die schon so viele Trauerfeiern erlebt hat. Aber dieses Mal ist alles anders, es gibt niemanden zu würdigen, nichts zu loben. „Wo warst du, Gott?“, wagt selbst der Kölner Erzbischof, Rainer Maria Kardinal Woelki, am Anfang der Feier zu fragen, indem er einen Psalm zitiert.

    „Wir schreien um Hilfe“, ergänzt Annette Kurschus, Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen. „Unbegreifliches ist geschehen. Und Unbegreifliches wurde getan.“ Auf den Stufen brennen 150 Kerzen – nicht nur 149 für jeden getöteten Passagier und die Crew, sondern auch eine für den Co-Piloten Andreas Lubitz, der den Airbus nach bisherigen Erkenntnissen bewusst zum Absturz brachte. „Es sind 150 Todesopfer“ hatte sich Woelki im Vorfeld der Feier gegen Vorwürfe verteidigt, die Einbeziehung des „Täters“ könne die Hinterbliebenen der Opfer beleidigen. Die Eltern des Co-Piloten hatte man ebenfalls eingeladen. Es heißt, sie seien nicht nach Köln gekommen.

    „Viele Tränen wurden geweint, seit es dunkel geworden ist – erst in einem Herzen, dann in den Herzen so vieler anderer“, sagt Kurschus in ihrer Ansprache. Viele Tränen der Freude, der Rührung, der Liebe blieben nun ungeweint. Nie sei Mitmenschlichkeit notwendiger als jetzt. „Familien, Häuser und Nachbarschaften, Schulen, Dörfer und Städte, ein ganzes Land, ja mehr als nur ein Land, rücken zusammen im Aushalten-Wollen und im Begreifen-Wollen.“

    Der Kölner Kardinal, der – gerade mal ein halbes Jahr im Amt – noch am Morgen in einem Rundfunkinterview bekannte, er „zittere auch ein wenig davor, das richtige Wort in diesem Augenblick zu finden“, bekennt dann „Wir sind versteinert vor Schmerz“. Aber als Christ glaube er an das ewige Leben. „Wir glauben, dass diese 150 Menschen nicht verschwunden und ins Nichts gegangen sind, als sie aus der Welt schieden.“

    1400 Gäste sind gekommen, um diese Worte zu hören – Bundespräsident Joachim Gauck, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, große Teile des Bundes- und Landeskabinetts, Minister aus Spanien und Frankreich, Vertreter der Notfallseelsorger, der Helfer, der Polizei – auch von Germanwings und dem Lufthansa Mutterkonzern, obwohl deren Angehörige gleich nebenan in Kölns guter Stube“, dem Gürzenich, eine eigene Trauerfeier abhalten.

    Und etwa 500 Angehörige von Opfern, so heißt es offiziell. Genau weiß das niemand, soll wohl auch niemand wissen. Diejenigen, die der Einladung der Kranich-Airline gefolgt sind (Lufthansa hatte sich nach einem Streit im Vorfeld bereit erklärt, fünf Angehörige je Opfer in die Domstadt einzuladen), werden mit Bussen zur Kirche gefahren – mit verdunkelten Scheiben. Sie sollen in Ruhe gelassen werden. Selbst das Fernsehen zeigt nur die ersten Reihen der Politiker und wechselt immer wieder zu den Heiligenfiguren der Kathedrale.

    Dennoch bekommen die Betroffenen eine Stadt zu sehen, die zwar für ihren rheinischen Frohsinn bekannt ist, aber an diesem Tag ungewöhnlich still bleibt. Eine Minute vor Beginn der Feier um zwölf Uhr ließen die örtlichen Verkehrsbetriebe alle Straßenbahn- und Buslinien für eine Gedenkminute anhalten. Die bunten Werbetafeln rund um den Dom waren in der Nacht zuvor gegen schlichte schwarz-weiße Plakate mit der Flugnummer 4U9525 ausgetauscht worden. Baustellen, sonst eine typische und ständige Begleiterscheinung des gotischen Bauwerks, hatte man geräumt, Fahnen wehen auf Halbmast. Tausende Kölner stehen draußen vor dem Wahrzeichen ihrer Stadt, verfolgen die Zeremonie auf Großleinwänden und in einem benachbarten Gotteshaus. „Ich saß selbst in einem Flieger, als das Unglück passierte“, erzählt eine ältere Frau. „Ich war total geschockt, ich habe eh solche Flugangst.“

    Hans-Dieter Trogisch ist extra aus Duisburg angereist. Eines der Todesopfer stammte aus der Nachbarschaft. „Ich kannte sie nicht, aber es ging mir so nahe“, sagt er. Als drinnen im Dom ein Ensemble des Gymnasiums Haltern, das 16 Schülerinnen und Schüler und zwei Lehrerinnen verloren hat, die Titelmusik aus dem Film „Schindlers Liste“ von John Williams anstimmt, weinen die Menschen.

    Drinnen kämpft NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft gegen ihre vor Erschütterung brüchig werdende Stimme. „Seit diesem Tag ist für die Angehörigen nichts mehr, wie es war“, fasst Bundespräsident Gauck zum Schluss die Empfindungen zusammen. „Wir stehen nebeneinander, das soll Ihnen auch in dieser schweren Stunde zeigen: Wir sind verbunden.“

    Aber er ist es auch, der der Wut über den Absturz Ausdruck gibt: „Dieser eine hat die vielen mit in den Tod gerissen, weil er selbst aus dem Leben scheiden wollte.“ Dieses Wissen habe die „Trauer in Wut und Zorn umschlagen“ lassen. Er verweist auf das „Vertrauen“, auf das wir alle jeden Tag angewiesen seien. „Es gibt kein vollkommen kontrolliertes Leben. Wir spüren plötzlich, es hätte jeden von uns treffen können.“ Niemand könne wissen, wie es „in der Seele des Co-Piloten ausgesehen“ habe.

    Aber auch dessen Angehörige „haben einen Menschen verloren, den sie liebten“. Und so mahnt der Bundespräsident an dieser Stelle Zugführer, Busfahrer und Piloten an ihre große Verantwortung und wirbt fast schon dafür, sich auch wieder jenen zu überlassen, die „alles tun, um das in sie gesetzte Vertrauen durch Regeln, Überprüfungen und Vorsichtsmaßnahmen zu rechtfertigen“.

    Lufthansa-Chef Carsten Spohr, selbst ein erfahrener Airbus-Pilot, sitzt in der zweiten Reihe und dürfte ahnen, was dieser Appel Gaucks für sich und sein Unternehmen bedeutet. Dass bei der Feier auch Angehörige seines Hauses anwesend sind, weiß man. Aber die Lufthansa hat denen, die gekommen sind, untersagt, die offizielle Dienstuniform zu tragen. Man ist erkennbar bemüht, die Trauer der Angehörigen nicht zu stören.

    Für ihre eigenen Mitarbeiter hat die größte deutsche Fluggesellschaft deshalb auch eine Alternative organisiert: Rund 1800 Mitarbeiter verfolgen den Gedenkgottesdienst in der Wartungshalle des Super-Airbus A380 am Frankfurter Flughafen. Rund um die Welt habe es große Anteilnahme an weiteren Standorten gegeben, heißt es. In vielen Tageszeitungen ließ die Lufthansa Group schlichte Anzeigen veröffentlichen, die nur den Satz „Wir werden sie nie vergessen“ tragen.

    „Angesichts des unglaublichen Schmerzes, der hier zum Ausdruck gekommen ist, kann man nur noch wenig sagen“, erklärt der französische Verkehrsminister Alain Vidalies als letzter Redner. „Aber man kann Zeugnis ablegen von der europäischen Solidarität, die sich hier zeigt.“

    Als die Trauernden den Dom verlassen, halten sie einen kleinen Holzengel in der Hand, der ihnen von Notfallseelsorgern überreicht wurde. Es sind Schnitzereien, die in einer Behindertenwerkstatt im russischen Pskow gefertigt wurden, ein Versöhnungsprojekt der „Initiative Pskow“ der Evangelischen Kirche im Rheinland. „Sie sollen dazu ermutigen, trotz aller Trauer nach Quellen der Kraft und Bestärkung zu suchen“, sagt einer der Helfer, von denen viele an diesem Tag im Einsatz sind, weil zahlreiche Angehörige auch 24 Tage nach der Katastrophe noch keinen Halt gefunden haben. Es sind viele Hände, die sich Hilfe suchend und fast schon flehentlich an den kleinen Symbolen festhalten. Damit die Trauer, wie es Kardinal Woelki in seiner Predigt ausgedrückt hat, „irgendwann erträglich wird – auch wenn sie nie aufhört“.

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