Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) scherzt gerne ob seiner Leibesfülle, dass er der gewichtigste Minister im Kabinett ist. Seine schiere Masse kann er gut gebrauchen, tobt doch gerade ein wuchtiger Sturm über seinem Kopf. Entfacht hat ihn nicht etwa der politische Gegner, der Wirbel braute sich in den eigenen Reihen zusammen. Die Wirtschaftspolitiker von CDU und CSU sind entrüstet wegen seiner Industriestrategie und Versäumnissen bei der Führung seines Ministeriums. Die in Deutschland immens wichtigen Familienunternehmen hat Altmaier schon länger gegen sich. Sie sprechen von einem „Totalausfall“ und loben sogar den Sozialdemokraten Sigmar Gabriel, der es besser gemacht habe. Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ist unzufrieden und mosert an Altmaier herum, der eigentlich der natürliche Verbündete der Unternehmen sein müsste.
Die Wirtschaftspolitiker aus der Union verlangen von ihrem Minister nicht weniger als einen Kurswechsel. „Wir erwarten, dass Altmaier reagiert. Er muss liefern“, sagte der CSU-Abgeordnete Hans Michelbach, der in Gemünden (Lkr. Main-Spessart) geboren ist. Ein Sturz des Ministers und die Übergabe des Amtes an Friedrich Merz seien aber nicht geplant. „Wir halten Friedrich Merz für ministeriabel, aber das ist nicht unser Ansatz“, erklärte der stellvertretende Vorsitzende des einflussreichen Parlamentskreises Mittelstand (PKM) in der Unionsfraktion.
„Das ist Politik à la Putin, Trump und China. Das ist nicht die soziale Marktwirtschaft, die den Wettbewerb in das Zentrum stellt.“
Hans Michelbach, CSU-Wirtschaftsexperte
Und dann zählt er auf, was die Mitglieder des PKM verlangen. Erstens die komplette Abschaffung des Solidaritätszuschlags, zweitens die steuerliche Forschungsförderung für den Mittelstand und drittens einen Vorstoß zum Abbau von Bürokratie. Für Altmaiers Industriepolitik, die dominante nationale Konzerne wie Deutsche Bank, Siemens und die Autohersteller schaffen oder schützen will, haben Michelbach und seine Verbündeten nichts übrig. „Das ist Politik à la Putin, Trump und China. Das ist nicht die soziale Marktwirtschaft, die den Wettbewerb in das Zentrum stellt“, kritisierte der 69-Jährige.
Der Zorn auf den ersten CDU-Wirtschaftsminister seit Ludwig Erhard und seinen heute vergessenen Nachfolger Kurt Schmücker speist sich aus verschiedenen Fehlern Altmaiers. Zunächst luden er und die Kanzlerin das Amt mit dem Mythos Erhards gewaltig auf, um das eigene Lager über den Verlust des Finanzministeriums hinwegzutrösten. Seitdem vergeht kaum eine Rede, in der sich Altmaier nicht auf den Vater des Wirtschaftswunders bezieht. In seinem Ministerium benannte er einen Saal nach dem Mann mit der Zigarre. „Das Wirtschaftsministerium ist das Kraftzentrum der sozialen Marktwirtschaft. Es liegt an uns, dass wir daraus etwas machen, das ist der Auftrag“, hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ihrem Vertrauten mit dem auf den Weg gegeben.
Den Auftrag hat er bislang nicht erfüllt. Zunächst schaffte er es über Monate nicht, einen Staatssekretär für die Generationenaufgabe Energiewende zu finden. Die zu Beginn seiner Amtszeit versprochene Politik für Firmengründer und junge Unternehmen blieben leere Worte, so dass der Start-up-Bundesverband ihm heute sogar eine Anti-Politik vorwirft. Die angekündigte Mittelstandsstrategie ist noch nicht fertig. Bei anderen Themen scheitert der Gescholtene am Koalitionspartner SPD. Die Sozialdemokraten sperren sich dagegen, den Soli für alle Steuerzahler abzuschaffen und bestehen darauf, dass Gutverdiener den Aufschlag zur Einkommensteuer auch nach 2021 berappen.
Mangelnden Einsatz für die Sache will ihm keiner seiner Gegner vorwerfen. Unablässig hält der frühere Kanzleramtsminister Reden, besucht Kongresse, schüttelt Hände und stellt sich der Kritik von Hunderten wütender Bürger, die keine neuen Stromleitungen vor der Haustür haben wollen. Nach 14-Stunden-Tagen setzt sich der 60-Jährige am späten Abend noch mit Journalisten zusammen und diskutiert. „Sie kriegen mich, auch wenn nicht mehr viel von mir übrig ist“, eröffnet er die Runden, die sich bis zu zwei Stunden hinziehen können.
Durch seine jahrzehntelange Präsenz in der Politik, seine Nähe zur Kanzlerin und die Jahre als Chef des Kanzleramtes verfügt er über ein breites Netzwerk an Kontakten wie wenige in Berlin. Überrascht von der Wucht der Attacken aus dem Unternehmerlager, springen einige aus der Deckung und stellen sich vor den Angegriffenen. „Den berechtigten Ärger über die schwerwiegenden Geburtsfehler der Großen Koalition an Peter Altmaier abzulassen richtet sich an die falsche Adresse“, sagte der sonst nie um ein deutliches Wort verlegene Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrates, Wolfgang Steiger, unserer Redaktion. Es sei Finanzminister Olaf Scholz, der die Abschaffung des Soli blockiere.
Dass das Amt des Wirtschaftsministers nicht sein Traumjob ist, dieser Vorwurf begleitet Altmaier seit seinem ersten Tag im Ministerium. Sein Herz schlägt für Europa, für Brüssel und das europäische Miteinander, das durch den Brexit und die erstarkten EU-Gegner so stark in Misskredit gekommen ist. Altmaier liebt es, bei Terminen auf europäischer Termine viersprachig in Französisch, Niederländisch, Englisch und Deutsch zu parlieren. Die Worte „als ich ein junger EU-Beamter war“ gehören zu seinem Stehsatz. Ob sich der Kreis schließt und er noch einmal nach Brüssel zurückkehrt, hängt von den Wählern und Manfred Weber ab. Sollte der CSU-Politiker als Spitzenkandidat der Konservativen keine Mehrheit bei den Europawahlen Ende Mai bekommen, könnte der Weg frei werden für den glücklosen deutschen Wirtschaftsminister.