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Frust in der Fahrerkabine

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Frust in der Fahrerkabine

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    Zehn Stunden über die Autobahn fahren, warten, bis die Ware be- und entladen ist, dazwischen noch den Papierkram erledigen: Für Harald Kiermayer ist das Alltag. Seit 27 Jahren arbeitet er als Berufskraftfahrer.
    Zehn Stunden über die Autobahn fahren, warten, bis die Ware be- und entladen ist, dazwischen noch den Papierkram erledigen: Für Harald Kiermayer ist das Alltag. Seit 27 Jahren arbeitet er als Berufskraftfahrer. Foto: Fotos: Sonja Krell

    Harald Kiermayer hat es kommen sehen. Schon in dem Moment, als er an dem Lastwagen vorbeigezuckelt ist. Und weil Kiermayer ja ahnt, was jetzt passiert, schaut er in den Seitenspiegel, verfolgt, wie der Kollege hinter ihm immer näher kommt und dann tatsächlich ausschert – jetzt, wo es auf der A 8 den Berg hinuntergeht. „Der hat sicher 100 Sachen drauf“, sagt Kiermayer. Sein Tacho zeigt 85 Stundenkilometer an, ein bisschen mehr als das, was auf der Autobahn erlaubt ist. Kiermayer blickt auf die dunkle Fahrbahn vor sich, registriert, wie der andere Lkw zum Einscheren ansetzt und schüttelt den Kopf. „Das ist nur Prestige-Überholen“, sagt der 65-Jährige. „Das bringt gar nichts.“ Weil das Gespann, das jetzt vor ihm in Richtung Ulm unterwegs ist, schon am nächsten Berg wieder „dranhängt“ – und er dann dicht hinter ihm.

    Es ist der ganz normale Wahnsinn, den der Fernfahrer jede Nacht erlebt – ob auf der A 8, der A 7 oder auf einer anderen Autobahn im Land. Dass der eine Lkw den anderen überholt, auch wenn er kaum schneller ist. Dass der eine noch vor der Baustelle herausfährt und den anderen ausbremst – mit voller Absicht. „Und das Schlimmste auf der Autobahn sind die da“, sagt er und zeigt hinüber auf die linke Spur, wo ein Sprinter vorbeiprescht. Erst letzte Woche, erzählt er, zog auf der A 7 einer rechts auf dem Standstreifen vorbei, weil auf der linken Spur auch ein Laster fuhr. „Jede Nacht ist ein Wettrennen“, sagt Kiermayer.

    Auf deutschen Autobahnen drängen sich immer mehr Lastwagen – wie viele es sind, darüber gibt es keine Statistik. Doch allein die Zahl der in Deutschland zugelassenen Lkw ist binnen fünf Jahren um 15 Prozent gestiegen – auf 2,8 Millionen. Die Lkw-Jahresfahrleistung, gemessen in Kilometern, hat sich in diesem Zeitraum um 30 Prozent erhöht. Welche Folgen das hat, zeigt die bayerische Unfallstatistik für Autobahnen. Die Zahl der Unfälle mit Lastern ist zuletzt um neun Prozent gestiegen. Allein im vergangenen Jahr gab es 36 Tote bei Unfällen, an denen Lastwagen beteiligt waren.

    In zwei Drittel waren die Lkw-Fahrer schuld. Ein Thema, das nun auch die Politik aufschreckt: Bayerns Verkehrsminister Joachim Herrmann setzt auf mehr Lkw-Kontrollen. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hat unlängst angekündigt, dass er ein generelles Überholverbot für Lkw auf Autobahnen prüfen lässt.

    Kiermayer braucht keine Statistik, um zu wissen, wie angespannt die Situation auf den Fernstraßen ist. Er erlebt es ja jede Nacht – die Lastwagen, die immer mehr werden, der Zeitdruck, der zunimmt, und damit Egoismus und Rücksichtslosigkeit. Doch er weiß auch, dass es einmal anders war. Als sich die Fahrer noch gegrüßt haben, als sich die Kollegen über Funk austauschten, als noch mehr Zeit da war. Kiermayer blickt nach vorn, die Hände fest am Lenkrad. „Das ist lang vorbei“, sagt er.

    Seit 27 Jahren arbeitet Kiermayer, der in Bobingen bei Augsburg wohnt, als Berufskraftfahrer. Früher hat er Viagra nach Russland transportiert und billige Kleidung nach Afrika. Inzwischen ist er nur noch in Deutschland unterwegs, im Auftrag der Spedition Roman Mayer meist im Ruhrgebiet. In dieser Nacht aber hat er Gefrierschränke, Fernseher und Waschmaschinen geladen – Ware, die er für den Elektrogroßhändler Sonepar von Langweid bei Augsburg nach Kitzingen und Bamberg bringen muss.

    Vor einer Stunde ist Kiermayer mit seinem 17 Meter langen Gespann auf die A 7 eingebogen. Er hat Heidenheim, Aalen und die Ellwanger Berge hinter sich gelassen. Es ist nach Mitternacht, Kiermayer ist hellwach. Er streicht sich die grauen Haare aus dem Gesicht und erzählt – davon, dass Lkw für viele ein Feindbild sind, ein Störfaktor, an dem man vorbei muss. Von den Autofahrern, die noch schnell nach rechts ziehen, um die Ausfahrt zu erwischen – und ihn mit seinen 38 Tonnen zum Bremsen zwingen. „Das sind alles Selbstmörder“, sagt Kiermayer. „Denen ist gar nicht klar, wie lange ich mit dem Gewicht zum Bremsen brauche.

    “ Und dann ist da die andere Sache, über die er reden will – die vielen Polen, Bulgaren und Rumänen. Er zeigt auf das, was sich weiter vorne abspielt, wo ein Lkw zum Überholen ansetzt. Der Laster auf der rechten Spur gibt Gas. Beide fahren gleichauf, trotz Lkw-Überholverbot. Kiermayer sagt: „Die haben keine Moral beim Fahren.“

    Es ist ein Satz, der auch von Walter Lindner stammen könnte. Es ist schon ein paar Stunden her, dass der 54-Jährige in seinem Büro saß und gesagt hat: „Man ist ein Exot, wenn man als Deutscher Lkw fährt.“ Lindner hat einen kleinen Fuhrbetrieb in Dinkelscherben (Lkr. Augsburg). Er liefert Fenster und Treppen zu Baustellen, Schnittholz in den Harz und Spülmaschinensalz ins Kaufland-Zentrallager. Die Fahrer haben enge Zeitfenster für das Be- und Entladen, hat er erklärt. „Man muss rechtzeitig da sein, sonst steht man bis zum nächsten Morgen.“ Lindner teilt sich seine Zeit selbst ein, startet lieber etwas früher. Andere aber kalkulieren knapper, sagt er. Weil es weniger Geld bedeutet, wenn der Lkw länger braucht. Und der Druck wird immer höher – erst recht, seit immer mehr Firmen ihre Lagerkapazitäten heruntergefahren haben und die Waren stattdessen „just in time“ anliefern lassen – dann, wenn sie benötigt werden.

    „Und es gibt immer einen, der einen Lkw frei hat.“

    Die Elektronikartikel sind abgeladen, jetzt stehen leere Paletten und Gitterboxen auf der Ladefläche von Kiermayers Lkw. Er hat die Frachtpapiere ausgefüllt, steuert sein Gespann raus aus dem Industriegebiet von Kitzingen, vorbei am Logistikzentrum von Netto, rauf auf die A 3, rüber zur A 70. Kilometer für Kilometer spult er ab. Kilometer, auf denen sich auch in der Dunkelheit vieles beobachten lässt: der Lkw, der immer wieder den Mittelstreifen passiert und einmal fast einen Sprinter neben ihm rammt. Oder der hinter Kiermayer, der keine drei Meter Abstand hält und auf die zweite Spur fährt, obwohl Kiermayers Tempomat auf 90 steht. Der andere versucht zu überholen – und schert nach einer Zeit doch wieder ein.

    Jutta Schnell kennt solche Elefantenrennen nur zu gut. Sie erlebt sie jeden Tag – auf der A 9 oder auf jeder anderen Autobahn, auf der sie unterwegs ist. Rund 100 000 Kilometer fährt die Fanbeauftragte des TSV 1860 München im Jahr. Jetzt, am Nachmittag, hat sie einen kurzen Zwischenstopp daheim in Neuburg an der Donau eingelegt, bevor es weiter geht in die Oberpfalz, zu einer Versammlung eines Fanklubs.

    „Haarsträubend und nervig“ ist das, was da auf den Straßen passiert, sagt sie. Und dass es ja manchmal an ein Wunder grenzt, dass nicht noch mehr passiert. „Die Lkw-Fahrer ziehen raus, ohne zu schauen, ohne zu blinken“, klagt die 65-Jährige. Dass man als Autofahrer dann ruckartig bremsen muss oder auf die dritte Spur hinüber, wenn es die gibt. „Ich möchte mich manchmal nicht hören“, sagt Jutta Schnell. Weil sie dann hinter dem Steuer sitzt und lauthals schimpft und sich aufregt über die Brummifahrer.

    Walter Lindner, der Fuhrunternehmer, kann davon ein Lied singen – dass die Autofahrer sich schlecht behandelt fühlen, dass sie sich aufregen über die Laster, die die Fahrbahnen verstopfen. „Aus deren Sicht machen wir nur die Straßen kaputt, behindern den Verkehr und sorgen für Gestank“, sagt er. „Aber wir fahren ja nicht zum Spaß rum.“ Lindner hat sich daran gewöhnt, dass manche Autofahrer ihm im Rückspiegel den Vogel zeigen oder auf die Bremse tippen - nur um den Lkw hinter ihm zu ärgern. Oder dass sie, sobald ein Stau entsteht, ständig die Spur wechseln, weil sie meinen, so schneller voranzukommen. Besser macht es das trotzdem nicht. „Da kriegt man so ne Wut“, sagt er.

    Eigentlich müssten beide Seiten doch miteinander auskommen, sagt er – wenn der Lkw-Fahrer sich besser überlegt, ob er wirklich überholen muss und der Autofahrer daran denkt, dass ihm die Straße nicht allein gehört. Lindner ist für ein Tempolimit auf Autobahnen. Er glaubt, dass der Verkehr dann gleichmäßiger fließen würde. Und er hätte auch nichts gegen verstärkte Lkw-Kontrollen und härtere Strafen. Nur ein generelles Überholverbot bringe nichts. Weil sich dann eine kilometerlange Kolonne auf der rechten Spur bildet, sagt er, weil ein voll beladener Laster alle anderen aufhält und dann auch die Autofahrer kaum Platz zum Einfädeln hätten.

    Und es ist ja nicht so, dass es kein Überholverbot für Lkw gebe. Kiermayer sagt: „Was das bringt, sehen wir, wenn wir auf der A 6 sind.“ Erst einmal aber lädt er in Bamberg ab, erledigt den Papierkram und steuert den Lastzug der Morgensonne entgegen auf die A 73. Mit jedem Kilometer nimmt der Verkehr zu, die ersten Pendler. Kiermayer weiß, dass viele genervt sind von Baustellen und Brummis, dass es vielen zu langsam geht. Er sagt: „Der Lkw-Fahrer ist ohnehin immer schuld.“

    Vielleicht hat der Beruf deswegen so ein schlechtes Image, vielleicht tun sich die Firmen deswegen so schwer, Fahrer zu finden. Bundesweit fehlen 20 000. Früher einmal wollten kleine Buben Lkw-Fahrer werden, damit sie etwas von der Welt sehen. „Heute will das keiner mehr machen“, sagt Kiermayer, der durch Zufall in den Beruf gerutscht ist, auch weil er den Lkw-Führerschein hatte. Die Jüngeren, sagt er, wünschten sich geregelte Arbeitszeiten, bessere Bezahlung, weniger Stress – nicht zehn Stunden Fahrzeit, keine endlosen Nächte auf überfüllten Rastplätzen oder die ganze Woche unterwegs zu sein.

    Kiermayer hat Nürnberg hinter und den Stau vor sich – auf der A 6, dort wo Schilder auf zehn Kilometern Länge das Überholen für Lkw verbieten. Die Laster ziehen trotzdem links vorbei – Tschechen, Polen, Russen. „Die pfeifen auf die Schilder“, sagt Kiermayer. Über ihm rauscht der Funk, zum ersten Mal melden sich Kollegen. Sie schimpfen über den ungarischen Lkw, der sogar auf der dritten Spur fährt, über den Schwertransport mit Betonteilen, der samt Begleitfahrzeug überholt, über die Polizei, die vorbeigefahren ist, aber nicht eingreift. „Das ist der Wahnsinn, Leute!“, motzt einer. „Das ist Dummheit“, meint Kiermayer. Und dass er weiter vorne sicher keinen der Laster einscheren lässt.

    Eine Stunde später biegt Kiermayer auf die B2 Richtung Augsburg – gut zwei Stunden, dann ist die Tour vorbei. Jetzt ist er dann in Rente, erzählt der 65-Jährige. Und dass er trotzdem noch ein bisschen weitermacht. Schon, weil es so schwer für die Spedition ist, Ersatz zu finden. Schon, weil er seinen Job mag – obwohl es immer mehr Lkw werden, obwohl die Rücksichtslosigkeit so groß ist. „Ich fahr halt einfach gern“, sagt er.

    Längere Staus, Elefantenrennen, fehlende Parkplätze: die Probleme auf deutschen Autobahnen Jutta Schnell fährt 100 000 Kilometer im Jahr. Und sie ist genervt von all den Elefantenrennen. Lkw-Aufkommen: Auf deutschen Autobahnen drängen sich immer mehr Lastwagen. Wie viele es sind, lässt sich nicht sagen, da diese Zahl nicht erfasst wird. Fest steht: 2016 waren bundesweit 2 800 800 Lkw zugelassen – 15 Prozent mehr als fünf Jahre zuvor. Hinzu kommt: Es sind immer mehr ausländische Lkw unterwegs. Das berichtet „Der Spiegel“ und beruft sich dabei auf noch nicht veröffentlichte Zahlen der Bundesanstalt für Straßenwesen von 2014. Danach haben ausländische Fahrzeuge einen Anteil von zwölf Prozent an allen auf Autobahnen gefahrenen Kilometern. Beim Schwerverkehr waren es 35 Prozent, bei Sattelzugmaschinen sogar 41 Prozent. Staus: Auch die Stausituation auf deutschen Autobahnen hat sich deutlich verschärft. Der ADAC zählte im vergangenen Jahr rund 694 000 Staus, durchschnittlich 1901 pro Tag. Die Staulängen summierten sich auf fast 1,4 Millionen Kilometer – ein Fünftel mehr als im Jahr davor. Elefantenrennen: Ein Lkw überholt den anderen und kommt kaum dabei vom Fleck: Dieses Ärgernis kennen alle Autofahrer. Dabei gibt es klare Vorschriften, geregelt in Paragraf 5 der Straßenverkehrsordnung. Danach darf nur überholen, wer das mit „wesentlich höherer Geschwindigkeit“ tut. Die Rechtsprechung verlangt auf Autobahnen eine Differenzgeschwindigkeit von mindestens zehn Stundenkilometern. Nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Hamm darf ein Überholvorgang maximal 45 Sekunden dauern. Der ADAC verweist allerdings darauf, dass nur ein Prozent der Lkw-Überholvorgänge regelkonform durchgeführt wurde. Das liegt auch daran, dass Lkw auf Autobahnen nicht schneller als 80 Stundenkilometer und auf Bundes- und Landstraßen nicht schneller als 60 Stundenkilometer fahren dürfen. Überholverbot: In Bayern gibt es nach Auskunft des Verkehrsministeriums auf etwa 900 Kilometern Länge Lkw-Überholverbote mit fester Blechbeschilderung – bei einer Streckenlänge der Richtungsfahrbahnen von gut 5000 Kilometern. Auf weiteren rund 600 Kilometern können Überholverbote geschaltet werden. Parkplätze: Während immer mehr Lastwagen unterwegs sind, gibt es viel zu wenig Parkplätze für sie. Bundesweit fehlen nach Aussage des ADAC an Autobahn-Rastanlagen etwa 14 000 Stellplätze für Lkw. Einer Prognose zufolge dürften es bis zum Jahr 2030 bereits 26 000 sein. Die Folge: Lkw-Fahrer stehen auf Ein- und Ausfahrten und auf Standstreifen, zum Teil auch unbeleuchtet. Erst Ende Juni ist bei Chemnitz ein Auto in einer Abfahrt unter einen stehenden Lastwagen geraten. Bei dem Unfall starben drei Menschen. SOK Stau auf der A 6 kurz nach Nürnberg. Die Lkw stehen dicht gedrängt. Hilft da ein Überholverbot?

    „Jede Nacht ist ein Wettrennen.“

    Harald Kiermayer ist seit 27 Jahren Berufskraftfahrer

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