Hier kommt sie, unverkennbar. Sechs Schnurrbarthaare, große Augen, hölzerner Gang: Tak, tak machen die Füße, klack, klack die Augen, wenn sie mit den Wimpern klimpert. Äußerlich hat sie sich nicht verändert, doch ist sie mit der Zeit gegangen. Die Maus wird 40 Jahre alt und feiert am Sonntag mit einer einstündigen Geburtstagssendung. Und da kommt er: graue Haare, Schnurrbart, Markenzeichen grüner Pullover. Christoph Biemann gehört zur „Sendung mit der Maus“ wie der blaue Elefant und die gelbe Ente. Seit 1972 denkt er sich Sachgeschichten aus.
Sonntag, 11.30 Uhr, ist Maus-Zeit in Deutschland. Jung und alt versammelt sich vor dem Fernseher. In vielen Familien gibt es dieses Ritual bereits seit mehreren TV-Generationen. Seinen ersten Auftritt hatte der orangefarbene Nager am 7. März 1971. Ein Jahr später produzierte Christoph Biemann, damals noch Student an der Münchner Filmhochschule, seine erste Sachgeschichte. „Es ging darum, wie ein Brief von einem zum anderen kommt“, erzählt er im Restaurant Campi im WDR-Funkhaus in Köln. Damit ist ihm der Sprung zur Sendung gelungen.
Warum ist der Himmel blau? Wie kommen die Löcher in den Käse? Wer malt die Streifen in die Zahnpasta? Der Armin (Maiwald) der Christoph (Biemann) und der Ralph (Caspers) wissen das. „Christoph ist eine Rolle in der Sendung, und der ist ein bisschen tollpatschig. Er trifft auf viele Dinge, die er nicht versteht. Und nach fünf, sechs Minuten ist er ein bisschen schlauer – und der Zuschauer auch.“ Pro Woche erreichen die Redaktion etwa 1000 Zuschriften. Meist sind es Fragen, auf die nur Kinder kommen. Zum Beispiel, ob eine bespielte DVD schwerer ist als eine leere.
Das Geheimnis der Sendung: Die Maus erklärt Alltägliches ganz einfach. „Das ist aber nicht einfach, sondern viel Arbeit“, sagt Biemann. Der aufwendigste Clip, den der 58-Jährige gedreht hat, war die Simulation einer Kettenreaktion in der „Atom-Maus“ 1988. Dazu wurden Tischtennisbälle in 500 Mausefallen eingespannt. „Allein das hat einen ganzen Tag gedauert.“ Biemann hat die Kettenreaktion ausgelöst und alle Bälle flogen im Raum umher. Durch die „Atom-Maus“ ist der Regisseur und Autor zu seinem Markenzeichen, dem grünen Pullover gekommen. „Um zu erklären, wie ein Atomkraftwerk funktioniert, mussten wir mehrere Tage drehen. Nun muss man in allen Szenen das Gleiche anhaben. Damals waren bunte Sweatshirts Mode, ich hatte zufällig zwei grüne. Irgendwie ist ein Markenzeichen daraus geworden.“ Heute hat er zehn grüne Pullover und Sweatshirts in seinem Schrank.
Obwohl stumm, ist die Maus ein toller Moderator. Sie trennt die einzelnen Beiträge und hält doch die Sendung zusammen. „Die Mischung macht die Sendung so einzigartig“, schwärmt Biemann. Kleine Zuschauer lieben die Maus, die Lieder und die Bildergeschichten, ältere Kinder und Erwachsene mögen die Sachgeschichten. 1975 hat der blaue Elefant Premiere, 1987 hat die gelbe Ente ihren ersten Auftritt. Viele Trickfilmhelden starten ihre Karriere bei der Maus, wie der kleine Eisbär, Janoschs Bär und Tiger, der Maulwurf, Käpt'n Blaubär und Shaun das Schaf. „Es gibt kaum ein Format im deutschen Fernsehen, das sich so lange gehalten hat“, sagt der Mann mit dem grünen Pullover. Seine beiden Kinder hätten Ende der 70er Jahre gesagt, dass die Maus lustiger werden muss. „Dann habe ich versucht, auch Gags in die Geschichten zu bringen.“
Die Maus kann tolle Sachen. Sie kann etwa den Schwanz abnehmen und damit eine Tür aufschließen. „Sie ist die Ikone des Qualitätsfernsehens“, lobt Maya Götz, Chefredakteurin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen. „Es ist eine Familiensendung, die auch Erwachsene bereichert.“ Die Maus lebe vom Herzblut und von vielen Verrückten, die sich reinwerkeln und basteln, sagt Biemann. Die Sendung hat über 100 nationale und internationale Preise gewonnen; Armin Maiwald und Christoph Biemann sind 1996 für ihre Arbeit mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden. Als Vorbild für die Lach- und Sachgeschichten dienten Werbespots. Die in aller Kürze erzählten Geschichten mit tollen Bildern kämen bei Kindern an. „Wir haben damals gesagt, dass wir es genauso machen wollen. Natürlich ohne Werbung – Geschichten aus der Wirklichkeit erzählen.“ Der Erfolg gibt dem Konzept recht. Laut WDR sehen die 30-minütige Sendung jede Woche im Schnitt 1,6 Millionen Menschen – vom Kleinkind bis zum Opa. Der Altersdurchschnitt liege bei 40 Jahren.
Fernsehen ist da stark, wo es Dinge sichtbar macht. „Wir zeigen immer das, wovon wir reden“, beschreibt Biemann. Das tun andere Wissenssendungen oft nicht. Aber darin liege die Herausforderung. Gerade arbeitet der Autor an einem Beitrag über LED Leuchten: „Die Drehs in den Fabriken haben wir gemacht. Fehlt noch der schwierige Part, zu erklären, wie die Dinger leuchten. Das ist Quantenphysik, aber es gibt schon ein paar anschauliche Ideen.“ Die Maus vermittelt Wissen, ist aber kein Bildungsfernsehen: „Wir machen Spaß, wir unterhalten. Und wenn etwas bei den Zuschauern hängen bleibt, dann ist das super.“
Bei allem Lob für die Sendung, gab es auch schon Kritik. „Gleich zu Beginn kritisierten die Kirchen den Sendetermin am Sonntagvormittag – zur Gottesdienstzeit“, erinnert sich Biemann. Einige Gemeinden hätten ihre Kindergottesdienste dann nach vorne verlegt. Auch bei einem Beitrag über den Tod, der im November 2010 zu sehen war, hagelte es Beschwerden. Es gibt auch Dinge, die würde die Maus nie erklären. „Dazu gehören Sexualität und Religion.“ Und für einige Fragen, wie zum Beispiel warum Fußballer immer spucken, gibt es keine wissenschaftliche Erklärung. „Das ist einfach so.“ Biemann redet leise, wirkt eher bescheiden, nicht wie ein TV-Star. Seine Beiträge spricht er nicht selbst. Früher verlieh ihm Elke Heidenreich die Stimme, heute ist es Evi Seibert, Frankreich-Korrespondentin des SWR.
Sonntags ist auch bei Christoph Biemann Maus-Zeit: „Erst wenn man die fertigen Beiträge sieht, macht sich ein Gefühl der Zufriedenheit breit.“ Insgesamt sind fast 500 Leute für die Kindersendung im Einsatz, vom Sprecher des Vorspanns, über die Grafiker, Kostümbildner, Puppenspieler, Bühnenbauer. Maiwald, Biemann und Caspers haben eigene Produktionsfirmen, mit denen sie die Maus beliefern. Die Illustratorin Isolde Schmitt-Menzel hat die orangefarbene Figur erfunden, weiterentwickelt hat sie Friedrich Streich. Die Geräusche, das typische Tak-Tak der Füße, macht Geräuschemacher Jörn Poetzl mit Kokosschalen, das Klack-Klack der Augen mit Kastagnetten. Ein Leben ohne Maus kann sich Biemann nicht vorstellen: „Alles was ich mache, hat immer mit der Maus zu tun. Ich habe nicht vor, in Pension zu gehen. Dazu macht mir die Arbeit viel zu viel Spaß.“
Buchtipp zum Maus-Jubiläum
Frag doch mal . . . Dieser Aufforderung kommen Kinder, aber auch Erwachsene seit vielen Jahren gerne nach. Pünktlich zum 40. Geburtstag des beliebten TV-Nagetiers ist ein Jubiläumsband aus der Reihe „Frag doch mal . . .“ erschienen. Er gibt „Spannende Fragen, mausschlaue Antworten“ (159 Seiten, cbj, 15 Euro); etwa zu: Wie viel wiegt ein Regentropfen? Oder: Wie unterhalten sich Delfine? Ebenfalls zum runden Geburtstag werden im „Frag doch mal . . .“-Sammelband „Können Fische pupsen?“ die erstaunlichsten Fragen aus den unterschiedlichsten Bereichen zusammengefasst (207 Seiten, cbj, 16,99 Euro). Etwa zu Redewendungen wie dieser: Warum heißt es „Halt die Ohren steif?“ Weil Kaninchen oder Katzen ihre Ohren aufrichten, wenn sie aufmerksam sind. Mehr Infos über die Maus und ihre Bücher gibt es im Internet: www.cbj-verlag.de/diemaus cj