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Im Reich der Gummibärchen

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Im Reich der Gummibärchen

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    Erfolgreiche Werbung: Seit den 30er Jahren gibt es den Slogan „Haribo macht Kinder froh“, der in den 60ern ergänzt wurde: „und Erwachsene ebenso“.
    Erfolgreiche Werbung: Seit den 30er Jahren gibt es den Slogan „Haribo macht Kinder froh“, der in den 60ern ergänzt wurde: „und Erwachsene ebenso“. Foto: Abbildungen: Haribo, Muth

    Als der Bonbonkocher Hans Riegel zu Beginn der 20er Jahre in Bonn-Kessenich mit Zucker experimentiert, gelingt ihm bald eine geniale Rezeptur. Aus dem Fruchtgummit formt er eine Figur, er nennt sie Tanzbären. 1922 war das, zwei Stück kosteten einen Pfennig, und seine Frau Gertrud, die einzige Mitarbeiterin in der noch jungen Firma Haribo (ein Akronym aus den Worten Hans, Riegel und Bonn), fährt die Tagesproduktion am Abend per Fahrrad zur Kundschaft. 90 Jahre später steht fest: Die Erfindung im Backsteinbau eines Hinterhofs ist eine der erfolgreichsten Geschichten aus der Branche der Süßwarenhersteller, die Gummibärchen aus Bonn eroberten nicht weniger als die Welt. Es gibt sie in 110 Ländern, jeden Tag verlassen 100 Millionen Stück unter dem Namen Goldbären die Haribo-Produktionshallen, von denen es allein in Europa 15 gibt. Zwischen ein und zwei Milliarden Euro setzt die Firma mit ihren weltweit 6000 Mitarbeitern pro Jahr um. Genaue Angaben gibt es nicht, weil das Familienunternehmen seine Zahlen hütet wie das legendäre Rezept von Hans Riegel.

    Die Welt der Gummibärchen und das System Haribo lassen sich ganz gut kennenlernen bei einem Besuch an einem der letzten beiden Herbstferientage in Nordrhein-Westfalen. Dann ist Kastanientauschaktion, und in Bonn-Kessenich, dort wo die Reste des abgerissenen Gründerhauses wie eine Erinnerung an alte Zeiten grüßen, herrscht Ausnahmezustand. Seit 76 Jahren schon tauscht der Süßwarengigant stets an diesen Tagen vorher gesammelte Kastanien oder Eicheln in Leckereien um. Zehn Kilogramm Kastanien oder fünf Kilo Eicheln = ein Kilogramm Haribo, so geht die Gleichung. Schon in der Dunkelheit bildet sich eine kuriose Menschenschlange am Tor. Kinder mit Säcken voller Waldfrüchte auf Bollerwägen, Eltern mit Mülltonnen voller Eicheln, Geschäftsleute mit Tüten, Omas und Opas mit Einkaufswägen, aus denen Kastanien quillen. Gegen Mittag beträgt die Wartezeit rund vier Stunden: Dann wird gewogen und ein Bon ausgehändigt, der Gutschein fürs Süße. Längst ist die Aktion ein Klassiker. Die Polizei regelt den Verkehr, Anwohnerkinder der Truchseßstraße verkaufen Kaffee und belegte Brötchen, und mitten in der Reihe der Wartenden tapst ein Goldbär umher und lässt sich fotografieren.

    „60 Mitarbeiter sind im Einsatz“, sagt Marco Alfter, Unternehmenssprecher bei Haribo. Er sitzt in einem Container, der zur Brotzeithütte umfunktioniert wurde, draußen werden Kastanien und Eicheln mit Radladern und Schaufeln in Container verfrachtet. Für die Helfer gibt es Bratenbrötchen und Brote mit Ei, und einer, der gerade noch Säcke gewuchtet hat und nun Mittagspause macht, sagt: „Mein Vater war 40 Jahre bei Haribo, und ich bin auch schon 20 Jahre dabei. In Bonn gibt's den Spruch: Bei Haribo hast du ausgesorgt.“ Wenn das Geschäft gut läuft, erhält jeder Mitarbeiter bis zu 15 Prozent des Gehaltes als Jahresbonus obendrauf, im Shop gibt es 25 Prozent Personalrabatt. Und die Geschäfte laufen gut. Die Firma ist Weltmarktführer in den Bereichen Fruchtgummi und Lakritz. Würde die Jahresproduktion der schwarzen Schlangen ausgerollt werden, wäre die Strecke so lang wie von der Erde zum Mond und wieder retour: 468 000 Kilometer. Die Wirtschaftskrise, so Alfter, selbst 18 Jahre im Unternehmen, habe die Firma nicht gespürt. Im Gegenteil, so die Vermutung, in trüben Zeiten gehen die Menschen nicht so viel zum Essen ins Restaurant, sondern sitzen eher vor dem Fernseher und naschen.

    Dabei sind die Deutschen nicht mal Spitzenreiter unter den Leckermäulern, das sind die Dänen. Mit einem Pro-Kopf-Verbrauch von rund 30,5 Kilogramm Süßigkeiten pro Jahr ist der Deutsche aber unter den Top fünf. Im vergangenen Jahr produzierten die deutschen Hersteller 3,8 Millionen Tonnen Süßwaren. Marco Alfter will die Gefahr, die aus den bunten Tüten erwachsen kann, gar nicht leugnen. Gummibärchen und Co. haben einen hohen Zuckeranteil, und so haben sie sich in Bonn auch Gedanken gemacht und Bio-Produkte wie „Fanny Farm“ angeboten, eine Mischung, für die ausschließlich zertifizierte Bio-Rohstoffe verwendet wurden. „Das Produkt war genauso ein Ladenhüter wie die Light-Produkte“, sagt Alfter und erzählt, wie in den Laboren derzeit mit der Steviapflanze experimentiert wird. Die natürliche Süße der Blätter könnte einmal Zucker ersetzen, erste Versuche mit einem Stevia-Lakritz gibt es, das Produkt ist um 40 Prozent kalorienreduziert. „Die Frage ist: Setzt es sich durch?“ Sein Glaube ist: Wenn der Verbraucher zu Hause an seinen Schrank geht, „dann will er bewusst etwas Süßes“.

    Draußen geht die Kastanienaktion zu Ende. Es ist erstaunlich, mit welcher Gleichmut die Menschen die Warterei hinnehmen. „Das ist ein Selbstläufer“, sagt Alfter. In manchen Jahren standen bis zu 16 000 Leute mit ihrer Ausbeute vor den Toren, 60 Tonnen Waren gingen schon mal an die Sammler. In diesem Jahr kamen 150 Tonnen Kastanien und 25 Tonnen Eicheln zusammen. Der Tausch entsprang einer Idee des Firmengründers, der 1936 die Kinder der Nachbarschaft fragte, ob sie nicht Waldfrüchte für die Tiere in seinem Wildgehege sammeln könnten. Als Gegenleistung gab es Süßes. Tradition bindet. Auch 76 Jahre später gehen die Kastanien und Eicheln als Futter an Tiergehege. „Ein Lastwagen fährt sogar nach Österreich ins Gebirge“, sagt Marco Alfter. Haribo macht Hirsche froh – und die Gämsen ebenso.

    Am Vortag war Thomas Gottschalk erstmals bei der Sammelaktion. Es habe ihm gefallen, ist zu hören, gleichmütig ließ er sich stundenlang von den Sammlern mit ihren Handykameras fotografieren. Der Fernsehstar ist die Werbeikone der Firma, seit 1991 besteht die Zusammenarbeit – damit stehen Gottschalk und Haribo im Guinnessbuch der Weltrekorde, keine Werbepartnerschaft dieser Größenordnung hält länger. Offizielle Zahlen gibt es nicht, kolportiert wird eine Summe von rund einer Million Euro pro Jahr für den Promi. Gottschalk und das nationale Fernseh-Flaggschiff „Wetten, dass...!?“, das habe laut Alfter zu Haribo gepasst „wie die Faust aufs Auge“. Bis 2013 läuft der Vertrag, doch das Familienunternehmen beobachtet die jüngsten Ausflüge des Showmasters genau. Als Juror in der Krawall-Casting-Sendung „Das Supertalent“ auf RTL hat der Star seine früheren Ansichten über diese Formate verraten. „Wichtig ist, dass er nicht auf die Stufe eines Dieter Bohlens abgleitet“, sagt Haribo-Mann Alfter, Gottschalks Auftritt dürfe „nicht unter der Gürtellinie liegen, sonst sähen wir ein Problem“. Schon wird offenbar auch intern über eine Auffrischung der Werbung nachgedacht, weil die Spots mit dem 62-jährigen Berufsjugendlichen trotz ihres Erfolgs hölzern daherkommen. Ein Kommentator der Wirtschaftsplattform „Horizont.net“ ätzte jüngst: Gottschalk wirke in den Jubiläumsspots „als wäre er selbst 90 Jahre alt“.

    Eine Entscheidung dürfte bald fallen, treffen wird sie wohl Hans Riegel. Der Sohn des Gummibärchen-Erfinders ist 89 Jahre alt und der Patriarch. „Er ist fast täglich in der Firma“, sagt Alfter. Auch die neueste Kreation geht auf ihn zurück: Pandabären aus Schaumzucker mit einem Vanille-Heidelbeer-Geschmack. Wieder sollen die süßen Bären zu einem Exportschlager werden: Der chinesische Schriftzug leuchtet bereits auf den Packungen.

    Die Firma Haribo

    Hans Riegel hatte zwei Söhne, Hans und Paul, die nach dem Tod des Firmengründers 1945 die Geschäfte weiterführten. Der kinderlose Hans Riegel jr. ist noch heute Geschäftsführer bei Haribo. Paul stirbt 2009, er hat drei Söhne: Hans-Guido, Hans-Arndt und Hans-Jürgen. Hans-Arndt Riegel ist Aufsichtsratsvorsitzender des Unternehmens. 1971 übernahm Haribo die Mehrheit am unterfränkischen Süßwarenhersteller Bären-Schmidt in Mainbernheim (Lkr. Kitzingen). Die Lebkuchensparte wurde 2010 an Lambertz (Aachen) verkauft. Haribo hat am Standort Mainbernheim rund 100 Mitarbeiter, dort werden unter anderem Goldbären produziert. Die Gummibärchen gibt es in sechs verschiedenen Geschmacksrichtungen: Ananas (weiß), Zitrone (gelb), Orange (orange), Erdbeere (hellrot), Himbeere (dunkelrot) und Apfel (grün).

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