Am Ende war gar die Rede vom „totalen Krieg“. So bezeichnete die linksorientierte Tageszeitung „La Repubblica“ in ihrer Donnerstagsausgabe martialisch den Machtkampf in Rom. Die Auseinandersetzung zwischen dem Vorsitzenden der Demokratischen Partei (PD), Matteo Renzi, und Ministerpräsident Enrico Letta, ebenfalls PD, dauerte da bereits seit Tagen an. Am Donnerstagabend stand der Gewinner der Machtprobe fest: Matteo Renzi. Ministerpräsident Letta kündigte an, am Freitag seinen Rücktritt bei Staatspräsident Giorgio Napolitano einzureichen. Damit steht dem Aufstieg des 39 Jahre alten Renzi zum italienischen Regierungschef nichts mehr im Wege.
Zuvor hatte Renzi in einer Rede vor der Parteiführung in Rom die Bildung einer neuen Regierung bis zum Ende der Legislaturperiode im Jahr 2018 gefordert. Ein von Renzi vorgelegtes Dokument wurde mit 136 Stimmen verabschiedet. 16 Delegierte stimmten dagegen. Damit hat sich die Führung der Demokratischen Partei mit großer Mehrheit hinter ihrem Vorsitzenden versammelt. Der bisherige Bürgermeister von Florenz war erst vor zwei Monaten zum Sekretär von Italiens größter Mitte-Links-Partei gewählt worden und beanspruchte nun das Amt des Ministerpräsidenten für sich.
In der Auseinandersetzung hat Italiens Politik abermals ein desaströses Bild abgegeben. Renzis Vorgehen wurde von Beobachtern als „lächerlich“ und „skrupellos“ bewertet. Eine persönliche Kraftprobe in der Demokratischen Partei überlagerte tagelang die Debatte um die Lösung der drängenden Probleme des Landes. Von politischer Kontinuität kann in Italien weiterhin keine Rede sein. Staatspräsident Giorgio Napolitano, der Letta im April an der Spitze einer Großen Koalition eingesetzt hatte, hatte zuvor Neuwahlen ausgeschlossen.
Die jüngste Entwicklung in Rom war vor allem taktischen Überlegungen Renzis geschuldet. Bereits seit Monaten hatte der Bürgermeister von Florenz den Regierungschef provoziert und ihm Untätigkeit vorgeworfen. In seiner Rede am Donnerstag bedankte er sich nun für die „bemerkenswerte Arbeit“ Lettas. Bislang lautete sein nicht unberechtigter Vorwurf, dass die seit zehn Monaten amtierende Regierung so gut wie keine konkreten Ergebnisse vorzuweisen habe. Etwaige Ansprüche auf das Amt des Ministerpräsidenten hatte Renzi bis vor einer Woche aber stets zurückgewiesen.
Ministerpräsident Letta hatte Renzi nach dessen Wahl zum PD-Chef dazu gedrängt, sich persönlich an der Regierung zu beteiligen oder zumindest eigene Gefolgsleute in die Exekutive zu entsenden. Das lehnte Renzi, der über großen Konsens in der Bevölkerung verfügt, im Hinblick auf das schlechte Ansehen der Regierung, an der PD und mehrere kleine Zentrumsparteien beteiligt sind, ab.
Ein Treffen der beiden PD-Politiker am Mittwoch zur Klärung dieser Fragen war ergebnislos verlaufen. Am Mittwochabend hatte der Ministerpräsident noch ein neues Regierungsprogramm präsentiert und damit seinen Willen untermauert, im Amt zu bleiben. „Wer meinen Platz will, der soll es sagen“, hatte Letta im Hinblick auf Renzi formuliert.
Renzi wirbt damit, dass er zwei Monate nach seinem Amtsantritt als PD-Sekretär bereits einen Pakt zur Änderung des Wahlrechts und für Verfassungsreformen vorgewiesen hat. Das Abkommen, das nun wegen des internen Machtkampfes auf Eis lag, hatte Renzi mit dem Chef der größten Oppositionspartei, Silvio Berlusconi, abgeschlossen. Für diesen Schritt wurde er auch parteiintern kritisiert. Doch in weiten Teilen der öffentlichen Wahrnehmung gilt der 39 Jahre alte Renzi als Politiker, dem Veränderungen zugetraut werden. Renzi hatte im Dezember die Vorwahlen des PD mit knapp 70 Prozent gewonnen und ist seither Parteisekretär. Bei der Wahl hatten sich knapp drei Millionen Italiener beteiligt. Durch die Abstimmung sieht sich Renzi als Führungsfigur legitimiert.
Der Parteisekretär will nun offenbar durch eine völlig umgestaltete und von ihm geführte Regierung eine neue Phase einläuten. Er kündigte einen „radikalen Neuanfang“ an. Auf die Kritik, er agiere aus übertriebenem Ehrgeiz erwiderte der Bürgermeister: „Jeder von uns muss übertriebenen Ehrgeiz haben.“ Italien könne nicht weiter in Unsicherheit und instabilen Verhältnissen leben. Italien steckt weiter in der schwersten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg. Immer noch sind die dringend notwendigen strukturellen Reformen nicht in Sichtweite.