Fast vier Jahre nach dem Massaker von Duisburg war gestern für den Leitenden Staatsanwalt Nicola Gratteri ein „wichtiger Tag“. Er sagte das nüchtern wie immer. Der Mann ist großer Gefühlsausbrüche nicht verdächtig. „Meine Kollegen und ich haben gute Arbeit gemacht.“
Gute Arbeit. Für Giovanni Strangio bedeutet das, was Italiens bekanntester Mafia-Jäger mit kalabrischem Understatement formulierte, lebenslänglich. Gestern verurteilte das Geschworenengericht in Locri den 32 Jahre alten Mann aus der Nähe des süditalienischen San Lucas zu lebenslanger Haft. Die Richter folgten dem Antrag von Staatsanwalt Gratteri. Auch das Gericht hält Strangio für schuldig, als einer der Haupttäter das „Massaker von Duisburg“ geplant und dann ausgeführt zu haben. Das Urteil ist das Ergebnis fast vier Jahre langer Ermittlungen, die Gratteri in enger Zusammenarbeit mit der deutschen Polizei führte.
Der 15. August 2007 war der Tag, an dem viele Deutsche zum ersten Mal begriffen, wie sehr die Mafia auch in Deutschland aktiv ist. Nachts um zwei sind sechs Männer vor der Pizzeria „Da Bruno“ tot. Erschossen in ihren Autos auf der Straße. Hingerichtet.
Das „Massaker von Duisburg“ war der bislang blutigste Tag einer Fehde zweier Clans der kalabrischen 'Ndrangheta. Deren Hochburg liegt in dem kleinen Dörfchen San Luca im Aspromonte. Aus „tief verwurzeltem Hass, der sich über die Jahre immer vergrößert hat“ bekriegen sich die Familien Nirta-Strangio und Pelle-Votari seit 1991. So beschreibt es die italienische Staatsanwaltschaft. Ganz am Anfang, so heißt es, sollen ein paar Jugendliche des einen Clans die des anderen mit Orangen oder mit Eiern beworfen haben. In Duisburg wurde längst nicht mehr mit Eiern geworfen. Schon vor dem Massaker hatte es Tote gegeben. Zuletzt war die Cousine Giovanni Strangios, Maria Strangio, erschossen worden. Weihnachten 2006. Versehentlich wohl. Eigentlich hätte ihr Mann sterben sollen. Die Tat von Duisburg soll die Rache für den Mord an dieser Frau gewesen sein.
Die Täter flüchteten. Der nun verurteilte Strangio galt schon lange als Haupttäter. Vor der Tat betrieb er eine Pizzabäckerei in Kaarst. Aber seine Familie lebt in San Luca. Genauso wie fünf der sechs Opfer von Duisburg. Strangio wird im März 2009 schließlich in Amsterdam festgenommen. Ab April wird ihm der Prozess gemacht, der gestern aus seiner Sicht schlecht endete. Er und sein bekannter Verteidiger, Carlo Taormina, hatten stets auf unschuldig plädiert. Strangio sei das Opfer eines Komplotts geworden.
Im Gerichtssaal spielten sich nach dem Urteil Szenen der Verzweiflung ab. Der Prozess gegen Giovanni Strangio war nur Teil eines großen Mafia-Prozesses gegen insgesamt 14 Mitglieder der 'Ndrangheta. Sieben von ihnen wurden ebenfalls zu lebenslänglichen Freiheitsstrafen verurteilt. Die Fehde dauert bereits Jahrzehnte. Unter den Verurteilten war auch Giovanni Luca Nirta. Er soll der Auftraggeber des Duisburger Massakers gewesen sein. Den anderen mutmaßlichen Tätern wird noch gesondert der Prozess gemacht werden.
Was das Urteil nun für San Luca bedeutet, dem Dörfchen in den Bergen, die Hochburg der mächtigsten Mafia-Organisation Italiens? Bürgermeister Sebastiano Giorgi, geht nicht ans Telefon. Der Dorfpfarrer Don Pino Strangio hat keine Zeit. Dafür sagt Gratteri noch einen Satz: „San Luca ist wie ein Vulkan. Er kann jederzeit ausbrechen.“