Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Mindestlohn ein „Chancenkiller“?

Politik

Mindestlohn ein „Chancenkiller“?

    • |
    • |
    Für eine Stunde Arbeit: 8,50 Euro verdient noch lange nicht jeder Arbeitnehmer.
    Für eine Stunde Arbeit: 8,50 Euro verdient noch lange nicht jeder Arbeitnehmer. Foto: Foto: Biscan

    Die Wirtschaft schäumt – Sigmar Gabriel aber ficht das nicht an. Einen Koalitionsvertrag, der keinen bundesweiten gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde enthält, will der SPD-Vorsitzende nicht unterschreiben. Gut 80 Prozent der Deutschen weiß er dabei hinter sich – Unternehmer und Ökonomen allerdings warnen vor den unkalkulierbaren Folgen eines solchen Schrittes. Ein Mindestlohn nach dem Muster der Sozialdemokratie, sagt Thomas Straubhaar vom Hamburgischen Weltwirtschaftsarchiv, sei „ein Chancenkiller“. Vor allem für Langzeitarbeitslose und gering Qualifizierte mindere er die Aussicht, eine Arbeit zu finden.

    Gegenwärtig arbeiten nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung sieben von insgesamt 42 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland für weniger als 8,50 Euro die Stunde, zum Beispiel in der Gastronomie, im Friseurhandwerk, im Blumenhandel oder in der Fleischindustrie. Setzt sich die SPD im Streit um den Mindestlohn durch, dürfen diese Beschäftigten auf teilweise saftige Lohnerhöhungen hoffen – sofern sie ihre Jobs behalten. Da die Arbeitgeber die höheren Kosten auch erwirtschaften müssen, könnte sich manche dieser Stellen bald nicht mehr rechnen.

    Nach Berechnungen des Münchner Ifo-Institutes gefährdet ein Mindestlohn von 8,50 Euro bis zu eine Million Arbeitsplätze in Deutschland, vor allem in den neuen Ländern. Ifo-Chef Hans-Werner Sinn verspottet die Anhänger einer gesetzlichen Einheitslösung daher als „ökonomische Laienprediger“.

    Für Sozialdemokraten, Linke und Wissenschaftler wie Gustav Horn vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung hat der Staat dagegen gar keine andere Wahl, als einen verbindlichen Mindestlohn festzusetzen. Je weniger Beschäftigte durch Tarifverträge geschützt seien, argumentiert Horn, umso größer sei der Druck auf die Löhne. „Daher brauchen wir eine Instanz, die eine Grenze setzt.“ Auf Stundenlöhnen von drei Euro, wie es sie im Osten des Landes teilweise noch gebe, könne keine Wirtschaft gedeihen.

    Ein Beschäftigungsrisiko sehen die Befürworter eines einheitlichen Mindestlohnes nicht: Nach ihrer Logik steigt dadurch die Kaufkraft von Millionen von Menschen. Dies kurble die Konjunktur an, sichere und schaffe also Arbeitsplätze. Außerdem würde der Staat nach Berechnungen der SPD-Bundestagsfraktion durch zusätzliche Steuereinnahmen und geringere soziale Folgekosten um rund sieben Milliarden im Jahr entlastet.

    Knifflig wird ein Mindestlohn vor allem für Branchen, in denen bisher nicht nach Stunden abgerechnet wird. Zeitungszusteller, zum Beispiel, werden nach der Menge der ausgetragenen Exemplare bezahlt, Taxifahrer nach der Zahl ihrer Fahrten bzw. dem Umsatz, den sie mit ihnen machen. Müsste ein Taxiunternehmer jedem Fahrer 8,50 Euro pro Stunde garantieren, würde das die Beförderungstarife nach ersten Schätzungen des Branchenverbandes um 20 bis 25 Prozent in die Höhe treiben. Auch im Gastgewerbe mit seinen zwei Millionen Beschäftigten würden die Preise mit einem verbindlichen Mindestlohn vermutlich steigen. Nach einer Studie der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten arbeiten hier zwei von drei Angestellten zu Billigtarifen.

    Als Alternative zu einer bundesweit einheitlichen Untergrenze schlägt die Union nach Branchen und Regionen differenzierte Mindestlöhne vor. Für vier Millionen Beschäftigte in 13 Wirtschaftszweigen gibt es solche Regelungen bereits – unter anderem bei den Wachdiensten, in der Abfallwirtschaft, der Pflege und bei den Gebäudereinigern. Dabei schwanken die Stundensätze zwischen 7,50 Euro für ostdeutsche Leiharbeiter bis zu 13,70 Euro für westdeutsche Bauarbeiter. Dass sich die Kanzlerin mit diesem Modell durchsetzt, gilt jedoch als unwahrscheinlich. Die SPD hat ihren Mindestlohn praktisch für unverhandelbar erklärt. Außerdem gibt es auch in der CDU Stimmen, die eher sozialdemokratisch argumentieren, allen voran Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht und ihr sachsen-anhaltinischer Kollege Rainer Haseloff.

    Nur in Expertenkreisen diskutiert wird bisher ein weiterer möglicher Kollateralschaden. Bei einem Mindestlohn von 8,50 Euro, schätzt der Ökonom Friedrich Schneider von der Universität Linz, werden jedes Jahr ein bis zwei Milliarden Euro mehr in die Schwarzarbeit fließen – zum Nachteil des Steuerzahlers und der Sozialkassen. Vor allem in Ostdeutschland, warnt der renommierte Schwarzarbeit-Forscher, sei der von der SPD angepeilte Stundensatz zu hoch. In Branchen wie dem Bau, bei Gärtnern oder Friseuren „findet sich garantiert jemand, der das auch für sechs oder sieben Euro unter der Hand macht“.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden