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NÜRNBERG: Nürnberger Prozess: Als Görings Gesicht erstarrte

NÜRNBERG

Nürnberger Prozess: Als Görings Gesicht erstarrte

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    Mit starrem Gesicht und vor Entsetzen hervorquellenden Augen sei Hermann Göring in seine Zelle gegangen, berichtet Gustave M. Gilbert. Der US-amerikanische Gerichtspsychologe hatte seit Beginn des Nürnberger Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher des NS-Regimes am 20. November 1945 die Gefangenen betreut, sie beobachtet, Gespräche geführt. Gut zehn Monate später, am 1. Oktober 1946, hörten die Angeklagten ihr Urteil. Göring als erster. „Tod durch den Strang“, lautete es für ihn und anschließend elf weitere Nazi-Anführer. Zudem gab es drei Freisprüche, drei lebenslange und vier langjährige Freiheitsstrafen.  

    Entscheidungen über Leben und Tod

    Einzeln wurden die Angeklagten an diesem Tag in den heute weltberühmten Schwurgerichtssaal 600 des Nürnberger Justizpalasts geführt. Alle Fotografen und Kameraleute mussten den Saal verlassen. Der Moment, in dem die Angeklagten die Entscheidungen der Richter über Leben und Tod hörten, sollte nicht für die Nachwelt festgehalten werden. Es gibt nur Beschreibungen der Prozessbeobachter und Reporter.

    Mit gesenktem Kopf soll Göring sein Urteil vernommen haben und sofort mit einer raschen Kehrwendung auf die Türe in der holzvertäfelten Wand zugesteuert sein. Zurück in seiner Zelle habe sich der sonst nicht um Worte verlegene einstige Reichsmarschall auf die Pritsche fallen lassen und nur ein Wort herausgebracht: „Tod!“

    Psychologe Gilbert meinte, dass er lässig wirken wollte. Aber sein Atem sei schwer gewesen und seine Hände hätten gezittert. „Mit unsicherer Stimme bat er mich, ihn eine Zeitlang alleine zu lassen“, schreibt Gilbert in seinem „Nürnberger Tagebuch“, erschienen 1962 im Fischer Verlag.

    Gerichtssaal als Bühne

    Gilberts Gespräche mit den Gefangenen fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und meist unter vier Augen. Er besuchte sie in ihren Zellen und kam den Nazi-Anführern so nahe wie kaum ein anderer. Vor Gericht versuchten sie dagegen, ihre Fassaden aufrechtzuerhalten. „Nazi number one“ Göring machte den Gerichtssaal oft zu seiner Bühne, war überheblich, demonstrierte Langeweile oder auffallend gute Laune.

    Mit ihm mussten sich 20 weitere Männer für ihre Verbrechen gegen die Menschheit verantworten: darunter Rudolf Heß (Stellvertreter Adolf Hitlers), Ernst Kaltenbrunner (Leiter des Reichssicherheitshauptamtes und Chef der Sicherheitspolizei), Albert Speer (Chefarchitekt Hitlers und Reichsminister für Bewaffnung und Munition) oder Baldur von Schirach (Reichsjugendführer und Gauleiter von Wien).

    Vier Anklagepunkte

    Erstmals saßen Siegermächte über einen besiegten Feind zu Gericht, und erstmals wurden Einzelpersonen auf völkerrechtlicher Grundlage von einem Internationalen Militärgerichtshof zur Rechenschaft gezogen. Bevor in Nürnberg den NS-Größen der Prozess gemacht werden konnte, gab es zähe Verhandlungen zwischen den Alliierten.

    Beim Vier-Mächte-Abkommen am 8. August 1945 einigten sie sich auf das sogenannte Londoner Statut und auf vier Anklagepunkte: Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Humanität sowie Verschwörung gegen den Weltfrieden.

    Die Eröffnungssitzung des Internationalen Gerichtshofs fand am 18. Oktober 1945 in Berlin statt. Aus mehreren Gründen wurde der Prozess anschließend in der fränkischen Metropole fortgesetzt. Nürnberg war die Stadt der NS-Reichsparteitage und der Rassengesetze. Das hatte Symbolwert.

    „Die wahre Klägerin vor den Schranken dieses Gerichts ist die Zivilisation“, sagte der US-amerikanische Hauptankläger Robert H. Jackson in seinem Eröffnungsplädoyer. Die „Untaten“ seien so ausgeklügelt, so böse und von so verwüstender Wirkung gewesen, dass die menschliche Zivilisation es nicht dulden könne, sie unbeachtet zu lassen, „sie würde sonst eine Wiederholung solchen Unheils nicht überleben“.

    Über 280 Zeugen wurden in den folgenden Monaten gehört, Tausende Dokumente vorgelegt, auch umfangreiches Filmmaterial. An die 250 Reporter drängten sich während der 218 Verhandlungstage auf der Pressetribüne, etwa die Schriftsteller Erich Kästner, Alfred Döblin oder Alfred Kerr.

    Als Auslandskorrespondenten kamen zum Beispiel die US-Autoren John Dos Passos, John Steinbeck oder Ernest Hemingway nach Nürnberg. Der spätere Bundeskanzler Willy Brandt oder Thomas Manns Tochter berichteten ebenfalls vom Prozess. Erika Mann schrieb zum Beispiel für den Londoner „Evening Standard“.

    „Nazi-System auf der Anklagebank“

    Auch die Würzburger „Main-Post“, deren erste Ausgabe kurz nach Prozessbeginn am 24. November 1945 erschien, war beim Prozess vertreten. Damals lautete die Schlagzeile „Nazi-System auf der Anklagebank“. Am 1. Oktober 1946 war der Sonderbericht über die am Tag zuvor begonnene Verlesung der Urteilsbegründungen überschrieben mit: „Der letzte Akt hat begonnen“.

    Autor des Berichts war Walter Gong. Er schrieb: „Man merkt auch den Angeklagten an, dass sie dem Abschluss des zehn Monate währenden Prozesses mit einer nur mühsam unterdrückten Spannung entgegensehen, die sie hinter besonders gefaßten Mienen zu verbergen suchen. Selbst Göring, der sein übliches, gelassen und ironisch sein sollendes Lächeln aufzusetzen versucht, wirkt erregt und unsicher. Nur Heß schlafwandelt hinein, als ginge ihn das alles gar nichts an. Er nimmt sich später nicht einmal die Mühe, den Kopfhörer aufzusetzen und stößt den Kopf ruckartig mal nach rechts, mal nach links, ohne irgendeine normale Reaktion auf das Geschehen zu zeigen. Um 15 Uhr 45 verläßt er den Saal, nachdem er sich immer wieder die Stirne gerieben hat; es scheint dahinter nicht ganz richtig zugegangen zu sein.“

    Pattsituation bei den Urteilssprüchen

    Die Richter der vier anklagenden Nationen waren oft nicht einer Meinung. Erst Jahre später wurden Einzelheiten bekannt, wie es zu den einzelnen Urteilssprüchen kam. So gab es bei Albert Speer eine Pattsituation: Zwei Richter waren für die Todesstrafe, zwei für eine 15-jährige Haftstrafe. Die Richter einigten sich dann auf eine längere Haftstrafe, deshalb entging Speer dem Galgen.

    Die Todesurteile wurden am 16. Oktober 1946 vollstreckt. Nur Göring schaffte es, dass sich die Schlinge nicht um seinen Hals legte. Er beging kurz vor der Urteilsvollstreckung in den Morgenstunden des 16. Oktobers Suizid. Wie die Zyankali-Kapsel in seine Zelle kam, darüber gibt es bis heute nur Vermutungen.

    Zwölf Nachfolgeprozesse in Nürnberg

    Bis 1949 fanden in Nürnberg noch zwölf Nachfolgeprozesse statt. Auf der Anklageband saßen 177 Ärzte, Juristen, Industrielle, Militärs, Beamte, SS- und Polizeiführer, Diplomaten. 24 von ihnen wurden ebenfalls zum Tode verurteilt.

    Nachhaltige Folgen hatte vor allem der erste Nürnberger Prozess. Er und das zuvor in London beschlossene Statut der vier Siegermächte waren für die Entwicklung und Durchsetzung eines Völkerstrafrechtes von fundamentaler Bedeutung. So ging von dem Internationalen Militärgerichtshof ein Impuls aus, der zur Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag führte.

    Ausstellung „Memorium Nürnberger Prozesse“

    Im Nürnberger Justizpalast ist seit 2010 die Ausstellung „Memorium Nürnberger Prozesse“ zu sehen. Einblicke gibt es auch in den Schwurgerichtssaal 600. Informationen im Internet: www.memorium-nuernberg.de

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