Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Peer Steinbrück packt auch heikle Themen an

Politik

Peer Steinbrück packt auch heikle Themen an

    • |
    • |
    Angesichts seiner Nebenverdienste bleibt Steinbrück in der Kritik. Foto: Tim Brakemeier / Archiv
    Angesichts seiner Nebenverdienste bleibt Steinbrück in der Kritik. Foto: Tim Brakemeier / Archiv

    Gerechnet hat sie damit – darauf vorbereitet hat er sie nicht. Während die SPD gerade in hektischen Telefonaten ihre Kandidatenfrage klärt, steht Gertrud Steinbrück am Morgen des 28. September erwartungsfroh vor einer Klasse des Bonner Amos-Comenius-Gymnasiums. In Gedanken ist sie schon in Kroatien, wohin sie am nächsten Tag mit ihrem Biologie-Leistungskurs fahren will, als die Sekretärin der Schule mit einem Zettel zu ihr kommt: Sie möge doch bitte rasch ihren Mann anrufen – aber keine Sorge, es sei nichts mit der Familie. Wenig später ist ihr Peer Kanzlerkandidat und sie selbst um eine Erfahrung reicher: „Ich dachte, es handle sich um ein offenes Rennen.“

    Das war es zu diesem Zeitpunkt, wie man heute weiß, schon lange nicht mehr – im Hause Steinbrück jedoch, einer Gründerzeitvilla in Bonn, wurde das brisante Thema bis zu diesem ereignisreichen Freitag ausgeklammert. Erst Anfang Oktober, verriet Gertrud Steinbrück jetzt in entwaffnender Offenheit in der „Welt am Sonntag“, habe der Familienrat getagt, einberufen nicht vom Hausherren selbst, sondern von dessen ältester Tochter Katharina. Und dabei musste sich der Ehemann und Vater offenbar einiges anhören: „Es ging hoch her“, sagt seine Frau, ohne konkreter zu werden. „Das war ein Gerichtstermin für ihn.“

    Natürlich sitzen Gertrud Steinbrück und die drei Kinder am Sonntag in der ersten Reihe, wenn der frühere Finanzminister in Hannover von der SPD auch offiziell als Herausforderer von Angela Merkel nominiert wird. An dessen sturzgeburtiger Inthronisierung aber hat nicht nur die Partei des Kandidaten zwei Monate danach noch zu knabbern, sondern auch dessen Familie. Wer ein derart herausgehobenes Amt anstrebt wie das der Kanzlerin, raubt den Menschen, die ihm nahe stehen, fast zwangsläufig einen Teil ihrer Privatheit. Nicht zuletzt deshalb hat Gertrud Steinbrück großen Respekt vor Joachim Sauer, dem Ehemann von Angela Merkel. Wie sparsam er seit Jahren seine öffentlichen Auftritte dosiert – das imponiert ihr.

    Auch Peer Steinbrück hat sich in den vergangenen Tagen etwas rarer gemacht, wenn auch nicht immer ganz freiwillig. Ein mit 15 000 Euro dotiertes Referat vor ausgewählten Kunden des Schweizer Bankhauses Sarasin sagt er in dieser Woche erst ab, nachdem die Frankfurter Staatsanwaltschaft in einer Steuersache mehrere Filialen der Basler Privatbank in Deutschland durchsuchen lässt. So ist es ausgerechnet ein Schweizer Geldinstitut, das ihm, dem Anti-Schweizer, kurz vor dem Parteitag eine neuerliche Diskussion über seine Vorträge und die üppigen Honorare dafür erspart. Insgesamt sind es deutlich mehr als eine Million Euro, die Tantiemen für seine Bücher noch nicht mitgerechnet.

    Er selbst mag daran bis heute nichts Verwerfliches erkennen. Auch einem Sozi, sagt Steinbrück gerne, müsse es erlaubt sein, Geld zu verdienen. Von der Wucht der Empörung ist er dann allerdings doch überrascht – und räumt auf Nachfragen immerhin eine „Sekundendepression“ ein. Bei einem, der immer so kühl und forsch daherkommt wie Steinbruck, ist das vermutlich ein Synonym für eine mittelprächtige Sinnkrise. Nur zugeben darf einer wie er das natürlich nie, es könnte ihm ja als Schwäche ausgelegt werden. Kritik, sagen Parteifreunde, die ihren Peer kennen, akzeptiere der 65-Jährige eigentlich nur von einem Menschen: seiner Frau, einer promovierten Biologin, die heute Politik und Biologie unterrichtet. Als Steinbrück der Schweiz im Steuerstreit mit der Siebten Kavallerie von Fort Yuma gedroht hatte, soll sie ihm zu Hause entgegnet haben, er erzähle dummes Zeug.

    „Schminken Sie sich Steuersenkungen von der Backe. Ich denke nicht daran, Ihnen die Steuern zu senken.“

    Peer Steinbrück

    Dass die K-Frage sich für sie und die Familie irgendwann stellen würde, weiß Gertrud Steinbrück spätestens seit Mai vergangenen Jahres. In einem Radiointerview signalisiert ihr Mann damals zum ersten Mal öffentlich seine Bereitschaft zur Kandidatur: „Der Zeitpunkt wird kommen, wo ich mich in Absprache mit zwei oder drei Führungspersönlichkeiten der SPD darüber zusammensetze.“ Ein paar Tage später wird er in kleiner, vertraulicher Runde noch deutlicher: Parteichef Sigmar Gabriel, sagt er da, sei einer der wenigen Politiker, die ein erfreulich klares Bild von sich selbst hätten.

    Die, die damals mit am Tisch saßen, schließen daraus, dass Steinbrück schon ahnt oder womöglich schon weiß, dass Gabriel auf keinen Fall selbst nach der Kandidatur greifen wird, weil er seine Chancen gegen Angela Merkel realistisch beurteilt – nämlich als nahezu aussichtslos. Spätestens damit ist klar, dass es einer der beiden „Stones“ werden wird: Frank-Walter Steinmeier oder Peer Steinbrück. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat ja schon erklärt, dass sie in Düsseldorf bleibt.

    Umso verstörter registrieren viele Genossen, wie unvorbereitet der Verzicht des Fraktionsvorsitzenden den nunmehr einzig verbliebenen Kandidaten Ende September trifft. Es dauert Tage, bis Steinbrück eine Antwort auf die ständigen Fragen nach seinen Honoraren gefunden hat und sie notgedrungen offenlegt. Es dauert Wochen, bis zumindest der harte Kern seiner Wahlkampfmannschaft steht. Und es dauert fast zwei Monate, bis auch die SPD-Linke ihren Frieden mit ihm macht, weil Steinbrück sich weit auf sie zu bewegt, alle Bedenken unterdrückt und sogar Abstriche bei der Rente mit 67 akzeptiert. 90 Milliarden Euro im Jahr würden die Reformen der SPD am Ende kosten, rechnet Sozialministerin Ursula von der Leyen von der CDU prompt vor. Und fügt hinzu: „Das sind Luftballons, aus denen der Finanzminister Steinbrück früher in Sekunden die Luft heraus gelassen hätte.“

    Es ist eine komplizierte Versuchsanordnung, die die SPD da für die Bundestagswahl 2013 aufgebaut hat. Ein eher konservativer Sozialdemokrat, bürgerlich in Herkunft und Lebensstil, soll mit einer deutlich nach links gerückten SPD den Machtwechsel im Bund erzwingen. Ein Mann, der wie Gabriel und Steinmeier noch nie eine wichtige Wahl gewonnen hat, der nach allen Umfragen bei den Frauen schlecht ankommt und für seine Unberechenbarkeit auch in der eigenen Partei gefürchtet wird. Andererseits fehlt so viel nicht, um Angela Merkel zu stürzen: Wenn die FDP tatsächlich aus dem Bundestag fliegt, müssen Sozialdemokraten und Grüne nur noch drei, vier Prozent dazugewinnen, damit Peer Steinbrück Kanzler einer rot-grünen Regierung werden kann. Für eine Große Koalition, das hat er von Anfang an gesagt, steht er nicht zur Verfügung. Dann müsste, vermutlich, Frank-Walter Steinmeier noch einmal als Vizekanzler ran.

    Um das zu verhindern, legt Steinbrück sich auch in einem Alter, in dem andere schon ihren Ruhestand genießen, noch einmal mächtig ins Zeug. An Ehrgeiz und Selbstbewusstsein fehlt es ihm so wenig wie an rhetorischen Talent, wenn er der Koalition vorwirft, jede Frittenbude in Deutschland sei besser organisiert als die Energiewende. Dass er so häufig als Redner eingeladen wird, liegt ja nicht zuletzt daran, dass er ein verdammt guter Redner ist, bissig im Ton, pointiert bis provozierend in der Sache und selbst für die, die insgeheim ganz anders denken und nie die SPD wählen würden, von hohem Unterhaltungswert. Auch wenn in seinem Publikum nur Unternehmer sitzen, mogelt Steinbrück sich um heikle Themen nicht herum. „Schminken Sie sich Steuersenkungen von der Backe“, sagt er dann und zeigt mit dem Finger in den Saal. „Ich denke nicht daran, Ihnen die Steuern zu senken.“

    So gefällt er auch seiner SPD, deren Funktionäre er schon mal als „Heulsusen“ verspottet und von der er noch im vergangenen Jahr gesagt hat, sie wirke auf ihn ein wenig langweilig. Nun soll der Parteitag in Hannover die Partei und ihren Kandidaten endgültig miteinander versöhnen – oder zumindest bis zur Bundestagswahl. Seit Tagen, heißt es in der Partei, feile Steinbrück bereits an seinem Text, in dem viel von Gerechtigkeit und sozialem Ausgleich die Rede sein wird, die in Wirklichkeit aber vor allem ein Ziel hat. Den verpatzten Start möglichst bald vergessen zu machen. Seine Frau ist am Tag danach übrigens nach Kroatien gefahren.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden