An diesem Sonntag wird Papst Franziskus mit Paul VI. (1963-1978) einen seiner Vorgänger seligsprechen. Mit dem Hochamt auf dem Petersplatz, zu dem der emeritierte Papst Benedikt XVI. erwartet wird, geht auch die Bischofssynode zum Thema Familie offiziell zu Ende. Kritiker bemängeln nicht ganz unberechtigt, dass sich nach den Heiligsprechungen von Johannes XXIII. und Johannes Paul II. vor fünf Monaten das Papsttum in diesem Jahr gewaltig inszeniert. Doch interessanter ist ein anderer Aspekt: Was verbindet Paul VI. und Franziskus?
Es ist ein symbolischer Akt, dass Franziskus die Seligsprechung Paul VI. auf das Ende der Sondersynode vorgezogen hat. Die Bischofsversammlung und die Art der von Franziskus angestoßenen Debatte über Ehe, Familie und Sexualität stellen eine Zäsur in der jüngeren Geschichte der katholischen Kirche dar. Auch Paul VI., der in der säkularisierten Welt noch immer als „Pillen-Paul“ firmiert, stand zunächst für einen Wandel.
Während die breite Öffentlichkeit sich an ihn allein wegen der umstrittenen Enzyklika „Humanae Vitae“ (1968) und das darin ausgesprochene Verhütungsmittelverbot für Katholiken erinnert, galt Giovanni Battista Montini zuvor als Mann der Offenheit und des Dialogs.
Franziskus will seinem Vorgänger nun späte Gerechtigkeit widerfahren lassen. Vielleicht erkennt sich Jorge Mario Bergoglio sogar in gewisser Hinsicht im gewiss viel zurückhaltenderen und weniger charismatischen Italiener wieder. Als Erzbischof von Mailand waren Montini soziale Fragen ein großes Anliegen. In der Industriestadt widmete er sich den Arbeitern, ähnlich wie Bergoglio sich als Kardinal den Armen in Buenos Aires annahm.
Als Papst brachte Paul VI. federführend das Zweite Vatikanische Reform-Konzil zu Ende und setzte die Synode als kollegiales Beratungsinstrument ein, dem Franziskus jetzt zu neuer Bedeutung verholfen hat. Als seherisch wurden Montinis Sozial-und Friedensenzykliken bewertet, etwa wenn er 1967 schrieb, dass „der neue Name für Frieden Entwicklung heißt“. Paul VI. bereiste im Lauf seines Pontifikats als erster Papst alle fünf Kontinente, er stattete Israel den ersten Besuch als Oberhaupt der Katholiken ab, sprach als erster vor den Vereinten Nationen, führte die Weltfriedenstage ein. Er öffnete die Kirche gegenüber der Ökumene und dem Judentum, setzte eine bedeutende Liturgiereform durch und krempelte die Kurie um.
Seinen Ruf als Reformer hatte er bereits 1964 gefestigt, als er die Tiara genannte Papstkrone absetzte und den Erlös den Armen spendete. „Ich bin kein König, sondern ein Pastor“, soll er damals gesagt haben. Mit den Ohren von heute klingt das sehr nach Franziskus. Sieht man von den verschiedenen Charakteren und dem Kontext ab, lesen sich nicht wenige Schritte Montinis wie die von Jorge Mario Bergoglio.
Die Rezeption von Humanae Vitae, der sogenannten Pillen-Enzyklika, hat die Sicht auf Paul VI. grundlegend verändert. Aus einem zurückhaltenden Reform-Papst verwandelte sich Montini in der öffentlichen Wahrnehmung zu einem weltfremden Buh-Mann. Ob dieses Schicksal eines Tages auch den beliebten Franziskus ereilen könnte, ist Spekulation.