Unsere Zeit tickt dem Weltuntergang entgegen – am 21. Dezember 2012 ist es so weit. Den Eindruck erwecken zumindest zahllose Foren in den Tiefen des Internets. Die digitale Gerüchteküche brodelt: Steht die Apokalypse bevor? Haben die Mayas alles gewusst? Verschweigt die NASA das Herannahen eines mysteriösen Planeten, der die Erde treffen wird? Keine Spekulation ist zu abwegig, um Gehör zu finden. Countdowns zählen die uns verbleibenden Tage.
Aber auch die Skeptiker sind online aktiv, und es hagelt Spott: Unter jedem „Beweis“ einer Alien-Sichtung auf dem Videoportal YouTube findet sich auch der spitzzüngige Kommentar eines Zweiflers. So wenig Einsicht kann den Eifer der Apokalypse-Fans jedoch nicht bremsen.
Bernd Harder jedenfalls ist sich sicher, was nach dem 21. Dezember kommt: „Die Zeit der großen Ausreden. Dann behaupten wieder alle, sie hätten sich nur verrechnet.“ Harder ist Journalist und Mitglied der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) – ein Skeptiker von Beruf. In zahlreichen Büchern und Vorträgen hat er sich mit dem Thema Weltuntergang auseinandergesetzt. „Schon faszinierend, wie die Menschen immer aufs Neue dasselbe prognostizieren“, sagt Harder.
Mit einem Maya-Kalender hatten die Spekulationen um den 21. Dezember 2012 begonnen. Nach heutiger Zeit endet an diesem Tag die erste Periode der so genannten Langen Zählung der Mayas. Erstmals wiederholt sich die Zahlenkombination vom Schöpfungstag, den die Mayas auf 3114 vor Christus datieren. Allerdings erwarteten die Mayas an diesem runden Datum keineswegs den Weltuntergang, sagt Harder: Zwar könne der Tag eine spirituelle Bedeutung haben, „aber die Apokalypse ist eine Vorstellung, die westliche Missionare im 16. Jahrhundert nach Südamerika brachten.“ Die Mayas hätten vielmehr in Zyklen gedacht, so Harder, eine Vorstellung, die sie aus ihrem Alltag kannten. Endet ein Zyklus, beginnt der nächste, der Kalender hört nicht plötzlich auf.
Im Internet listen selbst ernannte Experten dennoch vorsorglich Überlebenstipps auf. Deren Logik zufolge würde es sich beispielsweise lohnen, Dosenravioli für mindestens drei Monate zu bunkern. Stichwort bunkern: Anleitungen für den Schutzraum Marke Eigenbau finden sich im Netz ebenfalls.
Heiß diskutiert wird auch die Frage, wo man sich denn beim Weltuntergang am besten aufhalten sollte. Denn angeblich gibt es sie, die sicheren Orte. Im Netz kursieren mehr oder weniger ernst gemeinte Hitlisten. Die Mischung ist kurios: Wer auf die menschliche Technik vertraut, kann in geheimen Atombunkern in den USA Schutz suchen. Wer lieber an übernatürliche Kräfte appelliert, könnte es mit dem sagenumwobenen Glastonbury Tor in England versuchen, wo unter anderem der Zugang zum Feenreich Avalon vermutet wird. Auch der türkische Berg Ararat ist angeblich sicher, soll Noah hier doch seine Arche gebaut haben. Erschwert werden könnte die Wahl eines Zufluchtsorts dadurch, dass keiner so genau weiß, welcher Art die Apokalypse ist. Ereilt uns die Sintflut, verglüht uns die Sonne oder ist es doch die Kollision der Erde mit dem mystischen Planeten Nibiru?
Im Fall des kleinen französischen Dorfes Bugarach hat der digitale Wirbel ganz reale Auswirkungen. Seit Apokalyptiker Bugarach zum tauglichen Zufluchtsort gekürt haben, pilgern Heilsuchende und Untergangstouristen aus der ganzen Welt in die 200-Seelen-Gemeinde am Fuße der Pyrenäen.
Frankreichs staatliche Sektenkommission ist angesichts des regen Interesses bereits aufmerksam geworden. In ihrem Jahresbericht 2010 schreibt sie, die Apokalyptiker glaubten, der Berg vor Bugarach beherberge eine Art Basisstation von Außerirdischen. Von dort aus, so die Gerüchte, würden einige Auserwählte am 21. Dezember gerettet. Die Kommission will das Dorf überwachen, da „Störungen der öffentlichen Ordnung“ möglich seien. Der Zugang zum Berg werde vorsorglich gesperrt werden, meldeten vergangene Woche die zuständigen Behörden.
Marketingstrategen haben das kommerzielle Potenzial eines nahenden Weltuntergangs längst erkannt: Von der Tasse bis zum Adventskalender mit nur 21 Türchen werden „Fan“-Artikel im Internet angeboten. Der Deo-Hersteller Axe hat bereits eine „Final Edition“ auf den Markt gebracht. Im dazugehörigen Werbeclip baut ein junger Mann eine Arche und lockt mit dem Deo-Duft scharenweise knapp bekleidete weibliche Modells an. Einige Internetseiten sind in sanften Pastelltönen gestaltet und mit esoterisch anmutenden Symbolen verziert. Die Menschheit befände sich in einem Prozess der Bewusstseinsveränderung, heißt es da. Neue Heilmethoden versprechen Hilfe. Gratis sind solche Behandlungen allerdings nicht.
„Im Netz kann jeder seine Ansichten publizieren, ohne dass die Fakten überprüft werden. Es ist sehr einfach, Gleichgesinnte zu finden“, sagt Bernd Harder. Das Internet sei aber nicht der Ursprung der Gerüchte, meint der Skeptiker: „Solche Szenarien stammen von denen, die damit Kohle machen können. In jeder Buchhandlung gibt es heute doch ein Weltuntergangs-Regal, und wenn es nicht die Apokalypse ist, dann wenigstens die große Neubesinnung.“ Mit den Mayas werde für die Spekulationen ein Volk herangezogen, „über das man möglichst wenig weiß und das trotzdem als eine Art 'weises Urwaldvolk' gilt“, sagt Harder, „das lässt viel Interpretationsspielraum.“
Ein Gutes findet der Skeptiker aber doch an der Sache: „Die Gelegenheit nutze ich, um die ganzen Theorien wissenschaftlich zu beleuchten und die physikalischen Phänomene zu erklären, die dahinterstecken. Da kann man den Sinn vom Unsinn trennen.“ Er selbst will am 21. Dezember auf einer Veranstaltung warten, ob bis Mitternacht etwas passiert. Und wenn nicht: Der nächste Weltuntergang kommt bestimmt.