Das Schwingen beginnt schon bei der Auffahrt. Kehre 11 lässt einen im jähen Bogen nach rechts fahren, kurze, langgezogene und ja, auch steile Kurven heben einen vom Inntal hoch auf eine besondere Ski-Ebene. Das Auto hat danach für einige Tage ausgesorgt in Serfaus. Jetzt sind Skier dran. Und wie. Auf 460 Hektar kann man 214 Pistenkilometer sammeln zwischen dem Masner-Gebiet von Serfaus, dem Sattelkopf von Fiss bis zum Zwölferkopf hoch über Ladis. Alles auf fein gepflegten Pisten. Wenn man nicht gerade mit Markus Sertl und Stefan Schütz unterwegs ist. Die beiden Schneesportlehrer aus der Serfauser Skischule sind wilde Hunde. Mit breiten Latten, Rucksack, Lawinen-Piepsern und Schaufeln ausgerüstet lassen sie uns warmfahren.
Was heißt hier warmfahren? Diesmal hat sich zu den jungen Burschen in Rot ein echter Heizer gesellt: Marc Girardelli, Sieger bei 46 Weltcup-Rennen, fünf Mal Gesamt-Weltcup-Gewinner, elf Medaillen bei Weltmeisterschaften – das Wort langsam kennt der Vorarlberger auch als 53-Jähriger nicht. Er lässt uns vorfahren, Gruppen-Einteilung.
Mit weitem Schwung sause ich auf meinen blauen Freeride-Brettern den steilen Hang hinab, die Radien werden enger, die Geschwindigkeit dosierter, dann lass ich's wieder laufen, bleibe auf der Kante, nur mein Oberkörper ist nicht ganz so in Schnee-Nähe wie der von Marc. „Hey, war nicht so schlecht; rüber zu denen!“ Von einem der letzten kompletten Ski-Olympioniken in die Gruppe 1 gelotst zu werden, hat schon was.
Markus und Stefan, die Skilehrer, übernehmen. Und führen die Gruppen hoch zum Masner-Kopf. Dort, auf dem höchsten Punkt, geht es erst auf der Piste hinunter, nicht ohne den Hinweis, dass wir beim nächsten Auffahren die Verpistungen – welch' Wortschöpfung – verlassen. Ins Gelände. Mit Marc Girardelli. Der an diesem Tag nur seine taillierten Skier dabei hat.
Aber der Mann kann's eben, das Skifahren. Seine Augen blitzen freudig. Am Mindersjoch springen wir von der Piste in den Tiefschnee, lassen uns gleiten bis auf ein ausladendes Plateau. Dort gibt Markus, ein gebürtiger Oberpfälzer, die Linien vor: „Hier bis zu der Rinne, dann unten nicht ganz so weit nach rechts. Da gibt's Steine!“ Die Sonne strahlt, der Schnee staubt – und Marc zieht die erste Linie.
Bis es kracht. „Ouhweh, ein Fels!“ Das hält ihn aber nicht auf, weiter nach unten zu schwingen mit seinen Schlitzern. Unsere Freeride-Skier gleiten locker über den Hang durch eine enge Rinne bis zum nächsten Haltepunkt. „Ein kräftiger Kratzer“, bilanziert Marc. Er kommt auf 60 Skitage in der Saison, da muss ein Ski etwas aushalten können.
„Abfahrt in den Tod“ heißt das Erstlingswerk von Marc Girardelli
Unsere Linie hat uns etwas abdriften lassen vom Lift. Also, Skier schultern und hoch stapfen. Auf knapp 2400 Metern Höhe ein durchaus luftraubendes Unterfangen. Aber Marc wird nicht müde, von seinen Unternehmungen zu erzählen – den Ski-Legenden-Rennen und seinen Vorbereitungen in der Sauerstoffkabine. Am Lift nimmt er den Schraubendreher und stellt die Bindung einer Mit-Skifahrerin passend ein – ein Service, der viele Bewunderer anlockt. „Hey Marc, können wir ein Foto mit dir machen?“ Klar. Dem Lustenauer ist nichts zu viel an diesem Tag. Höchstens, wenn er hört: „Meine Oma ist einer deiner größten Fans!“
Beim Liftfahren erzählt er von seinen beruflichen Unternehmungen. Die reichen von seinem Engagement bei der Bemer-Group, die Geräte zur physikalischen Gefäßtherapie vertreibt, über Ski-Gebiet-Promotion für Bulgarien, bis zur – ja wirklich! – Literatur. Dafür ist aber selbst der lange Masner-Lift zu kurz. Und bei der Abfahrt gibt es Wichtigeres. Denn neben der Piste findet Markus unverspurtes Gelände, bis wir zur Mittagsrast an die Masner-Skihütte kommen. Dort erst lüftet Marc Girardelli sein literarisches Geheimnis. Bei der Ski-WM in St. Moritz unlängst stellte er sein erstes Buch vor. „Eine Biografie wollte ich nie schreiben, das langweilt nur.“ Jetzt ist es ein Krimi geworden: „Abfahrt in den Tod“. Er ist im Weltcup-Zirkus angesiedelt, Wengen, Crans Montana, Kitzbühel – alles kommt vor. „Und natürlich Mord, Intrigen und eine Liebesgeschichte. Das hat meine Co-Autorin geschrieben, ich war für die Ski-technischen Sachen zuständig.“ Das Vorwort stammt von Hansi Hinterseer. „Darauf bin ich echt stolz!“
Nach einer erholsamen und köstlichen Pause im Restaurant „Monte Mare“ holt uns Markus wieder in den Schnee. „Wenn ihr rasten wollt, hättet ihr euch einen anderen Skilehrer suchen müssen!“ Er hat wieder einen frischen Hang ausgesucht – ohne Spuren. Er deutet auf die Obere Scheid, auf der sich gerade eine große Gruppe über den Grat hochkämpft. „Wir nehmen die Abkürzung“, sagt er. Und – schwupps – laufen wir über Stock und Stein vom Arrezjoch Richtung Schafberg. Dort überqueren wir vorsichtig ein großes Schneefeld, um von der Seite in den Hang zu kommen. Welch eine Freude, diese Abfahrt.
„Noch mal!“, blitzt es aus unser aller Augen. Doch Markus und Stefan haben anderes vor. „Lasst uns nach Fiss fahren, da haben wir eine weitere Überraschung für Euch!“, locken die Skilehrer. Einen Bergdohlen-Flug weiter – wer mag, kann das auch wörtlich nehmen mit dem Skyswing und dem Fisser Flieger an der Möseralm (siehe Infobox) – kommen wir mit der Almbahn am windumzausten Zwölferkopf an. Auf uns wartet die steile Adlerpiste, die wir auf der Route ins Urgtal verlassen. Da sind wir wirklich allein. Ein Fleckchen Tiefschnee lässt uns jubeln, die Fahrt durch den Fichtenwald lässt uns schnaufen: alles dabei, was das – Gott sei Dank gut trainierte – Freerider-Herz begehrt.
Im Winter Skilehrer, im Sommer Hirte
Skilehrer Stefan lässt uns danach ausschnaufen in der gastlichen Zirbenhütte. Er zeigt derweil im großen Bogen, wo er den Sommer verbringt. „Hinter dem Masnerkopf sömmern auf unserer Alm 200 Rinder und 400 Schafe!“ Der 30-Jährige ist Hirte, seine Frau und die beiden Kinder sind in den drei Sommer-Monaten auch dort oben dabei. Manchmal hat er Neigungsgruppen, mit denen er auf Ski-Tour geht. Und dabei blickt er gerne auf seine verschneite Alm. „Das muss einfach mal sein im Winter.“ Die Freeride-Gefühle, die man danach bei der Abfahrt ins Skigebiet erleben kann, können wir uns ausmalen.
Unser Plan sieht das in diesen Tagen nicht vor. Dafür lassen wir es auf den steilen Abfahrten im Skigebiet krachen. Und wenn wir dann von der Dorfbahn ins Auto steigen, schwingt das Gefühl noch nach – bis zur Kehre 11 ganz unten im Inntal.
Tipps zum Trip Anreise: Der nächstgelegene Bahnhof ist Landeck, dann mit dem Linienbus (4236, eine Stunde Fahrzeit) oder Taxi nach Serfaus, Fiss, Ladis. Mit dem Auto über die A 7, Füssen, Fernpass, Tunnel Landeck, Ried, dann die Serpentinen hoch (Entfernung von Würzburg etwa 400 km). Serfaus ist verkehrsberuhigt (Dorfbahn!), großer Parkplatz vorhanden. Unterkunft: In den drei Orten gibt es Unterkünfte aller Kategorien – vom Privatzimmer bis zum Komforthotel. Im Superior-Wellnesshotel Schalber zum Beispiel kostet die Nacht pro Person im Doppelzimmer inklusive Halbpension und Wellness ab 210 Euro aufwärts. Skipass: ein Tag 49 Euro, sechs Tage 234 Euro. Aktivitäten: Wer sich vom Freeriden ausruhen will, hat mehrere Möglichkeiten im Skigebiet: Der Schneisenfeger ist eine feststehende Rodelbahn, auf der man beim Restaurant Seealm Hög auf 1,5 km mit bis zu 40 km/h hinabsausen kann. Der Fisser Flieger ist ein drachenähnliches Fluggerät an einem Liftseil, mit ihm können vier Fluggäste in einer Höhe von bis zu 47 Metern über die Möseralm fliegen. Der Skyswing ist eine überdimensionierte Katapult-Schaukel für acht Personen – wer da einen Überschlag wagt, braucht einen stabilen Magen. Freeride-Kurse/Skitouren: Dazu zählt der Umgang mit Lawinen-Piepsern, Schaufel und Sonde; ein Modul für Skifahren im Gelände, Linien richtig lesen, 85 Euro bei der Skischule Serfaus; Schnuppertour (jeden Donnerstag und Freitag auf Anfrage) bis zu drei Personen 137 Euro; Schmuggler-Tour bis drei Personen 315 Euro, jede weitere 46 Euro. Tourismusverband: Serfaus-Fiss-Ladis Information, Gänsackerweg 2, A-6534 Serfaus; Tel. 00 43/54 76/62 39. Internet: www.serfaus-fiss-ladis.at