An heißen Sommertagen schieben sich die Touristengruppen besonders träge und dennoch laut plappernd von der Wiener Staatsoper, vorbei am Albertinaplatz mit dem Hrdlicka-Denkmal, hinüber zur Michaelerkirche. Am Josefsplatz werden sie oft aufgehalten, die Kameras klicken. Wie aus einer anderen Welt überqueren dann Lipizzaner in einer langen Reihe die Straße zwischen Hofburg und Stallburg. Nach der Morgenarbeit oder aus der überdachten Führanlage neben der Winterreitschule werden die Pferde zurück in ihre Boxen geführt.
Die Hofreitschule pflegt seit 450 Jahren klassische Reitkunst und ist eine lebendige Erinnerung an die Jahrhunderte, in denen die Habsburger über große Teile Europas herrschten. Damals diente sie der Reitausbildung der adeligen Jugend. Nach dem Ersten Weltkrieg ging die Hofreitschule in öffentlichen Besitz über. Gefragt war nun vor allem der Erhalt der klassischen Reitkunst und der Lipizzaner-Rasse.
Andreas Hausberger hat mehr als 30 Jahre Hofreitschulen-Geschichte miterlebt. Heute arbeitet er als Oberbereiter mit den Lipizzanern und erinnert sich gut an die Nacht zum 27. November 1992, als die Hofburg brannte. Damals lebte er in einem Zimmer in der Stallburg. „Ein Pfleger weckte mich. Es roch nach Feuer“, erzählt er. Eleve Hausberger rief die Feuerwehr und durchlebte qualvolle Minuten, bis diese endlich eintraf und die Evakuierung der Stallungen anordnete. „Zu viert mussten wir 69 Pferde über eine Nottür hinausbringen. Das war gar nicht so einfach“, erinnert sich Hausberger. „Draußen drückten wir die Halfter irgendwelchen Passanten in die Hand, die gerade aus den Bars kamen. Doch manche Pferde rissen sich los und liefen durch Wiens Straßen, bis wir sie in den Volksgarten treiben konnten, der einen Zaun hat.“
Der Brand war sicherlich das aufregendste Erlebnis in Hausbergers Karriere an der Spanischen Hofreitschule. Das schönste, berichtet er, war seine erste Vorführung mit dem Hengst, den er sechs Jahre lang ausgebildet hatte: Conversano Isabella. „Mit der ersten Vorführung erringt man in der Hofreitschule auch die Qualifikation zum Bereiter. Da wusste ich, jetzt habe ich es geschafft“, erzählt er stolz.
Hausberger stammt aus einem Haflinger-Gestüt in Niederösterreich. Wie die anderen Bereiter trainiert er jeden Morgen mit neun Hengsten – je 45 Minuten lang. Die Hohe Schule der klassischen Reitkunst kostet viel Zeit und Kraft. Den Zuschauern verschlägt es bei der Morgenarbeit den Atem, wenn konzentriert die Lektionen und Figuren geprobt werden. Es spielt keine Musik, nur das Schnauben der Hengste, das Knarren des Zaumzeugs und das leise Trappeln der Hufe auf dem Sägemehl ist zu hören.
„Es wäre schön, wenn erklärt würde, was geschieht“, sagt eine Zuschauerin aus Landau in der Pfalz, die selbst reitet. Doch das würde die Pferde stören. Samstags und sonntags sind Touristen fasziniert, wenn sie im Ambiente der barocken Winterreitschule mit opulenter Stuckdecke zu Walzer und Radetzkymarsch die Vorführung verfolgen. Die Weltklasse-Reiter auf eigens gezüchteten Lipizzanern mit Zweispitz, braunem Frack und weißen Hirschlederhosen gehören zur Inszenierung der Kaiserstadt Wien wie Schloss Schönbrunn, Sängerknaben und Mozartkugeln.
Alice Kay aus Birmingham ist eine von jährlich 300 000 Besuchern. Die alte Dame ist am Morgen mit dem Donau-Kreuzfahrtschiff in Wien angekommen und wird um Mitternacht wieder Richtung Bratislava ablegen. In England sehe sie sehr viele Reitturniere, doch etwas so Schönes wie die Spanische Hofreitschule gebe es nicht, meint sie. Zwei Amerikanerinnen schlagen die Hände vors Gesicht und jauchzen laut über Pirouetten, Courbetten, Levaden und Kapriolen der Hengste. „Beautiful“, „excellent“ und „wow“ kommentieren sie abwechselnd.
Am Rande der Reitbahn steht Elisabeth Gürtler, die Generaldirektorin der Spanischen Hofreitschule. Perfekt gestylt verfolgt sie den Beginn der Vorführung und spricht leise mit dem technischen Leiter. Gürtler ist eine Pferdefrau. Mit fünf Jahren ritt sie zum ersten Mal, mit 14 bekam sie ihr erstes Pferd. Später wurde sie österreichische Vizemeisterin im Dressurreiten und managt – seit sie 2007 die Führung des berühmten Hotel Sacher an ihre Tochter übergeben hat – die Hofreitschule.
Gürtler versteht viel von Pferden, viel von Dressur und noch mehr vom Geschäft. Sie nimmt ihren Auftrag ernst, den einst maroden früheren Staatsbetrieb zu sanieren, der 2001 unter Kanzler Wolfgang Schüssel privatisiert wurde. Als frühere Organisatorin des Opernballs weiß sie, wie man Wiener Tradition und die Bedürfnisse der Touristen ausbalancieren kann. Mit Veranstaltungen wie einem Sommerball in der Stallburg findet sie neue Einnahmequellen und Sponsoren.
Die Hofreitschule muss Geld verdienen und damit sich und auch das Gestüt Piber mit 240 Lipizzanern erhalten. Doch nur einmal ist seit 2007 ein Überschuss von 30 000 Euro gelungen, meist enden die Bilanzen mit einem Defizit von etwa einer Million Euro. Also macht sich Elisabeth Gürtler bei Kritikern unbeliebt: Sie erhöht die Zahl der Aufführungen, Pferde und Bereiter in Wien, schickt die Pferde auf Tournee, kürzt den Urlaub, bietet im Sommerquartier Heldenberg Reit-Seminare an und setzt die Empfehlungen des Rechnungshofes um, die auch die Privilegien der Bereiter betreffen. Diese sind verbeamtet und verdienten teilweise 170 000 Euro im Jahr.
„Früher wurde nur von 8 bis 11 Uhr gearbeitet. Danach gingen alle in ihren eigenen Stall oder gaben Reitstunden“, erzählt Oberbereiter Hausberger, der nervös an seiner Uhr nestelt, wenn das Gespräch auf die Konflikte kommt. Gürtler führt Stechuhren ein, nimmt weibliche Lehrlinge auf, scheut keinen Konflikt – und setzt sich durch. Doch der Preis ist hoch, und weniger unabhängige Naturen hätten vermutlich längst das Handtuch geworfen.
Zumal Kritiker der Hofreitschule beharrlich versuchen mit Fotos und Videos nachzuweisen, dass die Lipizzaner mit einer Ausbildungsmethode namens Rollkur gequält werden. Dabei wird der Kopf des Pferdes mit den Zügeln Richtung Brust gezogen. Gürtler weist das zurück: „Warum sollen wir die Tiere quälen? Wir reiten ja ohne Druck. Bei uns geht es nicht um Erfolge wie bei einem Turnier. Das Tempo der Ausbildung bestimmen die Pferde.“ Der „Freundeskreis der klassischen Reitkunst“ wirft Gürtler zudem vor, das künstlerische Niveau sinke. Bei der Ausbildung von Pferden und Bereitern werde geschludert. „Das Gesetz schreibt klassische Reitkunst vor, aber betrieben wird die reine Kommerzialisierung“, sagt Joseph Offenmüller, der Sprecher des Freundeskreises.
Gürtler sieht das pragmatisch: „Es gibt immer einige glanzvolle Reiter und manche, die es nicht so gut können. Das gilt auch für die Pferde.“ Für eine angemessene Haltung und Ausbildung der Pferde sei eine Menge Geld nötig, sagt die 65-Jährige. „Hätten wir genug Geld, um unsere Aufgabe ohne die Shows zu erfüllen, würde ich sie sofort einkürzen.
“ Ihr Ziel ist klar: „Wir benötigen eine Unterstützung von etwa einer Million Euro im Jahr. Darüber verhandeln wir derzeit – und sind auf einem guten Weg.“
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Tipps zum Trip
Die Spanische Hofreitschule ist im Internet zu finden unter www.srs.at Geführte Rundgänge werden angeboten (Erwachsene 16 Euro), auch Tickets, mit denen man bei der Morgenarbeit zusehen kann (Erwachsene 14 Euro). Lippizaner sind eine der ältesten Pferderassen der Welt. In Österreich werden sie seit 1920 im Gestüt Piber in der Steiermark gezüchtet, wo derzeit 240 Lipizzaner leben. Gegründet wurde das Hofgestüt 1580 in der Nähe des Dorfes Lipica im heutigen Slowenien. Das Hofgestüt war bis 1915 das Privatgestüt des österreichischen Kaiserhauses. In Wien präsentieren heute 72 Hengste in etwa 70 Vorführungen vor 300 000 Besuchern das „Ballett der weißen Hengste“.
Die Sommermonate verbringen die Hengste im niederösterreichischen Heldenberg. Dann sind in Wien Stuten und Fohlen zu sehen.