Blond war sie und mit einer betörenden Stimme ausgestattet: die Loreley. Mit ihrem Gesang zog sie Schiffer in ihren Bann. Die waren so angetan vom Anblick der schönen Dame, wie sie da auf dem rauen, grauen Felsen am Ufer des Rheins thronte und sich ihr wallendes Haare kämmte, dass sie trotz der gefährlichen Strömung nicht mehr auf ihren Kurs achteten und die Schiffe an den Felsenriffen entlang des Flusses zerschellten. So weit die Legende.
Die Schiffe, die sich heute unterhalb des Loreley-Felsens im Oberen Mittelrheintal bei St. Goarshausen durch die langgezogenen Kurven des Rheins schlägeln, sehen wahrlich nicht so aus, als würden sie so schnell zerschellen. Tonnenschwere Ungetüme aus Stahl – bis zu 110 Meter lang – pflügen hintereinander durch das Wasser. Und was da hinab ins Tal schallt, ist weder lieblicher noch süßer weiblicher Gesang. Die Loreley trägt schwarz. Und sie rockt. Gitarren kreischen, Bässe wummern, Schlagzeug-Salven ergießen sich im Stakkato über den 132 Meter aufragenden Schieferfelsen, der sich am östlichen, rechten Ufer an der Innenseite einer Rheinkurve befindet.
Menschen mit langen schwarzen Haaren spreizen Zeige- und kleinen Finger zum Teufelsgruß. Die Loreley hat sich für zwei Tage in einen Rockfels verwandelt. Im Herzen des Unesco-Weltkulturerbes Oberes Mittelrheintal, das von Dichtern gelobt wurde und das jedes Jahr Millionen Touristen aus aller Welt anlockt, befindet sich oberhalb des Besucherzentrums auf dem Loreley-Plateau bei St. Goarshausen eine der schönsten Freilichtbühnen Deutschlands. Bis zu 18 000 Besucher fasst das wie ein Amphitheater aufgebaute Veranstaltungsgelände.
Musik mit Ausblick
An diesem Wochenende ist es fest in der Hand von Heavy-Metal-Fans. Ganz dem Trend folgend, wonach Musik hören, campen und feiern in Deutschland immer mehr Anhänger findet, wollen die Veranstalter auf der Loreley ein Heavy-Metal-Festival etablieren. Der erste Anlauf, das „Rockfels Festival 2015“, ist mit Bands wie Lordi, Helloween, Saxon oder Hammerfall als muskalischen Zugpferden ganz gut geglückt. Die Besucherzahl hätte sicher höher ausfallen können, aber das Gelände und die einzigartige Akustik überzeugen die, die bei der Premiere dabei sind – es wird weitergehen, das haben die Veranstalter bereits angekündigt.
Auch sonst ist die malerisch gelegene Bühne mit zahlreichen Konzerten und Veranstaltungen Jahr für Jahr gut gebucht. Das war nicht immer so. Als mit den Arbeiten an der Bühne 1932 begonnen wurde, war sie noch als Spielort für den Rheinspielring vorgesehen. 1933 übernahmen dann die Nationalsozialisten den Bau. Auf dem Loreley-Plateau sollte eine zentrale Festspiel- und Feierstätte errichtet werden. Bis zur Einweihung im Juni 1939 wurden mehr als 7000 Quadratmeter Erde bewegt, um den Sitzreihen die erforderliche Steigung zu geben. Der Ort verfügt über 5000 Sitz- und bis zu 13 000 Stehplätze.
Drei Tage nach der Einweihung fand bereits die Premierenveranstaltung statt – mit einer Aufführung von Wilhelm Tell. Nach Kriegsende, nachdem die Freilichtbühne in den Besitz der Alliierten und dann in das Eigentum des Landes Rheinland-Pfalz übergegangen war, fanden dort bis 1968 vor allem Theateraufführungen statt: von der „Iphigenie auf Tauris“ bis hin zu Goethes „Urfaust“.
Als die Stadt St. Goarshausen 1974 die Bühne übernahm, wurde es auf dem Loreley-Plateau rockig. Das erste Rockkonzert gaben dort Genesis. Auch Joe Cocker, Herbert Grönemeyer, Peter Maffay, Metallica oder die Red Hot Chili Peppers griffen auf dem Loreley-Felsen schon in die Gitarren. Nun also Heavy Metal. Lordi, die finnische Band, die 2006 den Eurovision Song Contest mit Teufelsmaske und abenteuerlichen Kostümen aufmischten und gewannen, singen von der Apokalypse. Es kracht, es scheppert. Pyrotechnik hüllt die Bühne in dicken, weißen Rauch.
Nur wenige Hundert Meter und ein paar steile Treppenstufen von der Freilichtbühne entfernt auf einer Aussichtsplattform ist die Sicht wieder bestens. Lordi sind nicht mehr zu hören, dafür gibt es was aufs Auge. Während unten die Rheinschiffe gemächlich ihre Bahnen ziehen, erstreckt sich bei einem Blick geradeaus all das, was sonst die Touristen in diesen Abschnitt des Rheins lockt. Die oberhalb der Stadt St. Goarshausen gelegene Ruine der 1806 von den Truppen Napoléon Bonapartes gesprengten Burg Katz zum Beispiel oder die Burg Maus (auch Deuernburg genannt).
Die Burg Maus liegt auf einer Felsnase knapp 100 Meter über Wellmich, einem Stadtteil von St.Goarshausen. Sie ist in Privatbesitz, und ihre Besichtigung nur zu speziellen Terminen möglich.
Aber es gibt genug Alternativen. Auf 35 Rheinkilometern drängen sich ganze zwölf Burgen und Schlösser. Wein probieren, wandern, Burgen schauen – das ist der Triathlon, den Besucher hier normalerweise absolvieren. Festival-Besucher bevorzugen eigentlich diesen: Musik hören, Bier trinken und Party feiern. Doch wer nach dem ersten Konzerttag im Besucherzentrum der Loreley um Informationsmaterial rund um das Tal und seine Sehenswürdigkeiten bittet, erhält diese Antwort: „Tut mir leid. Alles weg. Wir haben gar nichts mehr.“ Der Blick über das malerische Rheintal ist eine Reise wert, egal ob man die Loreley lieber in Blond oder Schwarz mag.
Hinweis der Redaktion: Unsere Autoren reisen gelegentlich mit Unterstützung von Fremdenverkehrsämtern und Tourismusunternehmen.
Tipps zum Trip
Anreise: Mit dem Auto aus Richtung Frankfurt kommend über Wiesbaden fahren, anschließend auf der Bundesstraße 42 am Rhein entlang. Aus Richtung Koblenz kommend über die B 42 Richtung Rüdesheim. Mit der Bahn: Die Rheingaulinie verkehrt zwischen Frankfurt am Main, Wiesbaden, Koblenz und Neuwied. Die Züge halten unter anderem in St. Goarshausen, Kestert, Filsen und Braubach. Übernachtung: Es gibt zahlreiche Pensionen, Bed & Breakfast, Hotels, Fremdenzimmer und auch Campingplätze entlang des Rheins. Kontakt: Loreley-Touristik e.V., Bahnhofstraße 8, 56346 St. Goarshausen; Tel. (0 67 71) 91 00. Für Wanderer: Wandern an der Loreley ist für Aktivurlauber, mit der Familie oder für Genusswanderer ein Erlebnis. Der Fernwanderweg Rheinsteig folgt auf einer Länge von rund 320 Kilometern dem Mittelrhein auf der rechten Rheinseite und wurde vom Wanderinstitut in Marburg mit dem „Deutschen Wandersiegel Premiumweg“ ausgezeichnet. Der RheinBurgenWeg führt auf einer Länge von 200 Kilometern vom Rolandsbogen bei Remagen bis zum Mäuseturm bei Bingen. Weitere Informationen im Internet unter www. loreley-touristik.de sowie unter www.loreley-freilichtbuehne.de