Ist der Höhenflug des Chipherstellers Nvidia plötzlich zu Ende? Innerhalb von nur drei Tagen fiel der Aktienkurs des Konzerns zuletzt um 13 Prozent. Damit wurde ein Börsenwert von 550 Milliarden Euro vernichtet. Mittlerweile hat sich der Kurs wieder erholt. Nachdem Nvidia kurz zuvor erst zum wertvollsten Unternehmen an der Börse aufgestiegen war, fiel der Konzern damit wieder hinter Microsoft und Apple zurück. Den raketenhaften Aufstieg, den Nvidia in den vergangenen Monaten hingelegt hat, kann auch dieser Absturz allerdings kaum trüben.
Nvidia profitiert vom Hype um künstliche Intelligenz wie kaum ein anderer Konzern. Zugleich ist das Unternehmen mitverantwortlich für den Boom. Wie wurde aus einem Konzern, der anfangs Grafikkarten für Videospiele herstellte, der unangefochtene Marktführer für Rechensysteme?
Es ist schwer zu sagen, wer wem mehr geholfen hat – Nvidia künstlicher Intelligenz oder andersherum. „Das ist eine Henne-Ei-Frage“, sagt Markus Golinski, Fondmanager bei Union Investment. Bereits zuvor war das Unternehmen mit seinen Grafikprozessoren erfolgreich, vor allem in den Bereichen Gaming, Visualisierung und Kryptomining. Den 30. November 2022, das Veröffentlichungsdatum von ChatGPT, bezeichnet Golinski als „Urknall bei KI. Nvidia hat darauf extrem schnell reagiert und ist komplett auf das Thema aufgesprungen.“
Lederjacke statt Rollkragenpulli: Jensen Huang ist das Gesicht von Nvidia
Man könnte sagen: Nvidia war zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort – mit der richtigen Technologie. Nvidias Chips eignen sich besonders gut für die Rechnungen, mit denen riesige Datenmengen verarbeitet und KI-Systeme trainiert werden, etwa Chat-GPT. Das Unternehmen verkauft seine Chipsysteme unter anderem an Microsoft, Google oder Meta.
Das Gesicht von Nvidias Erfolg ist Konzernchef Jensen Huang. Der 61-Jährige ist für das Unternehmen das, was Steve Jobs für Apple war. Statt Rollkragenpulli trägt Huang schwarze Lederjacke. In der Tech-Welt wird er gefeiert wie ein Popstar. Der Erfolg seines Unternehmens hat Huang in die Rangliste der reichsten Menschen der Welt katapultiert. Bloomberg schätzte sein Vermögen zuletzt auf über 110 Milliarden Euro.
Anfang der 1990er-Jahre gründete Huang Nvidia mit zwei Freunden. Die ersten Jahre des Unternehmens verliefen holprig, Ende der 90er ging Nvidia beinahe pleite. Eine Erfahrung, die Huang bis heute beschäftigt. Der Gründer, der sich das Logo seines Unternehmens auf den linken Oberarm tätowieren lassen hat, lebt für seinen Job. „Ich arbeite von dem Moment an, in dem ich aufwache, bis zu dem Moment, in dem ich ins Bett gehe“, verriet er. „Ich arbeite sieben Tage die Woche. Wenn ich nicht arbeite, denke ich ans Arbeiten.“
Fondmanager Markus Golinski: "Es wird nicht so weitergehen"
Mit dem Erfolg seines Unternehmens habe er nicht gerechnet, sagt Huang. „Ganz sicher haben wir das unterschätzt. Und zwar erheblich.“ Seine Chips sind auf Monate ausverkauft, trotz Stückpreisen von 25.000 Dollar und mehr. Wo soll das hinführen? „Eins ist sicher“, sagt Fondmanager Golinski. „Es wird nicht so weitergehen wie die letzten 18 Monate.“ Bei einer solchen Entwicklung werde es auch immer mal Konsolidierungs- und Korrekturphasen geben, zumal die Halbleiterbranche sehr zyklisch sei. „Wir erleben gerade eine technologische Zeitenwende, die aber nicht linear, sondern auch holprig verlaufen wird.“
Einen ernst zu nehmenden Konkurrenten hat Nvidia nicht. Golinski spricht von einem „sehr großen technologischen Vorsprung“, den Nvidia gegenüber Konzernen wie Intel oder AMD hat. Microsoft, Google und Amazon haben zwar längst angefangen, Geld in die Entwicklung eigener Chips zu stecken. Als ernsthafte Gefahr für Nvidia sieht das der Fondmanager aber noch nicht. Der Grund: Die Chips von Microsoft und Co. werden erst später und vor allem in speziellen Anwendungsbereichen zum Einsatz kommen.
Aus technologischer Sicht scheint Nvidias Erfolg erst einmal nicht gefährdet, aus geopolitischer Sicht ist es anders. Nvidia lässt seine Hochleistungsprozessoren von Halbleiterproduzent TSMC herstellen – in Taiwan, dem Geburtsland von Konzernchef Huang. Eine Invasion von China hätte dramatische Folgen, sagt Golinski. „Das wäre ein Worst-Case-Szenario. Die Lieferengpässe, die wir während der Pandemie hatten, wären dagegen eine Kleinigkeit.“ Laut Schätzung von Bloomberg würde die weltweite Wirtschaftskraft um fünf Prozent sinken, sollte China Taiwan vollständig abriegeln.
Jensen Huang ist sich Nvidias Abhängigkeit von Taiwan bewusst
TSMC weiß um das Risiko. Der Halbleiterproduzent will Fabriken in anderen Ländern aufbauen, um seine Produktion zu entflechten. Bis die Infrastruktur steht, werde es allerdings noch Jahre dauern, sagt Golinski. Er hofft auf die Vernunft Chinas. Unter einer Eskalation würde auch China selbst leiden, das ein großer Verarbeiter von Halbleitern ist.
Konzernchef Jensen Huang ist sich der Abhängigkeit bewusst. „Taiwan ist das Epizentrum der weltweiten Technologie-Lieferkette“, betont er. Als er seiner Heimat zuletzt einen Besuch abstattete, wirkte es fast, als wollte er seine Landsleute beruhigen. „Ihr habt die Infrastruktur für die KI-Revolution in der Welt aufgebaut“, rief Huang dem Publikum bei einem Baseballspiel zu. „Wir werden auch in Zukunft diese Technologien mit euch zusammen aufbauen.“
Huang hat noch viel vor, „wir sind erst am Anfang“, sagt er. Zuletzt stellte er die neue Prozessorgeneration „Rubin“ vor, die 2026 verfügbar sein soll. Diese soll noch weniger Strom verbrauchen als die aktuelle. Die Ankündigung war auch deshalb überraschend, weil Huang erst kurz zuvor die neue Prozessorgeneration „Blackwell“ angekündigt hatte, die gerade produziert wird. „Nvidia legt ein Riesentempo vor“, sagt Fondmanager Golinski. „Sie ruhen sich nicht auf ihren Lorbeeren aus, sondern arbeiten mit extremer Geschwindigkeit an neuen Prozessoren. Wenn das der Führende macht, wird es schwierig, den Abstand zu verkleinern.“