Die praktischen Zuckertütchen im Café sollen genauso bleiben wie die kleinen Salzportionen in der Kantine – vorausgesetzt, sie erfüllen eine Bedingung: Die Verpackung muss aus Papier sein. Dagegen werden winzige Duschgel-Flaschen im Hotelzimmer oder die Mayonnaise in Miniplastikbeuteln an der Fast-Food-Theke genauso zu Ausläufern wie sehr leichte Kunststofftragetaschen im Supermarkt, sofern sie nicht aus hygienischen Gründen oder als Verpackung für lose Lebensmittel nötig sind. Auch das Gepäck-Wrapping am Flughafen mit Plastikfolien hat wohl bald ein Ende. Am Montagabend einigten sich die Unterhändler des EU-Parlaments und der 27 Mitgliedstaaten auf eine Reform der Verordnung zu Verpackungen und Verpackungsabfällen. Damit will die EU sowohl die Müllberge schrumpfen als auch der verbreiteten Wegwerfmentalität Einhalt gebieten. Das konkrete Ziel: Bis zum Jahr 2030 die Massen an Abfall pro Staat und Kopf um fünf Prozent, bis 2040 um 15 Prozent im Vergleich zu 2018 zu reduzieren.
Tatsächlich ist das Kunststoff-Problem groß – und nimmt seit Jahren weiter zu. 2021 verursachte jeder Bürger in Europa laut EU-Kommission im Schnitt 189 Kilogramm Verpackungsabfall, die Deutschen kamen gar auf durchschnittlich 236 Kilogramm pro Person. Obwohl in vielen Ländern mehr recycelt wird, ist die Gesamtmüllmenge innerhalb von zehn Jahren um über 20 Prozent gestiegen. Insbesondere der Online-Handel und Lieferdienste für Essen haben die Menge an Einwegverpackungen geradezu explodieren lassen. Deshalb ist es Bäckern bald nicht mehr erlaubt, die Getränke in Einwegbechern auszugeben, wenn die Kunden ihren Cappuccino vor Ort trinken. Wer in Schnellrestaurants isst, bekommt den Burger nicht mehr in Einwegboxen. Lebensmittelverpackungen wie Pizzakartons dürfen laut Einigung außerdem künftig keine sogenannten ewigen Chemikalien PFAS mehr enthalten, die besonders langlebig sind und als gesundheitsschädlich gelten.
Ab 2030 keine Orangen mehr im Plastiknetz
Der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese sprach von „pragmatischen Kompromissen“. Mit den neuen Regeln „bekämpfen wir nicht nur die wachsende Flut an Plastikmüll, sondern schonen auch Ressourcen und geben der Kreislaufwirtschaft einen Kick“.
Obwohl die sozialdemokratische EU-Parlamentarierin Delara Burkhardt die Reform einen „wichtigen Schritt hin zu einer nachhaltigeren Zukunft für Europa“ nannte, gehen ihr die Vorgaben nicht weit genug. „Ich hätte gerne noch mehr erreicht“, sagte sie. „Doch vor dem Hintergrund des enormen Lobbydrucks und der auseinanderklaffenden Interessen der Mitgliedstaaten bin ich froh, dass wir einige sehr wichtige Punkte auf den Weg bringen werden.“ Dazu gehört die Einführung eines europaweiten Pfandsystems für Einwegplastikflaschen und Aluminiumdosen. Ziel ist es, dass 90 Prozent der Getränkeverpackungen getrennt gesammelt werden. Länder, die das System bereits erfolgreich umsetzen, sollen von der neuen Vorschrift ausgenommen sein. Außerdem hob Burkhardt das Verbot für Verpackungen für frisches Obst und Gemüse hervor. So wären etwa ab 2030 Orangen in Plastiknetzen nicht mehr erlaubt. Alle Verpackungen müssen recycelbar sein.
Die Plastikfolie am Brokkoli bleibt, ebenso die Holzschachtel für französischen Käse
Wie schwierig es ist, einen EU-weiten Rahmen zu schaffen, um die unterschiedlichen Ziele für Recyclingraten der Länder zu vereinheitlichen, zeigten die schwierigen Verhandlungen der letzten Wochen. Denn im Kreis der Mitgliedstaaten gehen die Meinungen teils weit auseinander. So kochten regelmäßig die Emotionen hoch wegen nationaler Interessen. Die Spanier rebellierten etwa gegen die Forderung, den Brokkoli ohne Plastikfolie zu exportieren. Die Franzosen wehrten sich – mit Erfolg – dagegen, dass der Camembert künftig nicht mehr in der traditionellen Holzschachtel verkauft werden sollte.
Grundsätzlich scheiden sich die Geister an der Frage, ob nun Mehrwegsysteme besser sind für die Umwelt oder Recycling. Die Italiener etwa haben sich als Vorreiter in Sachen Wiederverwertung etabliert und wollen diesen Weg weitergehen. Rom hat bereits angekündigt, die Verordnung ablehnen zu wollen beim Votum, mit dem die Mitgliedstaaten die Regeln noch mit qualifizierter Mehrheit final absegnen müssen.
Ist Mehrweg immer besser als Einweg?
Dabei werden in dem Kompromiss laut CDU-Mann Liese Recycling und Wiederverwendung gleich behandelt – zu seiner Erleichterung. „Schließlich muss Mehrweg nicht automatisch das Beste für die Umwelt sein.“