Keine Lust mehr, keine Kraft mehr, null Perspektive: Wie die kleinen Bäckereien sterben in Franken auch die Dorfmetzgereien nach und nach aus. Es ist eine schleichende Zeitenwende des Landlebens, ein Niedergang mit Ansage.
Die Inhaber geben aus Altersgründen auf und finden keine Nachfolgerinnen oder Nachfolger. Auch, weil die meist in die Jahre gekommenen Metzgereien erst teuer saniert und auf den neuesten Stand der strengen Behördenvorgaben gebracht werden müssten.
Metzgermeister Alfred Kaiser erzählt über seinen schwierigen Job
Alfred Kaiser ist 56 Jahre alt und betreibt in Aidhausen im Landkreis Haßberge seit 25 Jahren eine klassische Landmetzgerei. Es gibt sie seit 1935, schon seine Eltern führten sie.
Wenn Kaiser über seinen Alltag erzählt, wird klar: Mit idyllischem Landleben hat die Arbeit in einer Dorfmetzgerei nichts zu tun. Es ist ein Job, der viel Hingabe verlangt und professionelles Kalkül, gehörig viel Büroarbeit und manch glückliche Fügung.

Es ist kurz nach halb neun an einem beliebigen Werktag. Kaiser steht kurzärmelig im eiskalten Schlachtraum seiner Metzgerei mitten im 800-Einwohner-Dorf. Nebenan ist der Dorfladen, den es seit 2011 im Rahmen der staatlich geförderten Dorferneuerung gibt und in dem sich Kaiser mit einer Wurst- und Fleischtheke für mehrere Jahre eingemietet hat. In der Umgebung hat er drei weitere Filialen.
Beim Thema Schlachten wirkt Kaiser ernüchtert. "Wir haben früher montags und mittwochs geschlachtet, aber ich habe dafür kein Personal mehr. Wir schlachten jetzt nur noch montags. In der Woche 20 Schweine und ein Rind. Wir hatten halt immer weit bis zum nächsten Schlachthof." Nach Bamberg sind es 60 Kilometer - "deswegen ist das bei uns erhalten geblieben". Selber zu schlachten, sei aufwändig, sagt der Metzger, die Gebühren seien hoch. "Wir müssen 15 Euro pro Schwein und ungefähr 27 Euro pro Rind ans Landratsamt bezahlen. Die schicken den Fleischbeschauer."
"Man schlängelt sich halt irgendwie durch."
Metzgerei-Inhaber Alfred Kaiser über seine wirtschaftliche Lage
Kaiser spannt zwei seiner 23 Beschäftigten beim Schlachten ein. Töten, Rasieren, abbrühen, ausnehmen, das Tier zum Ausbluten aufhängen – das ganze Programm. "Wir fangen um fünf Uhr an. Um acht oder halb neun sind wir mit den Schweinen fertig. Dann müssen wir nur noch die Därme putzen."
Alfred Kaiser öffnet die Tür zum gekühlten Lagerraum mit Schweinehälften und allerlei anderer Rohware. Dabei macht er die Dimension klar, um die es für ihn geht: "Ich habe 1998 den Betrieb mit Schulden übernommen, weil wir kurz vorher ausgebaut hatten. Ich bin heute aus den Schulden eigentlich noch nicht richtig rausgekommen. Man rennt ihnen ein Leben lang hinterher." Alles in allem habe er in den vergangenen 20 Jahren geschätzt eine Million Euro investiert. "Allein eine Brühmaschine kostet 25.000 Euro. Bei all den Anschaffungen ist man schnell bei 100.000 Euro. Wenn du da nicht ständig hinterher bist, zieht es dir irgendwann den Stecker."
Warum sich Metzgermeister Kaiser nicht als reich bezeichnet
Mit einem Jahresumsatz von 1,3 Millionen Euro gehört Kaiser zu den Großen unter den kleinen Metzgereien in der Region. Dennoch ist er zurückhaltend: "Man schlängelt sich halt irgendwie durch. Wenn es gut läuft, habe ich vom Umsatz zehn Prozent übrig. Von diesen 130.000 Euro muss ich zum Beispiel mal 60.000 an die Banken abdrücken für den Kauf neuer Maschinen. Was dann noch übrigbleibt, damit bin ich nicht weit entfernt von einem normalen Angestelltenjob – bei einer Sechstagewoche. Reich sind wir nicht."
Reich würde der 56-Jährige wohl auch nicht werden, wenn er seine Metzgerei mit all dem teuren Inventar verkaufen würde. "Ich habe sehr viel investiert und meiner Bank gesagt, dass das ja alles einen Wert hat. Daraufhin haben die mir gesagt: 'Verkaufen Sie mal eine Metzgerei: Die hat keinen Wert.' Hätte ich stattdessen für eine Million einen Wohnblock gebaut, dann hätte ich danach auch eine Million in der Tasche."
Warum der Dorfladen in Aidhausen für Kaiser so wichtig ist
Der Dorfladen nebenan ist ein unabhängiges Unternehmen, wenngleich Alfred Kaiser dort ehrenamtlicher Geschäftsführer ist. Für seine Metzgerei sei der gut bestückte Laden ein Glücksfall: "Die Kombination ist für mich super. Sie hat meiner Metzgerei den Standort Aidhausen gesichert. Wir haben hier keinen Bäcker mehr. Der Dorfladen ist für den Ort der Lebensmittelpunkt."
Immerhin hat Kaiser eine Sorge nicht: Silas Pflüger, sein jüngster Sohn, ist in der Metzgerei im dritten Lehrjahr. Dass der 18-Jährige mal das Geschäft übernimmt, zeichnet sich ab. Wann das sein wird, lässt Kaiser offen. "Ich habe mein ganzes Leben hier in der Metzgerei verbracht. Das ist irgendwie mein Leben."

Als Obermeister der Metzgerinnung Main-Rhön hat Kaiser auch einen Blick auf andere Geschäfte seiner Branche. Warum sie immer häufiger in Existenznot geraten, sei ihm klar: "Diese Metzgereien sind oft veraltet. Die haben immer zu wenig Geld verlangt und nur investiert, wenn was kaputtgegangen ist. Aber lass mal drei Sachen auf einmal kaputtgehen – dann sind hunderttausend Euro weg. Wenn man dann auch noch 56 ist wie ich, überlegt man sich dreimal, ob man für zehn Jahre oder länger nochmal 100.000 Euro von der Bank aufnimmt. Da hört man lieber gleich auf."
Trotz der respektablen Größe ist auch Kaisers Betrieb beim Personal knapp besetzt. Der Metzger blickt auf seinen Mitarbeiter Edgar Burger im Schlachthaus: "Ich habe in letzter Zeit zwei Metzger verloren. Daraufhin habe ich hier im Betrieb so halb im Scherz gesagt: 'Nichts mehr mit krank, nichts mehr mit Urlaub'. Edgar macht mit und dafür bin ich sehr dankbar. Im August kriegen wir gottseidank wieder einen Lehrling."
"Kalkulation ist sehr wichtig."
Alfred Kaisers Sicht auf die Geschäftszahlen seiner Metzgerei
Kaisers Branche erlebt seit Jahren massive Veränderungen beim Einkaufsverhalten –die Discounter lassen grüßen, die Vorlieben bei der Ernährung wandeln sich, Fleischloses ist in Mode gekommen. Sich als kleine Metzgerei auf all die Trends einzustellen, "dafür gibt es tausend Möglichkeiten", meint Kaiser und nennt Partyservice, Wurstautomaten oder Shop-in-Shop-Lösungen.
Abgesehen davon, damit eine kleine Landmetzgerei heutzutage überlebt, gilt für Alfred Kaiser die Regel Nummer eins. "Kalkulation ist sehr wichtig. Damit man einen Preis verlangt, mit dem man auch investieren kann. Ansonsten stirbt man irgendwann."
Was es in der Aidhausener Metzgerei mit der BWA auf sich hat
Einen Buchhalter hat Kaiser nicht, den intensiven Blick in die von seinem Steuerberater aufbereiteten Geschäftszahlen hat er sich selbst Monat für Monat zur Pflicht gemacht. Dazu hat er in seinem kleinen, vollgepackten Büro über dem Dorfladen Schränke voller Unterlagen. "Die BWA, also die Betriebswirtschaftliche Auswertung, ist das A und O."
Der Metzger blättert im dicken Aktenordner voller Statistiken, die ihm zum Beispiel zeigen, wie er monatlich bei Umsatz oder Ausgaben liegt: "Von Januar bis August letzten Jahres habe ich 64.000 Euro mehr für den Wareneinkauf ausgeben müssen als im Jahr davor. In dieser Zeit haben wir 70.000 Euro mehr eingenommen. Das lief also fast Null auf Null. Eigentlich zu wenig. Der November sah noch viel schlechter aus. So eine BWA kriegt eigentlich jeder Metzger. Ich weiß nicht, ob das auch jeder lesen kann. Das wäre aber wichtig."

Wenn Alfred Kaiser auf seine Zukunft als Metzgermeister blickt, schwingt Unsicherheit mit. "Immerhin, die Gebäude hier sind 2025 oder 2026 abbezahlt. So lange will ich noch aushalten, ohne groß neue Sachen für die Metzgerei zu kaufen. Danach kann man hier wahrscheinlich Geld verdienen. Wenn ich am Anfang gewusst hätte, was da auf mich zukommt und wie lange, dann weiß ich nicht, ob ich es gemacht hätte."
Resigniert wirkt der Metzgermeister nicht, wenn er das sagt. Denn Kaiser schätzt das, was man Menschen im Handwerk gerne nachsagt: nach getaner Arbeit stolz zu sein auf das, was man mit den eigenen Händen geschaffen hat. "Wenn ich zum Beispiel ein zubereitetes Spanferkel zu einer Party bringe und mir die Leute hinterher sagen, dass es ihnen super geschmeckt hat, dann denke ich auf der Heimfahrt schon mal: Hey, du hast doch den geilsten Job der Welt."

Kleine Metzgereien in Bayern sterben ausIn Mainfranken hat der Landesinnungsverband für das bayerische Fleischerhandwerk nach eigenen Angaben 100 Mitgliedsbetriebe, bayernweit 1300. Tendenz fallend, denn vor zehn Jahren seien es in ganz Bayern noch 2040 Betriebe gewesen, teilte Verbandsgeschäftsführer Lars Bubnick auf Anfrage mit. 70 Prozent der verbliebenen Metzgereien seien kleine, familiär geführte Läden mit im Durchschnitt maximal 20 Beschäftigten.Die Metzgerbranche erlebe einen Strukturwandel bei hohem Kostendruck und deutlichem Personalmangel. Es werden zwar weniger Betriebe, so Bubnick, "aber das Metzgerhandwerk stirbt nicht aus". Dass die Branche schlecht bezahle, stimme nicht: Im ersten Lehrjahr verdiene ein Metzger oder eine Metzgerin etwa 1000 Euro im Monat. Im dritten gebe es bereits 1500 Euro oder mehr. Wie im übrigen Handwerk seien die Chancen auf Karriere und gutes Gehalt auch in der Metzgerbranche gut, ist der Verbandsgeschäftsführer überzeugt.aug