Werner Otto, der letzte große Unternehmensgründer der Nachkriegszeit, ist im Alter von 102 Jahren in Berlin gestorben. Andere legendäre Gründerfiguren im Versandhausgeschäft wie Josef Neckermann (1912 in Würzburg geboren und 1992 gestorben) und die Gründerin des Fürther Versandhauses „Quelle“, Grete Schickedanz (1911 bis 1994) hat er weit überlebt. Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte ihn zu seinem 100. Geburtstag „Titan der Marktwirtschaft“.
Werner Otto war 1909 in Brandenburg geboren und arbeitete vor dem Krieg als Einzelhandelskaufmann in verschiedenen Branchen. Er kam nach dem Zweiten Weltkrieg als mittelloser Flüchtling mit Ehefrau und zwei kleinen Kindern zuerst nach Schleswig-Holstein, dann nach Hamburg. Hier gründete er 1949 nach einem missglückten Anlauf als Schuhfabrikant im Alter von 40 Jahren den Otto-Versand – und legte so den Grundstein für einen weltweiten Handels- und Dienstleistungskonzern mit Zehntausenden von Arbeitsplätzen.
Die Geschichte liegt so lange zurück und wurde so oft erzählt, dass sie sich inzwischen zum Mythos verdichtet hat. Der erste Katalog von 1950, handgebundene 300 Exemplare mit 14 Seiten und eigenhändig eingeklebten Fotos, ist heute im Haus der Geschichte in Bonn zu sehen. Otto erinnerte sich lebhaft daran. „1950 gab es ein paar Hundert Versandhandelsfirmen; davon war mindestens die Hälfte größer als mein Betrieb.“ Sie sind entweder verschwunden oder gehören mittlerweile zum Otto-Imperium.
Sein Rat: Keine Angst vor Fehlern
Otto suchte immer neue Herausforderungen. Unternehmertum verstand er als schöpferischen Prozess, als das Betreten von Neuland. „Wer statisch denkt und aus Angst vor Fehlern keinen Schritt nach vorn wagt, der sollte kein Unternehmer werden“, lautete seine Überzeugung.
In den 50er Jahren verdoppelte sich der Umsatz seines Versandhandels in manchen Jahren; die Konsumwelle nach den Entbehrungen der Nachkriegszeit war der Motor des raschen Wachstums. Strategisch setzte Otto mehr auf die Qualität der Waren als auf niedrige Preise und erschloss so neue Käuferschichten.
Schon 1966 übergab Werner Otto die Leitung des Unternehmens an den familienfremden Manager Günter Nawrath, behielt aber bis 1981 die Zügel als Aufsichtsratsvorsitzender in der Hand. Dann übernahm sein Sohn Michael die Otto Group und führte sie bis 2007.
Auch privat blieb Otto dynamisch. Drei Ehefrauen schenkten ihm fünf Kinder, die teils unternehmerische und teils künstlerische Neigungen und Talente entwickelten. Nachdem er schon 20 Jahre in seinem Altersruhesitz in Garmisch verbracht hatte, zog er mit 90 Jahren in die Metropole Berlin, wo er seine Jugendjahre verbracht hatte.
Neben seinen unternehmerischen Glanztaten hat sich der gebürtige Brandenburger aus der Uckermark vor allem als Wohltäter einen Namen gemacht. 1969 gründete er die medizinisch ausgerichtete Werner-Otto-Stiftung, die dort einspringt, wo staatliche Mittel fehlen.
Über die Jahrzehnte flossen viele Millionen von Otto für medizinische, soziale und kulturelle Zwecke, aber auch in den Städtebau. In seinem Geburtsort Seelow ließ Otto den Kirchturm wieder aufbauen, der in den letzten Kriegstagen zerstört worden war.
Für seine Leistungen als Unternehmer und Mäzen ist Otto vielfach ausgezeichnet worden. Zuletzt erwiesen die Spitzen der Republik der außergewöhnlichen Gestalt der Zeitgeschichte zu seinem 100. Geburtstag im August 2009 ihre Reverenz. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundespräsident Horst Köhler gratulierten persönlich.
Die Otto-Group – weltweit führender Versandhändler
Werner Otto gründet den Otto-Versand 1949 und baut ihn innerhalb von zehn Jahren zu einem Unternehmen mit 1000 Beschäftigten und 100 Millionen Mark Umsatz aus. Mitte der 60er Jahre übergibt er die Führung des Unternehmens an den Manager Günter Nawrath, der in den 70er Jahren die Internationalisierung des Konzerns einleitet. Durch Zukäufe und Expansion erreicht Otto um 1980 mehr als drei Milliarden Mark Umsatz und beschäftigt mehr als 10 000 Mitarbeiter. Der Konzern gehört weltweit zu den drei führenden Versandhändlern.
Unter der Ägide von Sohn Michael Otto wächst Otto weiter und wird 1987 zum größten Versandhandel der Welt.
Seit den 90er Jahren setzt Otto zunehmend auf den Online-Handel und ist in diesem Bereich weltweit die Nummer zwei hinter Amazon. Die Gruppe hat aber ebenso starke Standbeine im klassischen Versandhandel und im stationären Einzelhandel. Zudem ist Otto als Logistik- und Finanzdienstleister aktiv. Die Unternehmensgruppe, die von Hans-Otto Schrader geleitet wird, setzte zuletzt 11,4 Milliarden Euro um und hat rund 50 000 Beschäftigte.
In einem Alter, in dem andere an den Ruhestand denken, investierte Werner Otto in den 1980er Jahren in die zukunftsträchtige Entwicklung von Einkaufszentren. Daraus entstand die ECE, heute das führende Spezialunternehmen der Branche in Europa. Sie wird von seinem jüngsten Sohn Alexander geleitet.