Vor drei Jahren, im Mai 2010, sahen sich Europas Währungshüter zu einem Tabubruch gezwungen: Der Kauf von Staatsanleihen des hoch verschuldeten Griechenland sollte erst der Anfang sein. Bis heute wird über den Kurs der Geldpolitik gestritten. Das Bundesverfassungsgericht befasst sich am 11. und 12. Juni mit der europäischen Krisenpolitik – auch mit den Staatsanleihenkäufen der EZB.
Was darf die EZB und was nicht?
Die EZB soll vor allem die Inflation im Zaum halten und eine stabile Währung sichern. Das tut die EZB, indem sie Zinsen je nach Bedarf senkt oder erhöht. Zudem soll sie die „allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union“ unterstützen, „soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zieles der Preisstabilität möglich ist“.
Wie hat die EZB bisher auf die Krise reagiert?
Seit Mai 2010 kauften die Währungshüter Staatsanleihen kriselnder Eurostaaten, die sonst kaum noch an frisches Geld kamen. Banken erhielten extrem billiges Geld in Billionenhöhe. Als im Sommer 2012 die Staatsschuldenkrise erneut eskalierte, beruhigten vor allem wenige Worte von EZB-Präsident Mario Draghi die Märkte: „Die EZB ist bereit, im Rahmen ihres Mandats alles zu tun, was nötig ist, um den Euro zu retten.“ Danach legte die EZB ihr Programm OMT auf, mit dem sie unter Bedingungen unbegrenzt Staatsanleihen kaufen könnte.
Welche Möglichkeiten haben die Währungshüter noch?
Das wichtigste Instrument ist der Leitzins – das ist der Preis, zu dem sich Geschäftsbanken bei der Notenbank Geld leihen können. In „normalen“ Zeiten sollte ein niedriger Leitzins auch Kredite für Unternehmen und Private verbilligen und so die Wirtschaft ankurbeln. Der Euroraum steckt in der Rezession.
Steht eine Zinssenkung an?
Die Zeichen verdichten sich, nachdem die Konjunktur weiter lahmt. EZB-Vizepräsident Vítor Constâncio heizte die Spekulationen an: „Wir stehen bereit zu handeln.“ Sein Kollege im EZB-Direktorium, Jörg Asmussen, dämpfte die Erwartung: „Geldpolitik ist keine Allzweckwaffe gegen jede Art ökonomischer Krankheit.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht die EZB im Dilemma: „Sie müsste für Deutschland im Augenblick die Zinsen im Grunde wahrscheinlich etwas erhöhen.“ Aber für andere Länder müsse sie eigentlich noch mehr dafür tun, dass Unternehmen wieder günstig an Kredite kommen.
Was kritisiert die Bundesbank?
Vor allem den Kauf von Staatsanleihen. Damit finanziere die EZB mit der Notenpresse Schulden von Ländern. „Die Käufe können die Unabhängigkeit der Zentralbanken belasten, die eine zentrale Voraussetzung für die erfolgreiche Erfüllung ihrer Hauptaufgabe – die Wahrung der Preisstabilität – ist“, schreibt die Bundesbank. Die monetäre Staatsfinanzierung sei aus gutem Grund verboten. Denn je mehr Staatsanleihen in der Bilanz der Notenbank schlummern, umso stärker macht sich diese von dem jeweiligen Staat abhängig.
Wer trägt die Risiken für die Rettungspolitik?
Letztlich die Steuerzahler. Deutschland als größte Volkswirtschaft Europas ist über die Bundesbank größter EZB-Anteilseigner. Folglich müsste die Bundesbank den Löwenanteil möglicher Verluste schultern. Bisher verdienen die Euroretter: 2012 beliefen sich die Zinseinnahmen aus dem ersten Anleihekaufprogramm (SMP) auf 1,1 Milliarden Euro.
Wie ist das Verhältnis Weidmann-Draghi?
Was die beiden Währungshüter öffentlich übereinander äußern, ist ausnahmslos positiv. Ihre Positionen jedoch könnten konträrer kaum sein. Der Bundesbank-Präsident warnt, eine Finanzierung von Krisenländern mit Hilfe der Notenpresse könne „süchtig machen wie eine Droge“ – der EZB-Chef outete Weidmann im vergangenen Sommer als einzigen Gegner des OMT. Der Italiener weiß aber auch, dass Weidmanns Kritik von der Mehrheit der Deutschen geteilt wird.
Kann Weidmann EZB-Entscheidungen verhindern?
Im EZB-Rat hat Weidmann wie alle anderen Vertreter eine Stimme. Der EZB-Rat entscheidet „mit der Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen über die Anwendung anderer Instrumente der Geldpolitik“, die er „für zweckmäßig hält“.
Kann das Bundesverfassungsgericht die EZB stoppen?
Die Karlsruher Richter wollen prüfen, ob sich die EZB mit dem Ankauf von Staatsanleihen nicht doch jenseits ihrer Kompetenzen bewegt. Die mündliche Verhandlung dazu wurde für den 11./12. Juni angesetzt. Allerdings kann das höchste deutsche Gericht die EU-Institution EZB nicht kontrollieren: Es müsste den Fall dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg zur Prüfung vorlegen.