Schlichtes Design prägt die Chefetage im vierten Stock der Wöhrl-Zentrale in Nürnberg-Langwasser. Olivier Wöhrl hat sichtbar frischen Wind hereingebracht. Der neue Chef wirkt jugendlich, konzentriert und freut sich über eine aktuelle Umfrage: Gerade ist Wöhrl bei einer Kundenbefragung des Senders n-tv zum beliebtesten Modehaus Deutschlands ernannt worden. Eine Gespräch über Werte, die Rolle des Kunden – und die Verwurzelung in der Region.
Frage: Herr Wöhrl, jetzt ist es noch mal richtig heiß geworden. Dumm nur, dass in den Läden überall schon die Herbstmode hängt, oder?
Olivier Wöhrl: Ach nein, das sehe ich nicht so. Herbst ist ja nicht automatisch der dicke Daunenmantel. Das schöne ist ja, das man herbstliche Sachen ja auch schon jetzt tragen kann – bei den aktuellen Temperaturen zumindest am Abend.
Warum hält Ihre Branche überhaupt noch an den, offiziell ja vor Jahren abgeschafften, Schlussverkaufsterminen im Januar und Juli fest?
Wöhrl: Es ist in der Branche nun mal so, dass man sehr gerne neue Themen früh in der Saison bringt. Und dafür müssen wir Platz schaffen. Zudem bringen wir ja auch in wesentlich kürzeren Abständen ständig neue Ware auf die Fläche – das erwartet der Kunde auch. Nur zweimal im Jahr umdekorieren, das ginge heute sicher nicht mehr.
Das Weihnachtsgeschäft ist für den Einzelhandel die wichtigste Zeit im Jahr. Wird die Schuldenkrise in diesem Jahr die Kauflaune trüben?
Wöhrl: Die Deutschen haben ja seit dem Herbst 2008 das Damoklesschwert der Krise über sich schweben. Man kann wohl sagen, dass sich der Kunde an diese Situation gewöhnt hat. Doch natürlich weiß niemand, wie sich die Dinge in den kommenden Monaten entwickeln werden. Was man aber auf jeden Fall sagen kann, ist, dass das Weihnachtsfest bei den Menschen einen ganz besonderen emotionalen Stellenwert hat. Und das lässt man sich auch von Krisendebatten nicht nehmen.
Ihr Unternehmen hat seinen Schwerpunkt in Bayern. Ticken die Kunden im Freistaat anders?
Wöhrl: Nein, das denke ich nicht. Allerdings sind unsere Kunden in Bayern schon in einem hohen Maß traditionsbewusst. Und sie glauben an bestimmte Werte. Daher schätzen sie es wohl auch, dass ein Unternehmen wie wir so beständig am Markt präsent ist. Hinzu kommt selbstverständlich auch, dass Bayern von der Wirtschaftskraft her eine sehr attraktive Region ist.
Warum eröffnen Sie in wenigen Wochen ein neues Haus in Coburg – und nicht in einer Großstadt irgendwo in Süddeutschland?
Wöhrl: Wir beziehen unsere Stärke aus regionalen Märkten, gerade auch in Städten wie Coburg. Hier nehmen wir mit unserem Sortiment eine Art Platzhirsch-Funktion ein.
In Mainfranken haben Sie ein großes Haus in Würzburg – und eine Filiale in Bad Neustadt an der Saale. Wie geht das zusammen?
Wöhrl: Würzburg ist ein wunderschönes Haus mit großer Tradition und dem Platz, ganz besondere Dinge anzubieten. Wichtig ist aber: Wir haben eine Reihe von Kern-Partnern, die in jedem Haus vertreten sind. Und dieses Sortiment wird dann nach den örtlichen Gegebenheiten erweitert. Bei Bad Neustadt an der Saale spielt wegen der Rhön die Themen Gesundheit und Outdoor eine große Rolle. Wöhrl ist dabei immer Wöhrl.
Die Bevölkerung in Deutschland wird immer älter. Wie wirkt sich das auf Ihre Branche aus?
Wöhrl: Die Kunden werden zwar immer älter – doch nicht wirklich „älter“. So merken wir etwa, dass die ehemals „jungen“ Marken sich durchaus auf ihre älter werdende Kundschaft einstellen und beispielsweise ganz behutsam die Passform anpassen. Das ist auch für uns die Herausforderung – unsere Kunden über lange Zeit zu begleiten.
Mit welcher Klientel erzielen Sie mehr Umsatz: Mit männlicher oder mit weiblicher Kundschaft?
Wöhrl: Wir machen schon mehr Umsatz mit Frauen. Das ist in der Mode wohl einfach so, dass die Frauen lieber einkaufen. Und wenn man sich die Daten genau ansieht, dann stellt man übrigens noch fest, dass zudem viele Frauen für ihre Männer einkaufen.
Im Gegensatz zu einem gleich großen Industrieunternehmen fehlt Ihnen die Möglichkeit vom Wachstum in den Boomregionen dieser Erde zu profitieren. Ist das nicht ein enormer Nachteil?
Wöhrl: Die Frage ist doch: Ist das überhaupt ein Nachteil? Es stimmt, wir können nicht vom internationalen Wachstum profitieren. Aber ich kann sagen: Ich bin froh, dass wir in Deutschland, dass wir in Bayern sind. Viele Unternehmen hätten gerne unsere starke Marktposition hier. Hinzu kommt, dass wir im Vergleich zur Industrie ein sehr stabiles, verlässliches Geschäft haben. Und deshalb sind wir auch weniger krisenanfällig.
Haben Unternehmen wie H&M oder Zara, die auch die Herstellung ihrer Kleidung kontrollieren und damit von den enormen Margen profitieren, wirtschaftlich nicht automatisch die Nase vorn?
Wöhrl: Nicht unbedingt. Wir sind kleiner, ja, aber auch schneller als ein internationaler Konzern. Zudem müssen wir uns nicht mit der globalen Lieferkette beschäftigen, wo es ja immer auch auch enorme Risiken gibt. So können wir uns auf unser Kerngeschäft konzentrieren. Das heißt: Verkaufsfläche zur Verfügung stellen, für Passformen und Qualität zu garantieren und für unser Kunden das beste Sortiment zusammenzustellen.
In Deutschland gehören die Discounter wegen ihrer Billigpreise längst zu den größten Textileinzelhändlern. Ist der Kunde noch bereit, etwa für eine Markenjeans das Fünffache zu zu zahlen?
Wöhrl: Die Kunden schätzen nach wie vor den Wert eines Markenproduktes. Doch die Qualität und Passform müssen stimmen.
Die meisten Produkte stammen aber doch sowieso aus China . . .
Wöhrl: Das stimmt. Doch China kann längst viel mehr als nur billig. Heute ist China in vielen Bereichen Technologieführer. Nehmen Sie den Outdoor-Bereich: Sie bekommen etwa Top-Goretex-Jacken kaum noch in Europa gefertigt, das können heute tatsächlich fast ausschließlich chinesische Hersteller. Und das ist keine Frage von Billiglöhnen sondern von Know-How.
Immer mehr Deutsche kaufen auch ihre Bekleidung online. Hat der stationäre Einzelhandel überhaupt noch eine Zukunft?
Wöhrl: Klar ist, der Kunde informiert sich im Internet sehr stark. Daher müssen wir unsere stationären Vorteile optimal nutzen und den Kunden in der Region ganz klar in den Mittelpunkt stellen.
Sie stehen seit einem halben Jahr an der Unternehmensspitze. Was war Ihre Reifeprüfung?
Wöhrl: Ich glaube die Entscheidung, diese Position in meinem Alter zu übernehmen.
Olivier Wöhrl
Seit Januar 2012 leitet der Enkel von Unternehmensgründer Rudolf Wöhrl die Nürnberger Modekaufhauskette mit 37 Filialen und über 2400 Mitarbeitern. Olivier Wöhrl – Sohn von Gerhard Wöhrl und Neffe von Hans Rudolf Wöhrl – hatte sich anfangs gegen eine Karriere in der Modebranche entschieden, studierte Maschinenbau, arbeitete in der Autobranche. Der 32-Jährige ist heute einer der jüngsten Vorstandschefs einer deutschen Aktiengesellschaft. Text: md