Blätter und frische Triebe, Nüsse, Himbeeren, Heidelbeeren und Äpfel. Die Menschen, die vor Zehntausenden von Jahren durch die Steppen und Wälder streiften, aßen, was sie fanden. Durch die Pflanzen konnten sie sich mit Kohlenhydraten, Fetten und Proteinen versorgen. Doch das Sammeln war mühsam, und ein Apfel musste erst einmal wachsen und reifen.
Wie viel mehr Nährstoffe und Energie stecken doch in Fisch und Fleisch. Der Urmensch begann Tiere zu jagen. Vor 2,3 Millionen Jahren wurde seine Nahrung proteinreicher, und die fleischliche Kost war effektiv. Mehr Energie – das bedeutete mehr Treibstoff für das Gehirn, das 20 Prozent der körpereigenen Energie verbraucht. Es wurde größer, wuchs schneller. Das wiederum bedeutete neue Möglichkeiten, um durch geschickte Strategien und ausgeklügelte Techniken an energiereiche tierische Kost zu kommen.
Aus dem Neanderthalmuseum in Mettmann
Welche Rolle das Fleisch in der Evolutionsgeschichte des Menschen spielte, welche Bedeutungen es für technische Entwicklungen hatte – das ist derzeit im Deutschordensmuseum Bad Mergentheim zu sehen. Das Neanderthal-Museum in Mettmann hat dem Fleisch vor drei Jahren eine Sonderausstellung gewidmet, um den technischen Erfindungsreichtum der steinzeitlichen Jäger, Fischer, Fallensteller zu zeigen. Jetzt gastiert die Schau in Bad Mergentheim.
Opportunismus auf dem Speiseplan
Die Jagd war lebensnotwendig. Die Menschen im eiszeitlichen Europa mussten mit enormen Klimaschwankungen zurechtkommen – und mit großen Veränderungen in der Natur. Pflanzen verschwanden, andere Pflanzen kamen. Wenn die Gletscher tauten und der Meeresspiegel stieg, kamen auch wärmeliebende Tiere wie Rothirsch, Reh und Wildschwein zurück. Die Kaltzeiten legten neue Landflächen frei, die waldlosen Steppen dehnten sich aus. Mammut, Wollnashorn, Riesenhirsch, Bison, Rentier, Moschusochse und Pferd kamen aus den kälteren Gebieten und vermehrten sich.
Weil der Mensch Allesfresser war und ist, konnten sich unsere Vorfahren anpassen an das, was kam. Auch das Feuer half: Gegarte Nahrung war bekömmlicher und lieferte effektiver Energie. Der Mensch wurde noch schlauer, erfand noch bessere Waffen. Dass er dank des dauerhaft aufrechten Ganges die Hände frei hatte und mit ihnen immer feinere Arbeiten verrichten konnte – auch das beförderte die Entwicklung. Und die Sprache kam ihm zu Hilfe: Sie ermöglichte die Weitergabe von Wissen, dank ihr konnten die Urmenschen Strategien entwickeln und während der Jagd miteinander kommunizieren.
Wie gut fliegt der Steinzeit-Speer? Die Fundstücke originalgetreu nachgebaut
Die Waffen und Geräte, die die Ausstellung zeigt, sind allesamt funktionstüchtige und originalgetreue Nachbildungen von archäologischen Funden in ganz Europa: von der frühen Altsteinzeit vor etwa 300 000 Jahren bis in die späte Jungsteinzeit vor 4000 Jahren. Mit darunter: die Schöninger Speere, die ältesten bekannten Jagdwaffen der Welt. Der Braunkohletagebau im niedersächsischen Schöningen hatte gleich sieben Exemplare und dazu eine Lanze zutagegefördert.
Mit einem solchen Speer, sagt Ausstellungskurator und
Prähistoriker Dr. Ulrich Stodiek
, sei schon Homo erectus auf die Jagd gegangen. Vor 300 000 Jahren dann erlegte der Neandertaler damit seine Beute. Die Speere und die zahlreichen Schädel und Knochen von Wildpferden, die man im Umfeld auch fand, zeugen von einem Jagdplatz: Homo erectus heidelbergensis oder der frühe Neandertaler muss an dieser Stelle über mehrere Jahre hinweg gezielt und erfolgreich in der Gruppe auf die Jagd gegangen sein.
Warum sie ihre Wurfwaffen unversehrt und flugfähig zurückließen?
Auch für die Wissenschaftler ist das ein Rätsel bis heute. Aber dass die frühen Menschen Spezialisten waren und über exzellente Fertigkeiten verfügten, das können sie sagen: Die Schöninger Speere sind aus Fichtenstämmen gearbeitet, wiegen zwischen 500 und 700 Gramm, der längste misst 2,50 Meter. Von der Form ähneln sie stark den heutigen Leichtathletik-Speeren: Sie sind spindelförmig, der Schwerpunkt liegt deutlich vor der Mitte. Für das Flugverhalten, sagt Ulrich Stodiek, sei das wichtig. Die Experimentalarchäologen haben Sportler gebeten, die nachgemachten Speere zu testen und möglichst weit zu schleudern.
Als sie sich an den anderen Schwerpunkt gewöhnt hatten, gelangen schnell erstaunliche Weiten von 70 Metern und mehr. So weite Würfe waren vermutlich gar nicht nötig. Die Wissenschaftler gehen bei der steinzeitlichen Jagd von kurzen Distanzen aus: Zwischen Werfer und Tier lagen vermutlich kaum 15 Meter. Die Speere vor 300 000 Jahren waren jedenfalls, so Stodiek, „aerodynamisch ausgefeilt konstruiert“.
Ideale Waffen, clevere Jagdstrategien
Die Menschen benötigten möglichst gerade Hölzer für die langen Speere. Sie nahmen, das fanden die Archäologen heraus, dafür Kiefer und Esche, immer wieder auch Schösslinge von Sträuchern. Durch Hitze ließen die sich begradigen. Mit scharfen Feuersteinwerkzeugen wurden die Spitzen geschnitzt und geschabt. Die Archäologen erkennen an den Speeren, die Hunderttausende von Jahren in der Erde lagen, noch heute die Bearbeitungsspuren. Für die Bögen eigneten sich Ulme und Eibe am besten, weil sie elastisch sind, sich gut biegen und zurückverformen. Aber Bögen kamen erst viel, viel später.
Zunächst erhöhten Jagdstrategien die Wahrscheinlichkeit einer guten und sicheren Beute. Mit wenig Aufwand viel Ertrag zu erzielen – darum ging's auch in der Steinzeit schon. Und nicht alle Tiere blieben wie Rothirsch, Wildschwein oder Auerochse an einem Ort. Pferd oder Rentier wanderten in Herden – die Jäger mussten ihnen über weite Strecken hinterherziehen und zugleich die Sammelpflanzen in den verschiedenen Landschaften genau kennen.
Der Allesfresser Mensch
Während die Menschen der Küstenregion in Dänemark in der Mittelsteinzeit vor etwa 8000 Jahren das ganze Jahr über ein Basislager hatten, von dem aus sie loszogen, hatten an der portugiesischen Küste zur gleichen Zeit die Stämme ein Lager für den Herbst und Winter und ein Sommerlager näher am Meer. Im Sommer fischten sie Gotteslachs und andere Fische. In der kühlen und kalten Jahreszeit sammelten sie Pinienkerne und Eicheln und jagten Wildschweine und Hirsche. Wildschweine erlegten auch die Menschen im dänischen Winter von ihrem ganzjährigen Lager aus. Im Herbst erlegten sie Seehunde, im Sommer sammelten sie Früchte und fischten Kabeljau und Makrelen.
Dass er sich an verschiedenste Nahrungsquellen anpassen konnte – es ist das Erfolgsrezept des Menschen. Was an nährstoffreicher Nahrung zur Verfügung stand, wurde erlegt. Wenn nötig mit ausgeklügelter Methode.
Auf der Jagd nach Fischen
Die Neandertaler ersannen Möglichkeiten, die fischreichen Flüsse, Seen und Küsten zu nutzen. Ob sie auch bereits Werkzeuge dazu erfunden hatten? Fischfanggeräte sind aus jener frühen Zeit nicht erhalten, aber Reste von Fischmahlzeiten an den Lagerplätzen. Die ältesten bekannten Harpunen und Querangeln stammen vom Ende der letzten Eiszeit vor 15 000 Jahren. Die ersten gebogenen Haken gab es vor 11 000 Jahren. Widerhaken kamen erst vier Jahrtausende später dazu. Im Ostseeraum entwickelten die Menschen vor 7500 Jahren eine spezielle Fischgabel: Dieser Aalstecher hatte einen Knochendorn in der Mitte und zwei seitliche, leicht federnde Sprossen. Wurde der Aal getroffen, schlossen sich die Sprossen zangenartig und drückten den Fisch auf den Dorn. Besonders während der Winterstarre konnte man die Tiere im schlammigen Wasser so gut fischen. Noch weit jünger, etwa 5000 Jahre alt, sind dann Fischzäune, Reusen und Netze, die in Dänemark ausgegraben wurden.
Vom Beutetier blieb nichts übrig: Maximale Verwertung
Was die Ausstellung gut zeigt: dass es bei weitem nicht nur um das Fleisch ging. Die steinzeitlichen Menschen verwerteten ihre Beute komplett. Was heute Abfall wäre, wussten sie geschickt zu nutzen. Felle und Häute wurden Kleidung und dienten zum Bau von Behausungen. Knochen wurden Werkzeug und Waffen, aus Geweihstücken fertigten die frühen Handwerker feine Harpunen- oder Speerspitzen. Mit Federn konnte man leichte Speere und Pfeile stabilisieren. Die Sehnen aus Beinen und Rücken größerer Tiere wurden zu Riemen oder Schnur.
Revolutionär: die Speerschleuder
Vor etwa 20 000 Jahren dann tauchte in Europa das erste Mal eine revolutionäre Waffe auf: die Speerschleuder. Diese Wurfhilfe mit Haken am Ende verlängerte den Arm des Jägers und verdoppelte die Reichweite. Ein Speer konnte damit auf 100 km/h beschleunigt werden, die Durchschlagskraft war gewaltig. Bis vor etwa 14 000 Jahren müssen Speerschleudern im Einsatz gewesen sein, in Spanien, Südwestfrankreich, Deutschland und in der Schweiz zeugen Funde davon. Einige der Hakenenden aus Rentiergeweih verzierten die Eiszeitjäger kunstvoll mit Tierfiguren.
Viel später dann, nach der letzten Eiszeit, als der Wald zurückkam, setzten sich Pfeil und Bogen als Jagdwaffen durch.
Pfeil und Bogen kamen später
In Stellmoor bei Hamburg fanden Archäologen im feuchten Moorboden neben Rentierknochen und Feuersteingerätschaften auch Pfeilreste, etwa 12 000 Jahre alt. Sie gelten als die ältesten eindeutigen Belege für die Verwendung der Bogenwaffe. Neben Pfeilen mit Spitzen gab es auch solche mit verdicktem Schaft oder Kolben am Ende. Der Vorteil: Sie drangen nicht ins Fleisch des Beutetieres ein, im Balg oder Pelz gab es kein Einschussloch. Durch die große Aufprallkraft aber erlitten das getroffene Eichhörnchen, die Ente, der Fuchs oder Marder einen tödlichen Schock.
Als die Menschen vor 6000 Jahren dann begannen, Ackerbau zu betreiben, Vieh zu züchten und sesshaft zu werden, als also auch Hülsenfrüchte und Milchprodukte auf den Speiseplan kamen, gaben sie die Jagd auf Wildtiere nicht auf. Die Lehre der Leistungsschau aus der Steinzeit: Ohne den Fleischkonsum unserer Vorfahren wäre die fleischlose Kost von heute als zivilisatorische Errungenschaft wohl vielleicht gar nicht möglich.
„Fleisch! Jäger, Fischer, Fallensteller in der Steinzeit“ Das Deutschordensmuseum in Bad Mergentheim zeigt die Sonderausstellung aus dem Neanderthalmuseum Mettmann bis 17. September. Konzipiert wurde sie von den Experimentalarchäologen Harm Paulsen und Dr. Ulrich Stodiek. Seit 2015 hat das Museum eine Abteilung zur „Jungsteinzeit im Taubertal“ – unter anderem mit dem berühmten Hockergrab von Althausen, der Mehrfachbestattung einer „Patchworkfamilie“. Das Taubertal weist die höchste Funddichte aus der Zeit der Schnurkeramik im gesamten süddeutschen Raum auf. Die Fleisch-Ausstellung stellt ergänzend einen wesentlichen Aspekt des damaligen Lebens heraus: die Jagd. Vorträge und ein Workshop begleiten die Fleisch!-Ausstellung: Am Mittwoch, 28. Juni, um 19.30 Uhr erklärt Archäozoologin Dr. Elisabeth Stephan vom Landesamt für Denkmalpflege in Stuttgart, was Knochenfunde über die Jagd und Nahrungsgewohnheiten erzählen. Am Mittwoch, 12. Juli, spricht um 19.30 Uhr Archäologe Michael Schäfer über Spuren zur Jagd in der Steinzeit. Am Samstag, 19. August, kann man von 10 bis 18 Uhr mit Archäotechniker Wulf Hein ein steinzeitlichen Jagdgerät mit authentischem Material und Werkzeug anfertigen. Anmeldung bis 11. August unter Tel. (079 31) 522 12. Termine für Führungen: jeweils um 14.30 Uhr am Pfingstsonntag 4. Juni, 1. und 23. Juli 5. und 20. August sowie 2. September. Am Sonntag, 17. September, ist um 14.30 Uhr Kuratorenführung mit Dr. Ulrich Stodiek. An den Freitagen 23. Juni und 11. August gibt es dazu Abendführungen um 19.30 Uhr – mit Ausschank von Honigwein. Weitere Führungen nach Vereinbarung Tel. (07931) 522 12 Geöffnet hat das Deutschordensmuseum im Schloss Bad Mergentheim Di. bis So. und an Feiertagen von 10.30 bis 17 Uhr. Infos: www.deutschordensmuseum.de