Aus dem Ruhestand ins Rampenlicht: Eigentlich hatte Carsten Lichtlein seine aktive Laufbahn bereits im Jahr 2022 beendet, fortan konzentrierte sich der vormalige Welt- und Europameister auf seine Trainertätigkeiten beim Deutschen Handball-Bund und bei der MT Melsungen. Doch weil der Tabellenzweite der Handball-Bundesliga derzeit arge Personalprobleme hat, stand Lichtlein am Dienstagabend im hohen Sportleralter von 44 Jahren wieder zwischen den Pfosten. Und hatte wesentlichen Anteil am 28:27-Heimsieg im Viertelfinal-Hinspiel in der European League gegen Bidasoa Irun.
Eigentlich ist der in Würzburg lebende und zu seiner Tätigkeit ins über 200 Kilometer entfernte Nordhessen pendelnde Lichtlein als Torwarttrainer dafür verantwortlich, dass die beiden Melsunger Schlussmänner, der Montenegriner Nebojsa Simic und der Pole Adam Morawski, gute Leistungen bringen. Und speziell in Simics Fall klappte das zuletzt besonders gut. Hat doch der 32-Jährige mit seinen Leistungen erheblichen Anteil daran, dass Melsungen zu den Bundesliga-Spitzenteams aufgeschlossen hat und in diesem Jahr erstmals deutscher Meister werden kann.
Dann aber zog sich Simic, hinter dem Lichtlein bereits vor knapp zwei Wochen beim Final Four um den deutschen Pokal in Köln auf der Bank gesessen ist, am Samstag beim 26:25-Heimsieg gegen Gummersbach eine Knieverletzung zu, die sich im Nachhinein als Kreuzbandriss erwies. „Am Montag hat mir der Trainer dann gesagt, dass ich gegen Irun die Nummer zwei bin, weil das Spiel so wichtig ist“, berichtete Lichtlein, dass Coach Roberto García Parrondo ihm in dieser Situation mehr vertraute als dem 19-jährigen Keeper der Rerservemannschaft, Pawel Krawczyk.
Am Dienstag im spanischen Baskenland
Lichtlein, mit 712 Einsätze Bundesliga-Rekordspieler, zahlte das in ihn gesetzte Vertrauen zurück, als er am Dienstagabend nach 42 Spielminuten für den zuvor glücklosen Adam Morawski bei einem 17:21-Rückstand ins Spiel kam und mit vier Paraden und seiner emotionalen Art erheblichen Anteil daran hatte, dass Melsungen die Wende noch schaffte und am kommenden Dienstag mit einem Ein-Tore-Vorsprung zum Rückspiel ins spanische Baskenland fliegt.

„Ich war nie ganz raus und habe im Training auch immer selbst mitgemacht. Deshalb habe ich keine große Eingewöhnungszeit gebraucht“, sagte Lichtlein am Mittwochmorgen im Gespräch mit dieser Redaktion, nachdem er zuvor eine Einheit im Kraftraum geschoben hatte. Er geht davon aus, dass er nun auch für den Rest der Saison in Europapokal- und Bundesligaspielen wieder auf dem Feld steht. Sei es doch in der derzeitigen Situation unmöglich, Torhüter zu verpflichten, die anderswo unter Vertrag stehen. Bleibt die andere Möglichkeit, einen Schlussmann zu reaktivieren, zum Beispiel den eigenen Torwarttrainer.
Für Carsten Lichtlein ist die Situation derzeit dennoch eine etwas zwiespältige: „Natürlich habe ich mich gefreut, dass ich noch einmal spielen kann. Dass das in meinem Alter noch einmal möglich ist, hätte ich nicht gedacht.“ Andererseits denkt er aber auch an seinen Torhüterkollegen, für die er bis vor Kurzem Trainer gewesen und nun wieder Kollege ist. „Der Ausfall von Nebojsa Simic hat mich schon geschockt“, gibt er zu.

Nun wolle er vor allem Adam Morawski unterstützen. „Für den Rest der Saison wird es wichtig werden, dass er wieder Sicherheit gewinnt.“ Denn die Melsunger haben noch einiges vor. Nicht nur im Bundesliga-Spiel am Samstag, 26. April, beim einzigen bayerischen Vertreter HC Erlangen und drei Tage später beim Rückspiel in Irun. Ferner kann Melsungen, das bei einem Spiel weniger genau so viele Minuspunkte aufweist wie Bundesliga-Spitzenreiter Füchse Berlin, sogar aus eigener Kraft deutscher Meister werden. Das erste Mal in der Geschichte des Klubs, und auch für Carsten Lichtlein wäre es der erste deutsche Meistertitel.
Famlientag am Vatertag?
„Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg“, verweist Lichtlein darauf, dass es in den verbleibenden acht Saisonspielen noch sehr mühselig werden könnte auf dem Weg zur Meisterschaft, zumal neben Nebojsa Simic weitere Leistungsträger verletzt sind. Ein Höhepunkt auf dem Weg zum Titel könnte die Partie am viertletzten Spieltag sein. Denn am Donnerstag, 29. Mai, treten die Melsunger beim Spitzenreiter Füchse Berlin an. Und deren Spielmacher Nils Lichtlein ist der Neffe von Carsten Lichtlein. „Eigentlich will ich so weit noch gar nicht denken. Aber ich wurde heute schon zweimal darauf angesprochen“, gibt Carsten Lichtlein zu, dass es kaum Möglichkeiten gibt, sich Spekulationen über diese Konstellation zu entziehen.

Aber der 44-Jährige, das ist zu spüren, hat noch einmal richtig Lust bekommen. Besonders auf ein mögliches Familientreffen am 29. Mai, auch wenn dann nicht der Onkeltag, sondern der Vatertag ist.
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