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Schondra: Heiligabend zwischen Tanken und Heimweh: Weihnachten an der Raststätte

Schondra

Heiligabend zwischen Tanken und Heimweh: Weihnachten an der Raststätte

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    Es gibt kuscheligere Plätze an Heiligabend, als im Flutlicht in der Fahrerkabine schlafen zu müssen.
    Es gibt kuscheligere Plätze an Heiligabend, als im Flutlicht in der Fahrerkabine schlafen zu müssen. Foto: Susanne Will

    Während die meisten den Heiligabend im Warmen verbringen, eingebunden in Familien- oder Freundeskreise , gibt es auch Menschen, die die besondere Nacht an kalten, dunklen Orten verbringen müssen. Wie an den Rastanlagen Rhön West und Ost an der A7 bei Schondra . An Heiligabend gehören die Rastplätze wohl zu den einsamsten Orten Deutschlands. Gleichzeitig sind sie Herberge für Lkw-Fahrer, die in dieser Nacht von ihren Lieben getrennt sind. Doch ein bisschen Wärme und Licht ist selbst dort. Was auch an Kindern liegt wie Lea.

    Es ist dunkel und kalt

    22 Uhr, Heiligabend: Im Rest des Landes beginnen die Christmetten, sind die Geschenke längst ausgepackt, der Hosenbund spannt. Es ist dunkel und kalt an der Rastanlage Rhön West. Auf dem Parkplatz stehen verstreut lange Laster. Der Platz ist durch starke Straßenlampen und Feuchtigkeit in der Luft in diffuses Licht getaucht. Ab und an schimmern letzte Schneereste im Gras.

    Durch die Vorhänge einiger Fahrerkabinen dringt Licht. Aufs Klopfen an der Fahrertür öffnet Georg.

    Georg kommt aus Rumänien, "seit 15 Jahren fahre ich Laster", erzählt er. Seit elf Jahren gehen seine Touren durch Deutschland und Österreich. Dass er an Heiligabend zum ersten Mal in seinem Berufsleben arbeiten muss, nimmt er mit einem Achselzucken hin. "That’s life", sagt er. Die Nacht verbringt er hier, bevor er am nächsten Tag seine Ware abliefert.

    Seine Gedanken sind bei seiner Frau, "sie ist allein Zuhause", erzählt er, denn die Tochter, 31 Jahre alt, genieße den Abend bei ihrem Freund. Er hat schon mit seiner Frau telefoniert. Schlafen kann er noch nicht, er informiert sich via Handy über die politische Situation in seiner Heimat Rumänien.

    Lebkuchenherz von einem ihm unbekannten Kind

    Der 56-Jährige kramt in seinem Führerhaus, zieht ein großes Lebkuchenherz hervor und lächelt. "Das haben mir heute Kinder geschenkt", erzählt er auf Englisch – und auch, wie sehr ihn das gefreut hat. Vier oder fünf Kinder seien es gewesen, die die kleinen Geschenke am Nachmittag an der Rastanlage an die Brummifahrer verteilt hätten. "Frohe Weihnachten, Lea", hat das Mädchen auf eine Filtertüte geschrieben, versehen mit einer roten Nase, Augen und Geweih sieht die Tüte nun aus wie ein Elch.

    Georg möchte auf dem Foto nicht erkannt werden. Deshalb hält er das Geschenk, das ihm ein Kind namens Lea an Weihnachten machte, vor sein Gesicht.
    Georg möchte auf dem Foto nicht erkannt werden. Deshalb hält er das Geschenk, das ihm ein Kind namens Lea an Weihnachten machte, vor sein Gesicht. Foto: Susanne Will

    Anatoli aus Russland schläft noch nicht. Auch er hat Zwangspause auf seinem Weg durch Deutschland. Er reicht sein Handy aus dem Fenster. Auf dem Display ist ein Familienfoto zu sehen, er mit seiner Frau und seinen erwachsenen Kindern samt Enkelkindern an einem reich gedeckten Tisch. "Ich wäre jetzt lieber dort", tippt er ins Handy, ein Übersetzungsprogramm entschlüsselt die kyrillischen Buchstaben.

    Und dort schreibt er auch: "Aber Ruheplätze in Deutschland gut!" Was wohl auch an Menschen wie Thomas liegt.

    Anatoli wäre lieber bei seiner Familie, als an Heiligabend an der Raststätte Rhön.
    Anatoli wäre lieber bei seiner Familie, als an Heiligabend an der Raststätte Rhön. Foto: Susanne Will

    Seit 40 Jahren Arbeit in der Tankstelle

    Thomas, so stellt er sich vor, ist 60 Jahre alt und arbeitet seit 40 Jahren in der Tankstelle an der Rastanlage, die zum Unternehmen "Tank und Rast" gehört. Als er 20 war, hat er hier gejobbt – und ist dann hängengeblieben. "Ich wohne nur sechs Kilometer von hier", sagt er. Das mache die Arbeit komfortabel.

    Auch er gehört zu den Menschen, die an Heiligabend arbeiten. "Das mache ich jetzt seit zehn Jahren", berichtet er mit ruhiger Stimme. Er ist ein großer, schlaksiger Mann mit verblassten Tattoos am Unterarm und nachtschweren Augen. Kaum vorstellbar, dass er jemals die Ruhe verliert. 40 Jahre Tankstelle , 40 Jahre Nachtschichten – hatte er da auch einmal Angst?

    Thomas, 60 Jahre alt, arbeitet seit 40 Jahren an der Rastanlage Rhön. Weihnachten Dienst zu haben,  fällt ihm als Single nicht schwer.
    Thomas, 60 Jahre alt, arbeitet seit 40 Jahren an der Rastanlage Rhön. Weihnachten Dienst zu haben, fällt ihm als Single nicht schwer. Foto: Susanne Will

    Thomas überlegt. "Nein", sagt er – und korrigiert sich. Es ist lange her, in den 90er-Jahren, "da waren Neonazis auf dem Weg nach Wunsiedel". Wunsiedel in Oberfranken war jahrelang Pilgerstätte für Neonazis, sie huldigten dort ihrem Helden Rudolf Heß . "Das war 'ne blöde Situation, als die alle in die Tankstelle kamen, mit Bomberjacken, Glatzen und Springerstiefeln", erzählt er. "Wohl war mir nicht. Die sind in der Gruppe ja immer stark." Passiert ist nichts.

    "Wenn wir müde werden, schlafen wir im Auto"

    Es sind nur sehr wenige, die in dieser Nacht tanken, zur Toilette gehen oder den Reifendruck prüfen. Die Kennzeichen ihrer Autos zeigen, dass sie von weit hergekommen sind, so wie ein 55 Jahre alter Türke, der mit seinem Sohn, vielleicht zwölf, unterwegs ist. Das Duo kommt aus Dortmund. Beide sind unterwegs nach Berlin, "ein Freund hat uns dorthin eingeladen", erzählt der Vater. Bis Berlin sind es noch viereinhalb Stunden für die beiden. "Wenn wir müde werden, schlafen wir im Auto." Warum nicht Weihnachten unterm Christbaum Zuhause? "Weihnachten bedeutet uns nichts", sagt er.

    Thomas kassiert den Mann ab. Der Tankwart ist Single, mit Weihnachten hat er nicht viel am Hut, worüber sich seine Kolleginnen und Kollegen freuen dürften, denn damit haben sie frei. "Weihnachten war als Kind schön, als wir noch Schnee in der Rhön und nicht diese Pampe hatten", sagt der 60-Jährige.

    Trinkgeld wird immer weniger

    40 Jahre Tankstelle , das sind auch 40 Jahre Blick auf die Gesellschaft. "Die hat sich verändert", meint Thomas. "Hätte ich einen Wunsch zu Weihnachten frei, dann den, dass es nur noch ehrliche Menschen gibt." Schon öfter wurde er beschissen, saß vor allem Wechselgeld-Trickbetrügern auf. "Einen Kollegen haben sie so schon mal um 1000 Mark damals geprellt".

    Menschen sind schneller auf 180

    Daneben falle ihm auf, "dass die Menschen heute schneller auf 180 sind als früher". Früher, das ist für ihn die Zeit, als sie noch zu zweit in der Tankstelle waren. Der eine hat kassiert, der andere bedient und sich mit Scheibenputzen noch ein bisschen Trinkgeld verdient. "Ach ja, das Trinkgeld wird auch weniger." Vor ihm steht ein Becher, in dem Cent-Beträge liegen. "Das gehört noch der Kollegin von der Tagschicht."

    Dennoch mag er seinen Job. "Was ich hier erlebe – da brauche ich keinen Fernseher." Noch immer kann er sich still über die Menschen amüsieren, die mit dem Kaffeeautomaten kämpfen. Oder er erinnert sich an nette Begegnungen. "Einer konnte mal nicht zahlen. Ich habe ihm 20 Euro geliehen, als Pfand ließ er mir seinen Ehering da." Tatsächlich: Am nächsten Tag kam der Mann und löste den Ring aus.

    Angebot: Sex gegen Sprit

    Ein anderes Mal wollte eine Frau mit vollem Körpereinsatz die ausstehende Tankrechnung begleichen. "Die war mit einem Mann unterwegs und bot Sex gegen Sprit an. Die war dann beleidigt, als ich abgelehnt habe", schmunzelt Thomas.

    Seine Schicht geht noch bis 6.15 Uhr, in der letzten Viertelstunde schmiert er die Brötchen für den Verkauf. "Und wenn ich müde werde, putze ich die Tankstelle ." Mit den Lkw-Fahrern, die auch mal auf einen kurzen Plausch hereinkommen, fühlt er mit. "Die verdienen so wenig", sagt er. Und er beobachtet, dass einige wohl "nur die Tankkarte in die Hand gedrückt bekommen und dann heißt es 'fahr mal los' – die wissen manchmal nicht mal, wie das EC-Kartenlesegerät funktioniert."

    Osteuropäer verdienen wenig als Lkw-Fahrer

    Der Branchendienstleister Eurowag geht in einer im Januar 2024 veröffentlichten Tabelle davon aus, dass ein rumänischer Lkw-Fahrer 14.362 Euro durchschnittlich im Jahr verdient. Zum Vergleich: Der deutsche Brummifahrer geht laut Tabelle mit 42.544 Euro nach Hause, der Schweizer Kollege sogar mit 65.721 Euro.

    Wieder draußen auf dem Lkw-Parkplatz hat wohl ein anderer Weihnachtsengel vor eine Fahrertür eine weihnachtlich dekorierte Flasche Bier gestellt. Die Kabine ist dunkel, der Fahrer schläft schon, er wird das Weihnachtswunder wohl erst am nächsten Tag entdecken.

    Ein unbekannter Weihnachtsengel hat diese geschmückte Flasche Bier vor einen Lkw gestellt.
    Ein unbekannter Weihnachtsengel hat diese geschmückte Flasche Bier vor einen Lkw gestellt. Foto: Susanne Will

    Neben dem Lkw steht ein Kleinwagen. Der Fahrer ist offensichtlich hundemüde. Mit laufendem Motor steht sein Auto mit Duisburger Kennzeichen zwischen den Brummis, der Fahrer hat seinen Kopf an die Fensterscheibe angelehnt, er schläft mit leicht geöffnetem Mund.

    Morgen muss die Ladung Blumen abgeliefert werden

    Zehn Meter neben ihm hat Laszlo seinen Lkw abgestellt. Der ist voller Blumen, die er morgen abliefern muss. Laszlo ist noch wach, die Kabine offensichtlich so warm, dass er es sich bereits mit nacktem Oberkörper in seiner Koje bequem gemacht hat. Laszlo freut sich über den unangemeldeten Besuch, er lacht. Vermutlich hätte man den kleinen Tür- und Gesprächsöffner – ein bisschen hübsch eingepackte Schokolade als Weihnachtsgruß - bei ihm gar nicht gebraucht.

    Lazlo freut sich über das kleine Mitbringsel. Der Lkw-Fahrer würde sich "eine bessere Welt wünschen", wenn er einen Weihnachtswunsch frei hätte.
    Lazlo freut sich über das kleine Mitbringsel. Der Lkw-Fahrer würde sich "eine bessere Welt wünschen", wenn er einen Weihnachtswunsch frei hätte. Foto: Susanne Will

    In der Heiligen Nacht zu arbeiten, ist für ihn kein Problem. "Es ist mein Job, dass ich auch Weihnachten ran muss", erzählt er auf Englisch. Der 60-Jährige ist Single und auch aus Rumänien. Er freut sich darauf, dass er morgen weiterfahren darf. 200 Kilometer hat er dann noch vor sich, am ersten Weihnachtsfeiertag, an dem die meisten sich zur Gans mit der Familie treffen. "Ist nicht schlimm", sagt Laszlo. Und wenn er einen Weihnachtswunsch freihätte? Er lächelt. "Dann den, dass die Welt ein besserer Ort wird."

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