Den Traum vom Auswandern tragen manche Menschen ein Leben lang in sich – und wagen den großen Schritt doch nie. Ob sie es am Lebensende bereuen? Vielleicht braucht es Mut und eine große Portion Unbekümmertheit dafür. Beides hatte Harald Gegner vor 24 Jahren. Damals wanderte er einfach so nach Schweden aus –"Hals über Kopf", wie er sagt.
Dabei kannte er weder das Land, noch konnte er die Sprache. Aber hatte die vermutlich größte Motivation, die ein Mensch haben kann: "Ich war so verrückt verliebt, dass ich mich einfach ins Auto gesetzt und ein neues Leben angefangen habe." Der 51-Jährige muss lachen, als er sich an diesen spontanen Neustart erinnert.

Die Auserwählte war eine Norwegerin, die in Schweden studierte. Gemeinsam richteten sie sich in der Fremde ein, bekamen zwei Kinder, bauten ein Haus in Höör in Südschweden. Dem Casteller gelang es, schnell Schwedisch zu lernen. Nach seinem Studium der Sozialen Arbeit promovierte er sogar noch in Schweden – und arbeitet dort heute an der Universität.
Familie in der alten Heimat oft vermisst
Klingt nach einem Spaziergang, war und ist es aber längst nicht immer. Von Heimweh im eigentlichen Sinn mag Harald Gegner nicht sprechen, "aber ich habe oft meine Familie vermisst". Als die Kinder klein waren und alle Großeltern weit weg, hätte er sie sich ebenso in die Nähe gewünscht wie sich selbst jetzt näher an die alte Heimat. Denn wegen einer schweren Krankheit seiner Mutter war er dieses Jahr schon fünfmal in Castell, zuletzt erst im Advent. Zwölf Stunden dauert die Fahrt von Höör nach Würzburg.

In Castell leben neben seinen Eltern noch seine drei Brüder und Cousinen. Sie hat es nicht hinaus in die Welt gezogen wie ihn damals. Doch wie ist es ihm gelungen, wirklich Fuß zu fassen in der Fremde? Wie wird aus einer spontanen Idee der Liebe wegen langfristiges Glück und eine neue Heimat – inklusive neuer Weihnachtstraditionen?
"In Deutschland sind immer so viele Menschen, das ist stressig."
Harald Gegner, nach Schweden ausgewandert
In den Augen des Familienvaters liegt das neben seiner persönlichen Weltoffenheit vor allem an Schweden selbst. Im Gespräch schwärmt er von dem ruhigen Leben in einem Land, das größer ist als Deutschland, aber nur gut zehn Millionen Einwohner hat. "In Deutschland sind immer so viele Menschen, das ist stressig", sagt Harald Gegner und lacht.

Schweden hingegen mache es einem leicht, dort gut anzukommen: Der 51-Jährige erlebt ein "viel besseres Schulsystem als in Deutschland" mit weniger Druck, eine sehr gute Kinderbetreuung und freieres Arbeiten, auch wenn "alle viel arbeiten". Noch dazu seien alle per Du – "sogar der König". Schwedisch als germanische Sprache sei für Deutsche leicht zu lernen und das Land sehr freundlich gegenüber Deutschen.
Die Schweden machen am liebsten im eigenen Land Urlaub
Sein Tipp für Menschen, die wirklich mit einem Umzug liebäugeln: einfach mal im Sommer nach Schweden reisen. Das sei wegen des starken Euros gar nicht mehr so teuer, "fast sogar billiger als in Deutschland". Die Schweden selbst, hat er beobachtet, machen am liebsten Urlaub in ihrem eigenen, landschaftlich so schönen Land. In puncto Auswandern müsse man nur wissen: "Es kostet viel Zeit, Kraft und Geld, sich ein neues Leben aufzubauen."

Dem gebürtigen Casteller ist es gelungen. Eine Rückkehr kommt für ihn nicht infrage. Sogar sein nach wie vor perfektes Deutsch hat diesen leicht singend-melodischen Klang angenommen. Das klingt weniger nach Vorweihnachtsstress und mehr nach Bullerbü und der Entspanntheit des Wichtels Tomte Tummetot.
Wobei es keine Figur von Astrid Lindgren ist, die an Weihnachten auf jedem Fernseher in Schweden erscheint. "An Heiligabend um 15 Uhr sitzen alle vor dem Fernseher und schauen Donald Duck", erzählt Harald Gegner. Diese etwas schräge Tradition hat auch bei ihnen Einzug gehalten, ansonsten lebt die Familie einen Mix aus verschiedenen Bräuchen.
Die Kinder sprechen vier Sprachen, fühlen sich aber schwedisch
Wie soll es auch anders sein in einer Familie mit so vielen Einflüssen. Die Kinder, die 15-jährige Lea und der 18-jährige Hannes, sprechen Deutsch, Norwegisch, Schwedisch und Englisch. Sie haben sich ihrem Vater zufolge "aber immer schwedisch gefühlt".

Dazu gehört auch, am 13. Dezember das Lucia-Fest zu feiern. Lea singt in Höör im Chor, der mit Kerzen und Gesang Licht und Freude in den dunklen, schwedischen Winter bringt. Den muss man übrigens aushalten können als Auswanderer im Norden. "Der Winter ist schrecklich bei uns", sagt Harald Gegner ehrlich. Bei ihnen in Südschweden gehe die Sonne immerhin noch auf, aber es sei oft grau und neblig.

Doch selbst im dunkelsten Dezember zweifelt der Deutsche nicht an seiner Entscheidung für ein Leben im Schweden. Von seiner Frau, wegen der er einst dorthin ausgewandert ist, lebt er mittlerweile getrennt. Aber die Liebe zu seiner neuen Heimat ist geblieben und er macht allen Mut, die davon träumen: "Schweden ist ein gutes Land, um auszuwandern."