"Gerne können wir telefonieren. Morgen wäre am besten, da ich dann meinen freien Tag habe", so reagierte Ewald Johannes kürzlich auf eine Anfrage dieser Zeitung. An einem normalen Arbeitstag hätte der Teamleiter des Stützpunktes der Deutschen Post in Bad Neustadt tagsüber derzeit wie seine Kollegen bei anderen Paketdienstleistern wohl kaum einmal auch nur zwei Minuten Zeit für etwas anderes angesichts der Paketflut jetzt in der Vorweihnachtszeit.
Wobei, von "normal" kann in diesem Jahr im Hinblick auf die Arbeit von Johannes und Co. kaum gesprochen werden. "Bei uns ist seit März durchgehend Weihnachten“, sagt er und meint damit die Corona-Auswirkungen. Seit dem ersten Lockdown im Frühjahr haben die Paketmengen bereits deutlich zugenommen, die Zahlen gingen seitdem nicht mehr zurück. Die Deutsche Post schätzt den Anstieg des Aufkommens auf das ganze Jahr gesehen deutschlandweit auf 50 Prozent. Alleine in der vergangenen Woche sind laut eines Post-Vorstands insgesamt 56 Millionen Pakete sortiert und ausgeliefert worden.
Unvorstellbare Dimensionen
Und nun kommt die traditionell ganz heiße Phase keine zwei Wochen mehr vor dem Fest. "Das wird das stärkste Weihnachten in Sachen Paketmengen, was wir je gehabt haben", prognostiziert Ewald Johannes bereits jetzt. Es sei kaum vorstellbar gewesen, dass solch hohe Dimensionen erreicht werden könnten. Teilweise mehr als 200 Pakete pro Tour pro Tag werden momentan von einem Mitarbeiter zugestellt. Die derzeit eingesetzten "Weihnachtsmänner" - so nennt die Post die zusätzlichen Zustellerinnen und Zusteller in der Vorweihnachtszeit - sollen zudem mithelfen, die Flut an Paketen stemmen zu können.

Und bestellt wird laut Ewald Johannes neben Weihnachtsgeschenken mittlerweile so gut wie alles - Holz, Heu, Material für die Dachdämmung oder ein Vorrat an Hundefutter. "Bei Paketen mit einem Gewicht von manchmal 30 Kilo machen wir das Fitnessstudio schon nebenbei mit", verliert Johannes nicht den Humor und seine Zuversicht. Man müsse es locker sehen, mal vielleicht innerlich schreien, aber versuchen, nach Außen hin positiv zu bleiben.
"Bob der Baumeister"-Einstellung
Diese positive Einstellung will er auch seiner Belegschaft mitgeben. "Ich habe erst vor kurzem zu ihnen gesagt, dass jetzt das Allerwichtigste sei, dass keiner durchdreht, dass wir ruhig bleiben. Wir haben das jedes Jahr geschafft, also schaffen wir es jetzt auch wieder", erzählt der Bad Neustädter Teamleiter, der den Eindruck hat, dass der Zusammenhalt untereinander momentan noch einmal stärker sei als sonst.
"Der alltägliche Paketwahnsinn, das würde der Weihnachtsmann nie alleine schaffen."
Der Bad Neustädter Post-Teamleiter Ewald Johannes über die derzeitige Arbeit in der Vorweihnachtszeit.
Was aber natürlich auch die Post noch nicht erlebt hat, ist eine Pandemielage und deren Auswirkungen auf den Arbeitsalltag. Um den Betrieb auch bei möglichen Corona-Fällen in der Belegschaft halbwegs aufrechterhalten zu können, arbeiten Johannes und Co. schon länger in einem Zwei-Wellen-Betrieb. Eine erste "Welle" an Arbeitskräften fängt den Dienst wie gewohnt um 6.30 Uhr an, die anderen erst drei Stunden später. Das hat zur Folge - was dem einen oder anderen bereits aufgefallen sein dürfte -, dass die gelb-schwarzen Autos derzeit teilweise auch noch am späteren Abend unterwegs sind.
Gesundheit als oberste Priorität
"Bislang sind wir super durchgekommen", muss Ewald Johannes jeden Tag aufs Neue hoffen, dass sein Team weiterhin gesund bleibt. Ein Ausfall von einer oder gar beider Wellen hätte dramatische Folgen. Das Post-Logistikzentrum im Industriegebiet am Altenberg, welches laut Johannes vor einigen Jahren bereits für die Zukunft gebaut wurde, sei bereits jetzt am Limit. "Wenn dann einige Mitarbeiter coronabedingt ausfallen, müsste ich zwei Tage später große Gebäude anmieten, um die Pakete zwischenzulagern. Dieses Szenario möchte ich mir gar nicht vorstellen", sagt er und bezeichnet den Anblick der Paketberge momentan im Gebäude als "verrückt".
Auch deshalb bittet Ewald Johannes momentan die Rhön-Grabfelder, die teilweise sehnlichst auf ihr Paket warten, um etwas Mithilfe. "Wir wollen alle, dass die Menschen ein schönes Weihnachtsfest haben. In Mehrfamilienhäusern wäre es aber beispielsweise schön, wenn uns gerade jüngere Leute im Treppenhaus ein wenig entgegenkommen könnten", so Johannes.
Entsetzt über Corona-Vorfall
Abstand halten statt dem Zusteller zu Nahe zu kommen sollten natürlich Menschen, die als Corona-Verdachtsfall gelten oder gar bestätigt als infiziert gelten. "Ich hatte selbst erst vor Kurzem einen Fall, da kam ein Kunde aus der Haustüre heraus und sagte zu mir, er würde für den Erhalt der Sendung momentan nicht unterschreiben, er habe Corona", erinnert sich der Schönauer. Auch eine Kollegin sei nach einem ähnlichen Vorfall entsetzt gewesen.
"Wir würden uns wünschen, dass es auch einmal wieder ruhiger wird und sind froh, wenn es einmal wieder rückwärts geht. Nur, die Aussichten sind noch nicht da", weiß Johannes aus der jahrelangen Erfahrung. Der Januar sei aufgrund von Geldgeschenken über Weihnachten immer noch ein starker Monat. Dieses Jahr rechne man, dass sich das Weihnachtsgeschäft noch bis Ende Februar hinzieht. Der neuerlich beschlossene harte Lockdown dürfte nun zusätzlich seinen Teil dazu beitragen.
Ein Schrei kurz vor der Bescherung
Ungeachtet von weiteren, nicht vorhersehbaren Zeiten, wird Ewald Johannes auch in diesem Jahr am 24. Dezember aber wieder sein persönliches "Ritual" durchführen und nach dem letzten zugestellten Paket vor dem Fest einen hörbaren Schrei der Erleichterung loslassen, wie er verrät. Und was er auch verraten hat, ist, was er an einem freien Tag macht. Alles - außer Online-Shopping.
