Corona hat den Innenstädten zugesetzt. Mit einem Sonderfonds von 100 Millionen Euro will die bayerische Ministerin für Verkehr, Wohnen und Bauen, Kerstin Schreyer (CSU), die Ortskerne schnell wieder aufwerten. Im Interview spricht Kerstin Schreyer (CSU) auch über ihre Ziele für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) - und was sie von den Großprojekten in der Region wie der autobahnähnlichen B26n hält.
Ministerpräsident Markus Söder hat angekündigt, dass Bayern schon 2040 statt wie bisher geplant 2055 klimaneutral werden soll. Wie arbeitet Ihr Ministerium auf dieses Ziel hin?
Kerstin Schreyer: 30 Prozent des CO2-Ausstoßes liegen im Bereich Gebäude und 19 Prozent im Bereich Verkehr. Kein anderes Ministerium kann mehr zum Klimaschutz beitragen, als meines. Ich sehe einen großen Bedarf bei der Sanierung von Gebäuden, wo wir auch private Eigentümer unterstützen müssen. Da geht es nicht nur um die Frage CO2, sondern auch um die Ertüchtigung unserer Innenstädte und die Frage nach genügend Wohnraum. Beim Thema Verkehr möchte ich die Vielfalt steigern. Ich halte nichts von dem Wort Verkehrswende. Ich glaube, es geht um einen Umstieg: Muss ich immer das Auto nehmen, oder gibt es eine Alternative? Und Politik muss die Alternative gut machen.

Und wie soll das gehen?
Schreyer: Ich brauche einen ÖPNV, der im ländlichen Raum so oft fährt, dass er eine Alternative ist. Niemand wartet eine Stunde auf den Bus. Am meisten unterschätzt werden die Fußgänger und Radfahrer. Die Hälfte aller Wege, die wir zurücklegen, sind unter fünf Kilometer. Deshalb haben wir ein Radwege-Verkehrskonzept aufgelegt, in dem wir 200 Millionen Euro bis 2024 für Radwege an Staats- und Bundesstraßen investieren. Kommunen müssen über Radwege besser vernetzt werden, damit ich mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren kann. Und wir haben das Thema Reaktivierung alter Bahnstrecken. Allerdings macht es weder ökonomisch, noch ökologisch Sinn, wenn dann leere Züge fahren.
Würde denn die Reaktivierung der Steigerwaldbahn für Sie Sinn machen?
Schreyer: Nach Prüfung der Bayerischen Eisenbahngesellschaft hätten wir nicht genügend Fahrgäste, die in die Bahn einsteigen. Wir haben da klare Kriterien. Danach müssten jeden Tag mindestens 1000 Fahrgäste zu erwarten sein. Das wird mit um die 560 bei der Steigerwaldbahn klar verfehlt. Und die Fahrgastzahl von 1000 am Tag ist ja nicht willkürlich, sondern die Zahl, ab der das Projekt auch ökologisch überhaupt erst Sinn macht. Daneben muss die Infrastruktur vom Freistaat wiederhergestellt werden, Und Sie brauchen ein Eisenbahnunternehmen, das die Strecke dann auch wirklich betreibt. Aber vor allem muss sie in ein stimmiges ÖPNV-Gesamtkonzept passen. Denn es nutzt nichts, wenn sie eine Bahn reaktivieren, um dann Luft zu transportieren. Ich glaube, bei aller Nostalgie, die man zu Bahnen hat, gibt es Konzepte, die besser sind, weil sie die Menschen passgenauer von A nach B bringen. Aber das muss die Region entscheiden.

Kluge ÖPNV-Konzepte - können Kommunen da mit gezielter Unterstützung des Freistaat rechnen?
Schreyer: Für den ÖPNV sind die Kommunen zuständig. Der Freistaat unterstützt sie und Verkehrsunternehmen dabei durch gezielte Anreize und Förderungen. Wir sind schon jetzt die Landesregierung, die die Kommunen mit Abstand am meisten unterstützt. Aber die Grundaufgabe bleibt bei den Kommunen und Landkreisen, die gemeinsam gute Konzepte entwickeln müssen. Und das machen die meisten ja auch.
Das 365-Euro Ticket wurde im August 2020 auch hier in Mainfranken eingeführt - aber nur für Auszubildende und Schülerinnen und Schüler. Wann kommt es für alle?
Schreyer: Es wird sicherlich auf die Studierenden ausgeweitet. Für einen attraktiven ÖPNV brauchen wir aber eine gute Infrastruktur, eine passende Taktung und als drittes die Kostenfreiheit. Am liebsten würde ich alles drei machen. Wenn ich aber aus finanziellen Gründen Schwerpunkte setzen muss, ist es mir wichtiger, die Menschen können zuverlässig und häufig fahren. Wenn ich kostengünstig seltener fahren kann, hat niemand was gewonnen.
Sie wollen mit 100 Millionen Euro Bayerns Innenstädte aufwerten. Da bleibt für die einzelne Stadt nicht viel.
Schreyer: Es gibt ja auch weiterhin die Städtebauförderung. Der Fonds soll jetzt schnell Maßnahmen ermöglichen, um die Innenstädte nach Corona zu beleben: Mieten senken, statt Leerstände zu haben, Zwischennutzungen ermöglichen, Manager einstellen, die sich um die Attraktivität der Innenstadt kümmern. Wir wollen im Ortskern einen Mehrwert schaffen. Wir brauchen dort eine Wohlfühlatmosphäre mit vielen Angeboten, mit Events und Gastronomie. Dann entdecke ich auch die vielen schönen Läden wieder.
Und da reichen 100 Millionen für 279 bayerische Orte?
Schreyer: Damit allein ist es nicht getan. Entscheidend ist, dass jede Kommune sich auf den Weg macht und entscheidet, was soll in meinem Ortskern stattfinden? Welche Geschäfte möchte ich dort haben oder auch mehr Wohnraum? Davon hängen dann die Verkehrskonzepte ab. Es geht nicht nur um die dogmatische Frage, soll das Auto aus der Innenstadt raus.

Stichwort Auto: Die Regierung von Unterfranken hat das Planfeststellungsverfahren für die umstrittene autobahnähnlicher B26n zwischen Karlstadt und Werneck eingeleitet. Das Projekt ist umstritten, weil es neuen Verkehr anzieht. Allein der erste Bauabschnitt soll 80 Millionen Euro kosten. Könnte man das Geld nicht klimafreundlicher investieren?
Schreyer: Ich würde da widersprechen: Der Verkehr ist vorhanden, deshalb enthält der Bundesverkehrswegeplan dieses Projekt. Ohne Notwendigkeit würde der Bund das gar nicht finanzieren. Würde man das Geld hier nicht investieren, würde irgendwo anders in Deutschland eine Straße dafür gebaut. Es bliebe nicht in der Region. Die Chance, zwei Autobahnen zu verbinden, um Verkehr aus den Ortschaften rauszubekommen, wäre vertan.
Kerstin SchreyerDie 51-jährige CSU-Politikerin aus München gehört seit Oktober 2008 dem Bayerischen Landtag an. Die Diplom-Sozialpädagogin leitete von März 2018 bis Februar 2020 das Ministerium für Familie, Arbeit und Soziales im Kabinett Söder. Im Februar 2020 löste Schreyer Hans Reichhart im Ministerium für Wohnen, Bau und Verkehr ab. Quelle: fqu