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Kürnach: Kampf gegen das leise Verschwinden: Wie ist das Leben mit zwei demenzkranken Eltern, Frau Schreiner?

Kürnach

Kampf gegen das leise Verschwinden: Wie ist das Leben mit zwei demenzkranken Eltern, Frau Schreiner?

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    Ingrid Schreiner aus Kürnach hat ihr Leben mit demenzkranken Eltern in einem Buch verarbeitet. 
    Ingrid Schreiner aus Kürnach hat ihr Leben mit demenzkranken Eltern in einem Buch verarbeitet.  Foto: Thomas Obermeier

    Alles was sich im Leben von Ingrid Schreiner ereignet, verarbeitet sie durch Schreiben. Schon immer. Als Mutter von drei Töchtern hat sie erst Bücher über Weihnachten geschrieben ("Mama rennt, es ist Advent" oder "Überleben im Advent"), später Geschichten und Gedichte für Adventskalender. Auch ihre Krebserkrankung hat die Kürnacherin schreibend verarbeitet ("Die Klänge meines Schweigens").

    Als kurz nacheinander ihre beiden Eltern die Diagnose Demenz erhielten, war für Ingrid Schreiner schnell klar, dass sie auch darüber schreiben würde. Denn ob als Erkrankter oder Angehöriger, das Leben verändert sich durch die Diagnose. Im Interview spricht die 66-jährige Autorin über die Veränderungen, Momenten der Überforderung, schwierigen Entscheidungen - und wertvolle Erinnerungen.

    Wie und wann haben Sie bemerkt, dass sich bei Ihren Eltern etwas verändert? 

    Ingrid Schreiner: Der Prozess ist schleichend. Zuerst hat meine Mutter Dinge einfach vergessen, zum Beispiel Termine, die vereinbart waren oder sie hat Personen nicht mehr erkannt. Sie hat mir zum Beispiel manchmal Geld zum Einkaufen gegeben und wusste nicht mehr, dass sie es mir schon gegeben hatte. Auch Nachlässigkeit im Haushalt war deutlich sichtbar, was ganz untypisch für sie war. Gedächtnisprobleme - das war der Anfang. Meist beginnen sich die Betroffenen schon Jahre davor Schritt für Schritt zu verändern. Später wanderten ihre Gedanken immer weiter in die Vergangenheit.  Meine Mutter war Ende 70 als die Diagnose Demenz gestellt wurde.

    Was waren die ersten Anzeichen der Demenz bei Ihrem Vater?

    Schreiner: Demenz ist keine Erkrankung mit den immer gleichen ersten Anzeichen. Mein Vater hat zum Beispiel am Anfang immer wieder die gleichen Episoden aus seiner Vergangenheit erzählt. Er lachte über Streiche aus seiner Schulzeit oder erinnerte sich an Sprüche seiner Kollegen. Und er hat immer wieder von der Kriegszeit erzählt. Er war 18 Jahre alt, als er in den Krieg geschickt wurde. Anschließend befand er sich vier Jahre in russischer Gefangenschaft. Das alles hat ihn sehr traumatisiert und sein Leben lang begleitet und beschäftigt. Während das Kurzzeitgedächtnis allmählich schwindet, bleibt das Landzeitgedächtnis noch lange erhalten.

    Wann kam dann die endgültige Diagnose?

    Schreiner: Der Hausarzt hatte uns an einen Neurologen überwiesen. 2012 kam die endgültige Diagnose, für beide. Ich war 55 Jahre alt, stand noch mitten im Berufsleben als Ausbildungsreferentin für Gemeindeassistenten beim Bistum Würzburg. Meine drei Töchter waren gerade alle aus dem Haus. Sie waren mir immer eine große Stütze und haben mich oft zu den Großeltern begleitet.

    Welches Erlebnis war besonders einschneidend für Sie?

    Schreiner: Das schlimmste Erlebnis war, dass ich meinen Eltern das Autofahren verbieten musste. Meine Mutter hatte keine Einsicht in die Krankheit. Und das Autofahren bedeutete immer ein Stück Freiheit für sie. Am Ort gab es keine Einkaufmöglichkeit. Sie war es gewohnt überall hinzufahren. Aber es wurde immer gefährlicher für sie und natürlich auch für andere. Mich hatten die Nachbarn bereits angesprochen und berichtet, wie sie in die Garage fährt. Die Beulen am Auto sprachen eine deutliche Sprache.

    "Das leise Verschwinden": Ingrid Schreiner aus Kürnach (Lkr. Würzburg) hat über ihr Leben mit ihren demenzkranken Eltern ein Buch geschrieben.
    "Das leise Verschwinden": Ingrid Schreiner aus Kürnach (Lkr. Würzburg) hat über ihr Leben mit ihren demenzkranken Eltern ein Buch geschrieben. Foto: Thomas Obermeier

    Was haben Sie dann gemacht?

    Schreiner: Letztendlich habe ich meinen Eltern gesagt, dass das Auto in der Werkstatt ist - und da ist es sozusagen nie mehr zurückgekommen. Meine Mutter ist trotzdem jeden Tag zur Garage gegangen und hat ihr Auto gesucht. Es war schrecklich. 

    Wie geht es ihren Eltern heute?

    Schreiner: Mein Vater ist inzwischen gestorben. Meine Mutter ist 88 Jahre alt und lebt in einem Pflegeheim. Körperlich geht es ihr einigermaßen gut. Sie erkennt mich auch noch und weiß meinen Namen. Aber sie ist desorientiert und vergisst sofort alles, was passiert ist. Oft versinkt sie in tiefer Trauer, weil sie doch plötzlich erinnert, dass mein Vater gestorben ist. Meine Mutter bemerkt ihre Demenz und sie leidet darunter, dass sie alles vergisst. Das macht sie auch wütend. Sie fragt dann hundertmal: "Warum bin ich so geworden? Warum vergesse ich alles?"

    Haben Sie mit Ihren Eltern auch noch schöne Momente erlebt?

    Schreiner: Wir haben Ausflüge gemacht, an Orte, die meine Eltern schon immer geliebt haben. Ich habe Verwandte eingeladen, und wir haben gerne zusammen Fotoalben angeschaut. Dabei konnten wir Erinnerungen teilen und glückliche Momente schaffen. Das Wichtigste ist, zu akzeptieren dass man sich nicht mehr logisch argumentativ begegnen kann. Es ist herausfordernd, aber sehr hilfreich für die Kommunikation, wenn man versucht, sich im Gespräch auf die Welt einzulassen, in der sich der kranke Mensch gerade befindet. Meine Kinder haben das oft gut hinbekommen. Zum Beispiel haben sie meine Mutter oft nach Koch- oder Backrezepten gefragt - und dann zusammen gebacken. Die Rezepte wusste meine Mutter lange noch. Und das Backen hat ihr Spaß gemacht.

    Was ist Ihr Rat an andere, die mit dem Thema Demenz zu tun haben? Was hätten Sie im Nachhinein anders gemacht?

    Schreiner: Ich habe einen Kurs für pflegende Angehörige besucht, ich habe viel über das Thema gelesen, ich habe immer wieder den persönlichen Kontakt zu Pflegern und Ärzten gesucht, ich wüsste nicht, was ich hätte anders machen können. Meine Eltern hatten keinerlei Einsicht, dass sie krank sind. Sie waren lange der Überzeugung, dass sie keine Hilfe brauchen. Und sie waren auch nicht bereit, Hilfe anzunehmen. Das war eigentlich das Schwierigste. Und der Rollentausch. Ich trug plötzlich die Verantwortung, musste Entscheidungen treffen, Unterstützung im Alltag organisieren und behördliche Angelegenheiten regeln.

    Wie haben Sie die schwierige Situation gemeistert?

    Schreiner: Es waren lange Prozesse. Besonders schwierig war mit den aggressiven und depressiven Phasen, die mit der Krankheit einhergehen, klarzukommen. Ich hatte viele schlaflose Nächte. Ich habe mir Sorgen gemacht. Erst als beide in einem Pflegeheim waren, ging es mir besser. 

    Erinnerungen teilen und glückliche Momente schaffen, das versucht Ingrid Schreiner bei ihren Besuchen im Pflegeheim. 
    Erinnerungen teilen und glückliche Momente schaffen, das versucht Ingrid Schreiner bei ihren Besuchen im Pflegeheim.  Foto: Ingrid Schreiner

    Was hat Ihnen gut getan in dieser Zeit?

    Schreiner: Gut getan hat mir, dass ich viel Unterstützung hatte - von Freunden und Verwandten. Es war gut mit Menschen über die ganze Problematik zu sprechen, der vielleicht schon Ähnliches erlebt haben. Ich habe auch den fachlichen Rat gesucht und mich an die Beratungsstelle für pflegende Angehörige HALMA gewendet. Was mir sehr geholfen hat, war immer wieder auch der Abstand zu meinen Eltern, die in Hessen gewohnt haben. Ich habe die zweistündige Autofahrt immer gebraucht, um meine Gedanken wieder neu zu sortieren. Außerdem habe ich immer wieder selbst Auszeiten genommen. Zum Beispiel haben mir meine Töchter auch mal einen Aufenthalt in einem Wellnesshotel geschenkt. Das war toll. Ich habe auch einfach versucht, mir mein altes Leben zu erhalten. Ich habe Theater gespielt, Musik gemacht und eben geschrieben.

    Demenzerkrankung, Hilfe und das BuchRund 1,8 Millionen Menschen in Deutschland leben mit Demenz. Die meisten von ihnen sind von der Alzheimer-Krankheit betroffen. Im Durchschnitt werden jeden Tag 900 Fälle neu diagnostiziert. Im Zuge der demografischen Veränderungen und die älter werdende Bevölkerung nimmt die Zahl der Demenzerkrankten kontinuierlich zu. Ohne einen Durchbruch in Prävention und Therapie wird sich den Prognosen zufolge die Krankenzahl bis zum Jahr 2050 auf 2,4 bis 2,8 Millionen Menschen erhöhen.9450 Menschen starben 2020 an Alzheimer – so viele wie nie zuvor. Laut Statistischem Bundesamt war die Zahl der Todesfälle damit mehr als doppelt so hoch wie noch im Jahr 2000 mit 4535 Fällen. Alzheimer Patienten haben eine begrenzte Lebenserwartung, weil zwar nicht der geistige, aber der körperliche Abbau zum Tod führt. Der Anstieg der Krankenhausbehandlungen und Todesfälle mit der Diagnose Alzheimer geht auf eine immer älter werdende Bevölkerung zurückzuführen.Die Fachstelle für Demenz und Pflege Unterfranken (Bahnhofstraße 11, 97070 Würzburg) bietet  kostenlose und ­unabhängige Informationen und Unterstützung an, Tel. (0931) 2078 1440, E-Mail: info@demenz-pflege-unterfranken.de. Infos im Internet: www.demenz-pflege-unterfranken.deDer Verein HALMA e.V. (Hilfe für alte Menschen im Alltag) bietet seit 1992 in Würzburg psychosoziale Beratung für pflegende Angehörige an und begleitet und unterstützt sie. Infos unter Tel. (0931) 20781420 und www.halmawuerzburg.deDas Buch "Das leise Verschwinden: Mein Leben mit demenzkranken Eltern" von Ingrid Schreiner ist im Echter Verlag erschienen und kostet 16,90 Euro. Am Mittwoch, 25. Oktober, liest die Autorin um 17.30 Uhr im Generationenzentrum Matthias-Ehrenfried-Haus in Würzburg daraus, der Eintritt ist frei.Quelle: Deutsche Alzheimer Gesellschaft

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