Logisch, dass wir an diesen Tagen unterm Baum alles geben. Vor allem kulinarisch: Da glitzert das vegane Menü in hellsten Farben und sogar ein Hecht aus heimischen Gewässern oder ein Reh dürfen mitspielen. Nur: Was macht man mit dem Wein? Soll er die Hauptrolle spielen? Weihnachten adeln? Oder ganz einfach die Basis für gute Gespräche liefern? Hier ist eine Auswahl, die Freude macht und, klimafreundlich, aus nächster Nähe kommt. Dazu ein weihnachtlicher Wein-Knigge, damit der gute Tropfen die Rolle erfüllen kann, die ihm zugedacht worden ist.
Zu beobachten ist dieses Schauspiel alljährlich an den Tagen vor dem Fest. Egal, ob am Wein-Regal im Supermarkt oder beim exklusiven Wein-Händler: Da stehen die kulinarischen Entscheider der Familie, die normalerweise genau wissen, was sie mitnehmen, ratlos vor dem Regal. Die Aufgabe ist gar nicht so einfach, weil sie einen Widerspruch in sich trägt: An Heiligabend/Weihnachten/Silvester muss es krachen, die Tisch-Gesellschaft soll beeindruckt in den Sessel sinken, vielleicht mit einer guten Geschichte zum Wein. Und das am besten noch bei Besinnung.
1. Knigge-Regel
Sie müssen nicht angeben! Gerne greift man richtig in die Tasten, in die obere Qualität, angelockt durch Namen, die man schon einmal zugeraunt bekam: Bordeaux, Grand Cru, Gran Reserva oder was mit „Superiore“. Ich bezeichne diese Situation als „Barolo-Phänomen“. Barolo, das kann ein sehr feiner Wein aus dem Piemont sein, der seinen Preis hat.
Er beeindruckt mit ordentlich Alkohol und mit noch mehr Tannin, also Gerbstoff, der am Gaumen in seiner Jugend als pelzig empfunden wird, weshalb man einen aktuellen Jahrgang mindestens ein Jahrzehnt liegen lassen sollte, bis sich der Gerbstoff mit dem Wein verbunden hat und harmonisch wird. Wenn man also aus dem obersten Regal im Supermarkt nun einen 2019er Barolo für unter 30 Euro kauft, dann nimmt das feiertägliche Unheil schon seinen Lauf.
Weißwein
Mit diesen Empfehlungen allerdings kann nicht mehr viel schiefgehen:
Natürlich ist Deutschland ein Riesling-Land. Dennoch beeindruckt ein Global Player die bundesdeutschen Wein-Trinker, der Sauvignon blanc. Die Aroma-Rebsorte tapeziert den Gaumen mit plakativen Aromen nach Holunder, Grapefruit, oft auch mit tropischen Früchten wie Mango und Maracuja. Solche Tropfen kommen dann gerne vom anderen Ende der Welt aus Neuseeland, Chile oder Südafrika. Dabei gibt es in Deutschland wunderbare Exemplare des Sauvignons.
Im württembergischen Fellbach mit Blick auf Stuttgart pflegen Hansjörg, Matthias und Gert Aldinger seit vielen Jahren einen ganz entspannten Umgang mit dieser an Aromen eigentlich lauten Rebsorte. Ihre Vielfalt an Geruch und Geschmack deutet sie in den zwei Aldinger-Sauvignon blancs an – ohne je aufdringlich zu werden. Hoch elegant wird es dann mit der diskreten Salzigkeit am Gaumen und der Fülle im Mundgefühl, die auch ein kleiner Anteil der Trauben (etwa zehn Prozent) verleiht, der im Barrique ausgebaut wurde. Zu gebratenem Ziegenkäse, Salzwasser-Fisch gedünstet oder gebraten. 2021 Reserve Sauvignon Blanc, 19.50 Euro, www.weingut-aldinger.de
2. Knigge-Regel
Geben Sie dem Wein die richtige Rolle! Gute Filme glänzen oft durch ihre Nebendarsteller. Exakt diese Rolle, nämlich die des perfekten Nebendarstellers, kommt dem Wein an Weihnachten zu: Die Hauptdarsteller heißen Familie, Bescherung und Essen. Der Wein ist für ein lebendiges Gespräch zuständig, für die Lust, die sich in einem zweiten Glas äußert. Und das am besten mit einer guten Geschichte zum Wein, der am Tisch steht.
Rotwein
Spätestens wenn es rot im Glas wird, dann bekommt das Gespräch am Tisch Leben eingehaucht. „Was? Rotwein aus Deutschland? Das können wir doch gar nicht. Der muss aus Spanien/Frankreich/Italien kommen“, heißt es dann gerne einmal. Weit gefehlt. Dass der Spätburgunder (Pinot Noir) aus Deutschland große Weine hervorbringen kann, hatten wir neulich auf dieser Seite schon besungen. Aber Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc und Merlot? Also die klassischen Rebsorten aus dem Bordelais, die einen feinen Bordeaux für drei- bis vierstellige Beträge adeln können.
Richard und Kerstin Östreicher aus dem fränkischen Sommerach haben mit ihrem „Naturland“-Betrieb nach der Übernahme von Richards Eltern einen ganz eigenen Weg beschritten. Natürlich gibt es dort einen vorzüglichen Silvaner und Spätburgunder. Aber der Rest des spannenden Sortiments schaut im Weißwein ins Burgund und bei den Rotweinen eben ins Bordelais, was dem Weingut den Vorwurf eingebracht hat, keine gebiets-typischen Weine herzustellen.
Gott sei Dank scheren sich die Östreichers nicht darum und erschaffen fränkisch-eigenständige Weine, die an Bordeaux-Krezenzen der famosen 80er Jahre erinnern mit klar fokussierten Tropfen ohne Holz-Lastigkeit und zu hohen Alkoholgraden. Perfekt für einen Weihnachtsabend, bei dem die Gäste die Christmette noch wach erleben sollen. Zu Schmorgerichten mit Rind, Lamm und Wild. 2017 „R“, Cuvée aus Cabernet Sauvignon und Merlot, € 35, www.weingut-richard-oestreicher.de
3. Knigge-Regel
Überraschen Sie Ihre Gäste! Natürlich kann man das Höher-Schneller-Weiter-Spiel mit den großen Namen und den entsprechend hohen Preisen immer weiter treiben an Weihnachten und ganz große Weine öffnen, die kaum einer am Tisch versteht. Der Familien-Frieden ist spätestens dann gefährdet, wenn der außergewöhnliche vergorene Traubensaft nicht die Aufmerksamkeit bekommt, die er eigentlich verdient hätte. Mehr Freude am Tisch schafft da die gelungene Überraschung: der verrückte Naturwein, verrufene Rebsorten oder ein Wein quer zum Essen (vorzüglich: eine gereifte Riesling Spätlese von der Mosel zum Reh). Und ja: Rosé!
Rosé
Der geht doch nur im Sommer! Welch ein Irrtum. Aber vielleicht eine lässige Überraschung zum Weihnachtsessen. Dazu muss man allerdings wissen, dass sich die Welt des rosa-farbenen Weins in zwei Stilistiken aufteilt: Die meisten Rosé-Weine sind von der Frucht geprägt, im Stahl-Tank ausgebaut und mit ihrer prägnanten frischen Säure für den schnellen Verzehr unter dem Sonnenschirm gemacht. Daneben gibt es eine andere Art Rosé, die man hauptsächlich im südlichen Frankreich, aber so gut wie gar nicht in Deutschland findet.

Diese Weine werden vom Holz geküsst, also im gebrauchten oder neuen Fass ausgebaut. Frucht und Säure stehen hier nicht so sehr im Vordergrund, dafür Tiefgang und Länge. Es sind sozusagen „ernsthafte“ Rosé-Weine mit einer ganz eigenen Wärme. Und wieder punktet das Württemberger Weingut Aldinger. Dieses Mal mit seiner Rosé Reserve vom Spätburgunder aus den Lagen „Untertürkheimer Gips“ und „Fellbacher Lämmler“. Eine feine Aromen-Kombination aus roten Beeren und einer Berührung mit Vanille und Kokos, was dem Aufenthalt im Holz geschuldet ist.
Zu Krustentieren, zu Grill-Gerichten aller Art. Senior-Chef Gert Aldinger selbst empfiehlt als „Speise-Begleitung“ einfach eine Zigarre. 2020 Rosé Reserve Spätburgunder, € 22, www.weingut-aldinger.de
4. Knigge-Regel
Sparen Sie sich die Nachspeise! Es ist im Grunde ein „Doppelfehler“: Sie machen sich viel Mühe, opfern Zeit mit der Familie für ein Dessert, auf das keiner mehr Lust hat, nach einem opulenten Weihnachtsessen, so gut es auch immer sein mag. Die Nachspeise im Weinglas hingegen zieht das Menü am Ende noch mal richtig hoch. Nein, kein dicker Portwein oder ein Amarone, der uns mit seinem hohen Alkohol-Gehalt direkt in die Fress-Narkose befördert, sondern ein Wein, den niemand besser kann als die deutschen Winzer.
Süßwein
Es ist ein hohes Risiko, dass die Weinbauern gehen, wenn sie sich für die Gewinnung von Süßwein entscheiden. Sie lassen mit vollem Risiko die Beeren (ja, so nennt man die einzelnen Früchte, das Ganze heißt dann Traube) bis weit in den Herbst hängen, bis sie dann irgendwann gelesen werden können. Wenn es in dieser Zeit viel regnet und das auch noch bei milden Temperaturen, dann haben die Winzer einen Totalausfall zu beklagen. Dann nämlich werden Beeren und Trauben von Pilzen befallen, die, mit nur einer einzigen Ausnahme (Botrytis cinerea), jegliche Wein-Bereitung verunmöglichen. Kommt das Lesegut allerdings durch, dann fallen die Sterne vom Himmel.
Im fränkischen Weingut Wirsching in Iphofen betreibt man dieses Vabanque-Spiel mit großer Hingabe und das auch noch mit einer der am meist unterschätzten Rebsorten im Lande, der Scheurebe. Mit ihren Noten nach schwarzer Johannisbeere und einer feinen rassigen Säure kann sie alles, vom trockenen Terrassenwein über den anspruchsvollen Speisebegleiter bis hin zu einem epochalen Süßwein, der gerade einmal 7,5 Prozent Alkohol hat und noch jahrzehntelang Weihnachten begleiten kann.
Wenn es eine Speisenbegleitung sein muss: zu Schimmelkäse oder Gänsestopfleber. 2018 Iphöfer Kronsberg Beerenauslese, € 48, www.wirsching-shop.de
Schaumwein
Nun haben Sie vielleicht diesen feinen perlenden Wein vermisst. Ich schätze Champagner/Sekt/Cava/Spumante über alles, deshalb werden wir Sie in der Weihnachtsausgabe ausführlich über dieses Thema informieren. Falls Sie Ebbe im Keller diesbezüglich zu vermelden haben, hier vorab eine Empfehlung, die wir dann besprechen werden. Blanc de Noirs Brut, Sekthaus BurkhardtSchür/Franken, € 28, www.burkhardtschuer.de