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Würzburg: Samstagsbrief: Flüchtlinge aus Syrien brauchen keine Drohungen, sondern mehr Respekt, Frau Lindholz!

Würzburg

Samstagsbrief: Flüchtlinge aus Syrien brauchen keine Drohungen, sondern mehr Respekt, Frau Lindholz!

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    Die Aschaffenburger CSU-Politikerin Andrea Lindholz ist in der zu Ende gehenden Wahlperiode stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag.
    Die Aschaffenburger CSU-Politikerin Andrea Lindholz ist in der zu Ende gehenden Wahlperiode stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Foto: Patty Varasano

    Sehr geehrte Frau Lindholz,

    weil ja bald Weihnachten ist: Ich finde, dass der Politik gerade etwas Besinnung nicht schaden könnte. Beobachten, nachdenken und analysieren – statt sich im Wahlkampfmodus mit plakativen Forderungen zu überbieten. Ich weiß, Zurückhaltung in aufgewühlten Zeiten ist nicht so leicht.

    Das Assad-Regime in Syrien war keine 24 Stunden gefallen, da dröhnten aus ihrer Unionsfraktion im Bundestag erste Forderungen: Syrische Flüchtlinge sollten doch jetzt schnellstmöglich in ihre frühere Heimat zurückkehren. Ihr CDU-Kollege Jens Spahn schlug gleich mal Charterflüge und ein Handgeld von 1000 Euro vor. Zack zack, raus mit Euch – so klingt das ausgerechnet von jenen, die Geflüchtete sonst gerne zur Zack-Zack-Integration ermahnen.

    Viele Geflüchtete aus Syrien sind gut integriert

    Jetzt kann es ihnen nicht schnell genug gehen, Menschen aus Syrien wieder loszuwerden. Ehrlich: Ich finde diesen Duktus unerträglich. Es ist ja nicht so, dass eine Rückkehr in das vom Krieg geschundene Land tabu wäre. Im Gegenteil. Viele Geflüchtete können es gar nicht erwarten, nach Jahren der Trennung ihre Familien und Freunde wiederzusehen. Ein Teil von ihnen wird freiwillig zurückkehren und versuchen, beim Wiederaufbau zu helfen.

    Viele werden aber auch in Deutschland bleiben, weil sie sich hier eine neue Existenz aufgebaut haben. Weil sie hier arbeiten und Steuern zahlen. Weil sie als Fachkräfte – sei es in der Pflege oder im Handwerk – gebraucht werden. Oder weil ihre Kinder hier zur Schule gehen.

    Das Hilfreichste im Moment wäre: Nicht über die Menschen zu sprechen, sondern mit ihnen. Ihnen zuzuhören und ja, mit ihnen zu feiern, dass Syrien das Joch eines Diktators abgeschüttelt hat. Was meines Erachtens dagegen gar nicht geht: Schwarzweiß-Malerei und politischer Populismus mit Blick auf die Bundestagswahl im Februar.

    Davon wird nicht die Union, nicht Ihre CSU profitieren, sehr geehrte Frau Lindholz. Wer Stimmung gegen Flüchtlinge macht, betreibt das Geschäft der AfD.

    Mit Rückkehrforderungen vorgeprescht - wenngleich nicht ganz so scharf

    Als stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion in Berlin sind auch Sie mit Rückkehrforderungen vorgeprescht – oder sollte ich sagen: Rückkehranreizen? Das ist ein Unterschied und tatsächlich sind Sie in ihrer Tonwahl weniger scharf als andere. Trotzdem haben auch Sie das Fass aufgemacht.

    Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Man kann und wird über die mögliche Rückkehr von Flüchtlingen nach Syrien reden. Was mich massiv stört, ist der Zeitpunkt dieser Diskussion nur wenige Stunden und Tage nach dem Sturz einer Schreckensherrschaft.

    Wer kann denn hierzulande von der Wohnzimmercouch aus die Situation in Syrien seriös beurteilen? Selbst Experten wie Extremismusforscher Peter Neumann oder Migrationsforscher Jochen Oltmer halten die Lage in dem Bürgerkriegsland für völlig unwägbar. Was kommt nach Assad? Welchen Kurs fahren die islamistischen Milizen?

    Jetzt ist die Zeit, die Zivilbevölkerung in Syrien zu unterstützen, für Freiheit und Demokratie. Syrer in Deutschland könnten wertvolle Bindeglieder zwischen beiden Ländern werden – auch wenn es um den Wiederaufbau geht. Unternehmen aus Deutschland könnten dabei eine Rolle spielen.

    Überhaupt die Wirtschaft: Dieser Tage hat der Chef eines mittelständischen Betriebes förmlich gebettelt, seine syrischen Mitarbeiter mögen bitte bleiben – sonst könne er den Laden zusperren. Das ist die Realität, Frau Lindholz. Ebenso, dass unser Gesundheitswesen ohne Migrantinnen und Migranten zusammenbrechen würde. Jede dritte Pflegekraft und jeder fünfte Arzt, jede fünfte Ärztin stammt mittlerweile aus dem Ausland, nicht wenige aus Syrien.

    Allein die Debatte über Rückführungen verunsichert Menschen

    Statistiken zeigen: Syrische Flüchtlinge hatten in Deutschland Anlaufschwierigkeiten, allein sprachlich. Ein Großteil von ihnen ist aber nach vier bis fünf Jahren in Lohn und Brot und stützt diese Gesellschaft. Eine Debatte wie die jetzige vom Zaun zu brechen, bedeutet Ausgrenzung: Wie willkommen bin ich in einem Land, das mich bei erster Gelegenheit wieder loswerden will? Bin ich vollwertiges Mitglied dieser Gesellschaft – oder doch eher Bürgerin oder Bürger zweiter Klasse?

    Wir sollten uns überlegen, wie wir über (Mit-)Menschen sprechen. Die überzogene und verfrühte Rückkehrdebatte färbt negativ ab auf alle Geflüchteten. Im Übrigen ist sie auch ein Schlag ins Gesicht all jener Engagierten, die hierzulande – häufig ehrenamtlich – bei der Integration helfen.

    Sehr geehrte Frau Lindholz, Sie versuchen zu relativieren. Sagen Sätze wie "Straftäter und Gefährder müssen sofort abgeschoben werden" oder adressieren an alle, "die sich nicht integriert haben, also zum Beispiel nach Jahren noch nicht arbeiten". Ihr Parteikollege Joachim Herrmann, Bayerns Innenminister, lenkt den Blick auch wohltuend auf das, was gut läuft und mahnt zu mehr Sachlichkeit in der Debatte. Die kann in diesen Tagen nur guttun.

    In diesem besinnlichen Sinne wünsche ich Ihnen einen schönen dritten Advent,

    mit freundlichem Gruß aus der Redaktion

    Andreas Jungbauer, Redakteur

    Persönliche Post: der SamstagsbriefJedes Wochenende lesen Sie unseren "Samstagsbrief". Was das ist? Ein offener Brief, den eine Redakteurin oder ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Person des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An jemanden, dem wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur. Persönlich, direkt und pointiert formuliert soll der "Samstagsbrief" sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der "Samstagsbrief" ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir von der Adressatin oder dem Adressaten Post zurück. Die Antwort finden Sie dann bei allen "Samstagsbriefen" hier. Und vielleicht bietet sie auch Anlass für weitere Berichterstattung.Quelle: MP

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